Katholische Kirche rügt Spahns Vorstoß
Gesundheitsminister will Widerspruchslösung bei Organspende – Spendenzahl sinkt weiter
BERLIN (KNA/dpa) - Um die Zahl der Organspenden in Deutschland wieder zu erhöhen, fordert Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Systemwechsel in der Transplantationsmedizin. Künftig solle jeder Bürger automatisch Spender sein, solange er oder die Angehörigen nicht ausdrücklich widersprechen, sagte der Minister der „Bild“Zeitung. Nur so könne die Organspende zum Normalfall werden.
Seit Jahren sei leider ohne Erfolg vieles versucht worden, um die Zahl der Organspender zu erhöhen, sagte Spahn. „Deshalb brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte über eine Widerspruchslösung“. Da der Staat damit in die Freiheit des Einzelnen eingreife, sei die politische Entscheidung eine Gewissensfrage. Eine solche Debatte über Parteigrenzen hinweg wolle er gern organisieren.
In Deutschland warten laut Gesundheitsministerium rund 10 000 Menschen auf ein Spenderorgan. Schon seit 2012 gehen die Spendezahlen aber mehr und mehr herunter. Die Zahl der Spender erreichte laut Deutscher Stiftung Organtransplantation im vergangenen Jahr einen Tiefpunkt von 797.
Zustimmung bekam Spahn vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Es sei eine „Schande“, dass zurzeit so viele Menschen „unnötig leiden, weil keine Organe für sie vorhanden sind“, sagte Lauterbach. Fast jeder Mensch sei im Krankheitsfall auch ein potenzieller Empfänger von Organen. Der Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft, Bernhard Banas, sagte, die Widerspruchslösung werde in nahezu allen Nachbarländern praktiziert und habe sich bewährt.
Die katholische Bischofskonferenz äußerte dagegen ethische Bedenken. Eine Organspende sei eine besondere Form der Nächstenliebe, sagte Sprecher Matthias Kopp. Die aktuelle Entscheidungslösung respektiere das Selbstbestimmungsrecht. Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken betonte: „Man kann die Organspende nicht einfach zur rechtlichen und moralischen Pflicht erklären.“Präsident Thomas Sternberg sagte: „Eine Organentnahme ohne vorherige ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen ist ein sehr weitgehender Eingriff in die Integrität des Menschen und seines Körpers.“
FREIBURG (epd) - Der katholische Ethiker Eberhard Schockenhoff (Foto: privat) hat erhebliche Bedenken gegen die Widerspruchslösung für Organspenden. Diese sei mit einem demokratischen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit schwer vereinbar, sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Herr Schockenhoff, ist eine Widerspruchslösung bei der Organspende ethisch vertretbar? Sie ist ethisch ein Grenzfall. Der Staat als Verteilorganisation greift auf Organe Verstorbener ohne deren Einverständnis zurück, indem er einen unterlassenen Widerspruch als Zustimmung wertet. Deshalb befürworte ich das nicht. Andererseits müssen wir bedenken: Schon jetzt profitiert Deutschland von der Widerspruchslösung in anderen europäischen Ländern wie Spanien oder Österreich, weil Organe aus diesen Ländern auch Empfängern in Deutschland zugewiesen werden. Wer Organe im Krankheitsfall empfangen möchte – muss der auch zur Spende bereit sein? Ja. Eine Trittbrettfahrer-Mentalität ist moralisch unannehmbar. Ich habe selbst seit vielen Jahren einen Organspendeausweis, den ich immer bei mir trage. Die Widerspruchslösung arbeitet aber leider auch mit der Unwissenheit der Menschen. Umfragen in Ländern, in denen diese Lösung gilt, zeigen: Die Menschen dort wissen kaum, dass ihnen nach dem Tod Organe entnommen werden können, weil sie nicht widersprochen haben. Was wäre aus Ihrer Sicht ein angemessenes Mittel, die Zahl der Organspender zu erhöhen? Die geltende Rechtslage in Deutschland ist gut. Dabei werden Menschen etwa von ihrer Krankenkasse gefragt, ob sie zur Organspende bereit sind. Organe zu entnehmen, ohne dass sich der Spender persönlich dazu geäußert hat, halte ich dagegen innerhalb eines demokratischen Verständnisses von Rechtsstaatlichkeit schwer vorstellbar. Das wirkt gerade so, als sei der Staat Eigentümer der Organe eines Menschen. Denkbar wäre allenfalls, dass man das Nichtreagieren auf die Anfrage der Krankenkasse als fehlenden Widerspruch deutet. Mich stört an der aktuellen Diskussion, dass man das Vertrauen, das unser System der Organspende eingebüßt hat, jetzt allein durch andere gesetzliche Regelungen ersetzen möchte. Dabei müsste man Vertrauen neu aufbauen.