SPD-Spitze erhöht Druck auf Maaßen
Dreyer: Verfassungsschutzchef zerstört Vertrauen in Staat – Tödlicher Streit in Köthen
BERLIN (dpa/sz) - Nach seinen kontroversen Äußerungen zu den Ereignissen in Chemnitz hält die SPD-Vizevorsitzende Malu Dreyer Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen nicht mehr für tragbar. „Herr Maaßen stellt die Glaubwürdigkeit von Politik, Medien und den vielen Augenzeugen infrage. Er schafft weitere Verunsicherung und zerstört damit Vertrauen in unseren Staat“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin der „Bild am Sonntag“. „Ich glaube daher nicht, dass er noch der richtige Mann an dieser Stelle ist.“Andere SPD-Politiker verlangten ebenfalls Aufklärung. Der Zentralrat der Juden warnte vor einer Bagatellisierung der Geschehnisse.
Maaßen hatte die Echtheit eines Videos von einem Übergriff auf Ausländer bei den rechtsextremen Protesten nach dem Totschlag von Chemnitz bezweifelt. Medienberichte über „rechtsextremistische Hetzjagden“sehe er mit Skepsis, hatte er gesagt. Maaßen widersprach damit auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden machte dagegen deutlich, dass sie keine Hinweise auf eine Fälschung des Videos sehe.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dürfte nach Informationen der „Frankfurter Allgemeinen“vorab über die Stoßrichtung von Maaßens Aussagen gewusst haben. Auf Anfrage erklärte das Bundesinnenministerium, Maaßen habe einen Abteilungsleiter des Ministeriums im Nachhinein darüber informiert, dass er sich gegenüber der „Bild“Zeitung geäußert habe. Der Verfassungsschutzchef wird am Mittwoch zu Sitzungen sowohl des Innenausschusses als auch des Parlamentarischen Gremiums zur Kontrolle der Geheimdienste (PKGr) erwartet. Erst am Wochenende wurde bekannt, dass bei den Protesten in Chemnitz auch ein jüdisches Lokal Ziel eines Angriffs wurde. Nach Angaben des Inhabers bewarfen zehn bis zwölf Personen das Restaurant Schalom mit Steinen und Flaschen. Laut „Welt am Sonntag“riefen die mutmaßlichen Neonazis „Hau ab aus Deutschland, du Judensau.“
Im sachsen-anhaltischen Köthen wurde für Sonntagabend zu Protesten aufgerufen, nachdem dort ein Deutscher ums Leben gekommen war. Zwei Afghanen wurden als Verdächtige festgenommen.
BERLIN - Hans-Georg Maaßen gerät weiter unter Druck – der Ruf nach Rücktritt und Entlassung des Präsidenten des Bundeamtes für Verfassungsschutz (BfV) wird zu Beginn der Woche der Entscheidung lauter. Am kommenden Mittwoch muss der Chef des Geheimdienstes im Bundestag Rede und Antwort stehen, sich in einer Sondersitzung des Innenausschusses und des geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiums einem Kreuzverhör stellen.
Die Debatte über Chemnitz und die Ausschreitungen dort nach einem tödlichen Messerangriff auf einen 35-Jährigen und darauf folgende Ausschreitungen geht weiter. Tatverdächtig sind drei Asylbewerber. Verfassungsschutzpräsident Maaßen hatte Zweifel daran geäußert, dass es in der sächsischen Stadt vor zwei Wochen wirklich zu Hetzjagden auf Ausländer gekommen war und vermutet, entsprechende Videos könnten gefälscht sein – ohne dies zu belegen.
Für die SPD-Spitze ist Maaßen nicht mehr zu halten. „Herr Maaßen stellt die Glaubwürdigkeit von Politik, Medien und den vielen Augenzeugen infrage. Er schafft weitere Verunsicherung und zerstört damit Vertrauen in unseren Staat“, kritisierte SPD-Vizechefin Malu Dreyer. Sie glaube nicht, „dass er noch der richtige Mann an dieser Stelle ist“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin.
„Herr Maaßen muss jetzt schnell Klarheit schaffen. Wenn sich seine Äußerungen als falsch herausstellen, muss das Konsequenzen haben. Für ihn und den Bundesinnenminister“, forderte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider. Das Kernproblem liege allerdings bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU). „Es ist verstörend, dass es zwischen dem für die Koordinierung der Nachrichtendienste zuständigen Kanzleramt und dem Bundesinnenministerium offenbar keine Kommunikation über sicherheitsrelevante Themen gibt“, sagte der SPD-Politiker.
Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter ging noch weiter und forderte den Rücktritt von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Maaßen. „Ein Innenminister der rechts zündelt, statt ein klares Zeichen gegen Hetze zu setzen ist genauso untragbar wie ein Verfassungsschutzpräsident, der im Fall Anis Amri die Öffentlichkeit und das Parlament belügt und durch das Streuen von Gerüchten unseren Rechtsstaat destabilisiert. Beide sollten ihren Rücktritt erklären“, erklärte Hofreiter am Sonntag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Die Kanzlerin müsse sich fragen lassen, „wie lange sie da eigentlich noch zuschauen will.“
Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth verwies auf die Sondersitzung des Innenausschusses. „Dort hat Herr Maaßen die Gelegenheit darzulegen, ob und weshalb die Authentizität des Bildmaterials betreffend Chemnitz aus seiner Sicht zweifelhaft ist“, sagte der CDU-Innenexperte. Angriff im Laufschritt Eine Reisegruppe von Sozialdemokraten aus Marburg schilderte unterdessen Erlebnisse in Chemnitz, die einer Hetzjagd gleichkommen. Drei Zeugen berichteten der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, sie seien am 1. September nach einer friedlichen Demonstration unter dem Motto „Herz statt Hetze“von 15 bis 20 Männern im Laufschritt bestürmt und geschlagen worden. Einige Mitglieder ihrer Gruppe seien geflohen. Die Angreifer hätten ihnen mit dem Ruf „Deutschland-Verräter!“nachgesetzt. Zu den Fliehenden habe auch ein Mitglied der Reisegruppe gehört, das den Angreifern „nicht deutsch genug aussah“. Diesem Mann seien die Angreifer mit den Worten „den schnappen wir uns“hinterhergerannt, allerdings ohne ihn zu erreichen.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bestätigte der Zeitung, dass er über diesen Vorfall informiert war, als er am 5. September im Landtag bestritt, dass es in Chemnitz „Hetzjagden“oder einen „Mob“gegeben habe. Er habe seine Formulierung dennoch gewählt, weil „Demokraten durch Wortwahl zur Beruhigung beitragen“sollten. Trotzdem seien die geschilderten Vorfälle „schlimm“und müssten aufgeklärt werden.