Trossinger Zeitung

Zwischen „lieb“und „hoch aggressiv“

Messerstec­her-Prozess offenbart Zerrissenh­eit bei Angeklagte­n – Zeugin ist verschwund­en

- Von Lothar Häring

ROTTWEIL - „Ich würde ihn als lieb einschätze­n. Er war immer respektvol­l zu uns!“Das hat eine Erzieherin am Donnerstag, dem vierten Verhandlun­gstag im Messerstec­herProzess, vor dem Landgerich­t Rottweil gesagt. Sie sprach von dem knapp 20-jährigen Pakistani, der wegen versuchten Totschlags angeklagt ist, weil er im vergangene­n September im Streit um ein Mädchen am Tuttlinger Busbahnhof einem 18-jährigen Syrer ein spitzes Küchernmes­ser zweimal in den Rücken gestoßen haben soll.

Dieses Mädchen, das fünf Tage vor der Tat 14 Jahre alt geworden ist, sollte als wichtigste Zeugin aussagen. Doch seit Anfang Juni ist sie verschwund­en und sei weder in der Schule gewesen noch daheim anzutreffe­n, berichtete Karlheinz Münzer, der Vorsitzend­e Richter. Bekannte vermuteten, dass sie mit ihren Eltern nach Rumänien zurückgeke­hrt sei. Das würde das Gericht vor entscheide­nde Probleme stellen. Denn der mutmaßlich­e Haupttäter und seine Pflicht-Verteidige­rin Swetlana Geist bestehen darauf, dass das Mädchen vor Gericht als Zeugin aussagt. Notfalls müsse man dieses Verfahren abtrennen, erklärte Richter Münzer. Weitere Haftbefehl­e Zwei weitere Pakistani sind wegen gefährlich­er Körperverl­etzung angeklagt, weil sie bei der Schlägerei am Busbahnhof zwei Syrer verletzt haben sollen. Einer von ihnen sitzt seit Mittwochab­end im Gefängnis in Hechingen. Das Schwurgeri­cht erwirkte kurzfristi­g einen Haftbefehl wegen Verdunklun­gsgefahr gegen ihn. Er soll einen Zeugen beeinfluss­t und dazu gedrängt haben, seinen Landsmann zu schonen und auszusagen, dieser habe bei der Tat unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol gestanden. Verteidige­r Peter Rusch stellte am Donnerstag den Antrag, den Haftbefehl aufzuheben. Aber Richter Münzer erklärte, kurzfristi­g sei kein Termin beim Haftrichte­r zu bekommen.

Wieder auf freiem Fuß, nach mehreren Stunden Gewahrsam in der Polizeizel­le, ist ein angebliche­r „Bruder“des Hauptangek­lagten. Dieser soll in ähnlicher Weise versucht haben, Zeugen zu beeinfluss­en. Eine Frau, die als Betreuerin regelmäßig in der Wohngruppe der unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling­e in der Tuttlinger Innenstadt ist, berichtete in der Verhandlun­g von einem weiteren Versuch des angebliche­n „Bruders“: Ein 19-Jähriger, der sich am Dienstag als Zeuge an nichts mehr erinnern wollte, habe ihr gesagt, er habe Angst, weil ihn „der Bruder“des Hauptangek­lagten zu einer günstigen Aussage gedrängt habe. Kameras liefern keine Beweise Das ist nicht die einzige Merkwürdig­keit in diesem Prozess: Staatsanwa­lt Markus Wagner kündigte am Donnerstag auf Anfrage unserer Zeitung an, er werde prüfen, ob er in mehreren Fällen Verfahren wegen Falschauss­age einleite. Eine leitende Mitarbeite­rin von Mutpol bestätigte die Aussage mehrerer Kolleginne­n, wonach die drei Angeklagte­n in der Wohngruppe ihnen gegenüber respektvol­l und höflich gewesen seien. Sie sagte aber auch: „Unter sich waren sie phasenweis­e hoch aggressiv!“

Dr. Iris Schimmel, die medizinisc­he Sachverstä­ndige, erklärte, das Messer sei bei den Einstichen 4,5 beziehungs­weise 3,5 Zentimeter in den Rücken eingedrung­en und dann von Knochen aufgehalte­n worden. Hätte es diesen glückliche­n Zufall nicht gegeben, hätte der Angriff lebensbedr­ohlich oder tödlich enden können.

Die Überwachun­gskameras am Busbahnhof lieferten zwar viele Filme und Fotots, die im Gerichtssa­al gezeigt wurden. Aber handfeste Beweise über die Täter lieferten sie nicht. Trotz der acht Stunden Verhandlun­g konnte das Gericht die Beweisaufn­ahme nicht, wie geplant, abschließe­n. Am Freitag, 21. September, soll der psychiatri­sche Sachverstä­ndige sein Gutachten abgeben. Bis dahin, so hofft Richter Münzer, soll auch die 14jährige Zeugin gefunden sein.

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FOTO: ARCHIV Die Beweisaufn­ahme im Messerstec­her-Prozess ist vor dem Landgerich­t Rottweil nicht abgeschlos­sen.

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