Als das „Bähnle“fahren lernte
Trossinger Eisenbahn und Stadtwerke sind „Zwillingsgeschwister“(Teil 2)
TROSSINGEN - Die Stadtwerke Trossingen und das Trossinger „Bähnle“feiern am Samstag gemeinsam ihren 120. Geburtstag. (Wir haben berichtet.) Denn beide gehören zusammen, wie der Freundeskreis Trossinger Eisenbahn im geschichtlichen Rückblick auf seiner Homepage deutlich macht.
Die Trossinger Harmonikaindustrie – und damit auch der Ort selbst – verdanken ihren Aufstieg dem Export von Mundharmonikas, vor allem in die USA. Daher war es ein Segen für die „Bläslesmacher“, als 1869 die Staatliche Eisenbahnstrecke Rottweil - Villingen eröffnet wurde. Mit einem Bahnhof Trossingen! Allerdings lag der natürlich direkt an der genannten Strecke, in der Nähe von Deißlingen, „so weit vom Pfarrdorf Trossingen weg, dass man nicht einmal seinen Kirchturm sehen kann“, wie die Eisenbahnfreunde schreiben. Werkzeuge, Rohstoffe, Holz, Kohlen und Papier mussten mühsam mit Pferdefuhrwerken vier Kilometer weit vom Bahnhof ins Dorf und die fertigen Mundharmonikas ebenso von Trossingen zum Bahnhof gekarrt werden. Ein kühner Plan Die Fabrikanten, die bereits 1865 einen Gewerbeverein gegründet hatten, 1881 ein Telegrafenamt nach Trossingen geholt hatten und 1892 sogar Telefon, nehmen die Situation erneut in die eigene Hand: Der Gewerbeverein schlägt den Bau einer Verbindungsbahn vom Ort zum staatlichen Bahnhof vor – die Geburtsstunde der Trossinger Eisenbahn. Am 6. November 1893 stimmt auch der Gemeinderat dem kühnen Projekt zu. Ein anwesender Experte aus Stuttgart empfiehlt, wegen der starken Steigung im Steppach eine moderne, elektrische Eisenbahn zu bauen, statt der damals üblichen Dampfzüge.
„Zum damaligen Zeitpunkt gibt es in Trossingen kei ne Elektrizität“, stellt der Freundeskreis auf seiner Homepage fest, „– die mutige und weitsichtige Entscheidung wird bei Kerzenlicht getroffen!“
Kaum ist die Baugenehmigung der Württembergischen Staatsregierung da, wird am 10. September 1897 eine„Aktiengesellschaft Elektrizitätswerk und Verbindungsbahn Trossingen“gegründet: 15 risikobereite Aktionäre bringen insgesamt 420 000 Mark ein. Schon im Oktober 1897 sind Ortsbahnhof und E-Werk im Rohbau fertig, die meisten Gleise liegen bereits. So entstehen Stadtwerke und „Bähnle“ parallel und als Zwillingsgeschwister. Triebwagen ins Dorf gezogen Da die Fahrleitung noch nicht in Betrieb ist, werden am 25. November 1898 die beiden neuen Triebwagen sowie der Beiwagen durch die Mitglieder der Feuerwehr und Schüler der Oberschule vom Staatsbahnhof zum Ortsbahnhof gezogen. Die beiden identischen Triebwagen wurden von MAN und AEG gebaut, haben je acht Sitzplätze II. Klasse und 20 Sitzplätze III. Klasse. Zwei Motoren je Triebwagen leisten zusammen 100 kW.
Während der T 2 1961 verschrottet wurde, ist der Triebwagen T 1 noch heute im vom Freundeskreis betriebenen Museum der Trossinger Eisenbahn zu bewundern, ebenso wie der Beiwagen B2, die Kleinlok „Lina“und weitere Fahrzeuge. Und die erhalten gebliebenen Fahrzeuge von 1898 sind noch betriebsbereit und werden bei Sonderfahrten wie am Samstag und bei regelmäßigen „Mondscheinfahrten“noch genutzt und so auf Trab gehalten.
Die Trossinger Eisenbahn eröffnet am 14. Dezember 1898 mit einem zweitägigen Fest ihren Betrieb. „Somit“, so der Freundeskreis, „ist das Pfarrdorf Trossingen mit knapp über 3000 Einwohnern stolzer Besitzer einer elektrischen Eisenbahn sowie eines EWerkes. Gleichzeitig ist es der erste Ort weit und breit mit elektrischer Straßenbeleuchtung. Gaslampen hat es in Trossingen nie gegeben!“