Kämpferherz
Reinhold Dick lebt seit einem Jahr mit einem Kunstherz – Für ihn war es die letzte Option
WURMLINGEN - Reinhold Dick ist ein lebensfroher Gastronom und Koch aus Leidenschaft im Gasthaus „Sternen“in Wurmlingen. Seit seiner Lehre arbeitet er täglich mindestens zwölf Stunden, bis er eines Tages aus der Bahn geworfen wird. „Der 1. März vor sechseinhalb Jahren war mein Todesurteil“, sagt er heute. Nachdem er bei der Arbeit zusammengebrochen war, beleben ihn seine Frau und eine Angestellte wieder. Seit gut einem Jahr trägt Dick eine Tasche mit Akkus bei sich. Es ist ein Teil seines Kunstherzens.
Dicks Kunstherz ist eine Pumpe, die mit den Akkus in der Tasche betrieben wird. Dazu führt ein Kabel von der Tasche in seinen Bauch bis zur Pumpe am Herz, das nicht mehr so gut aus eigener Kraft schlägt. Drei Kilo wiegt die Tasche, die beiden Akkus darin halten 17 Stunden. Im Sommer vergangenen Jahres setzen Ärzte in der Uniklinik Freiburg dem gebürtigen Hattinger das Kunstherz ein. Zwei Tage lang liegt er im künstlichen Koma. „Als ich aufgewacht bin, lag die Tasche neben mir“, erinnert sich der 57-Jährige. „Vom ersten Tag an habe ich mich damit arrangiert.“
Die Geschichte des Gastronomen und Kochs beginnt aber schon weit vorher. Vor siebeneinhalb Jahren wird bei ihm eine koronare Herzerkrankung festgestellt. Dick fühlt sich oft müde, er hat Beschwerden beim Atmen, Wassereinlagerungen in den Beinen sowie Zucker, schlechte Leberund Nierenwerte. Sechsmal wiederbelebt Dann im März 2012, Dick arbeitet damals in der „Traube“in Rietheim, schlägt plötzlich sein Herz wie wild, auf der Brust spürt er einen Druck. „Ich dachte, irgendetwas stimmt nicht“, berichtet der 57-Jährige. Er geht nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Kurz darauf wird er bewusstlos.
Seine Frau und eine Angestellte beleben ihn wieder, und weitere fünf Mal innerhalb von zwei Stunden holen ihn die Ärzte auf der Intensivstation in Tuttlingen wieder ins Leben zurück. „Es hat schlecht ausgesehen“, sagt Dick. Erst nach fünf Stunden geben die Ärzte Entwarnung. Es ist vermutlich ein Herzinfarkt. Ausschlaggebend sei wohl der Stress in der Arbeit gewesen, und auch der Vater habe schon Herzprobleme gehabt, meint Dick.
Der Gastronom bekommt daraufhin einen Defibrillator ins Herz eingesetzt. „Ein Herzschrittmacher mit integriertem Notarzt“, erklärt er die Funktion. Denn der Defibrillator löst bei Herzattacken aus und bringt durch einen Stromschlag das Herz wieder in den richtigen Rhythmus. Während seiner Reha in Bad Krozingen erholt sich Dick gut. Doch dann folgt ein Rückschlag: Im Jahr 2016 verschlechtert sich seine Gesundheit wieder, und wieder leidet er unter Atemnot, Wassereinlagerungen, seine Leberund Nierenwerte sind schlecht.
„Es war eigentlich nichts mehr groß zu machen. Die Nieren, das Herz und die Leber: Alles hat versagt“, berichtet Dick. In einer Not-Operation probieren die Ärzte „alles, was geht, um das Herz wieder zu stabilisieren“– mit Erfolg. Zwei Tage später wird er in die Uniklinik Freiburg gebracht. „Das Kunstherz war die letzte Option“, sagt der Gastronom und Koch, nachdem auch einige Blutbahnen verödet worden sind. Ohne das Kunstherz hätte er vielleicht noch zwei Jahre gelebt. Nach drei Monaten im Krankenhaus darf er nach Hause.
Dick erzählt, dass er diese Zeit dank seiner Familie, seiner Frau, den drei Kindern und fünf Enkelkindern, gut verarbeitet habe. Auch sein Betrieb mit den 15 Mitarbeitern habe ihn immer motiviert, gesund zu werden. Im November vergangenen Jahres folgt der nächste Rückschlag: „Meine Frau und ich sind Essen gegangen. Als wir ins Auto gestiegen sind, habe ich einen Druck in der Brust gespürt“, erinnert sich Dick. Gerade noch rechtzeitig kann er das Auto auf die Seite fahren, dann löst sein Defibrillator aus – insgesamt sieben Mal. „Das hat sich von innen angefühlt wie eine Handgranate, die es zerreißt. Da zuckt der ganze Körper“, beschreibt er. „Das war ein psychischer Totschlag.“Und wieder kommt Dick ins Krankenhaus und danach in die Reha.
Spurlos gehen die Rückschläge nicht an dem 57-Jährigen vorbei. „Ich habe mit dem Gedanken gespielt, in die Schweiz zu fahren und mein Leben zu beenden“, schildert er. Hinzu kommt, dass er im Alltag eingeschränkt ist. Bei Hitze zieht er sich in kühlere Räume zurück, und auch bei Tiefdruck streikt der Körper. Zwei bis drei Stunden am Tag arbeitet er noch, bereitet beispielsweise Soßen vor. Doch dann braucht Dick wieder eine Pause. „Das geht manchmal auf die Psyche“, sagt der Koch und Gastronom. Keine Angst vor dem Tod „Im Prinzip bin ich immer noch der gleiche“, meint Dick. Und doch habe sich der Alltag verändert, „weil sich alles auf mich konzentriert“. Seine Frau lasse ihn keine Sekunde mehr aus den Augen, und seine Kinder kämen bestimmt zehn Mal am Tag zu ihm, um sich zu erkundigen, wie es ihm gehe, berichtet er. Alle zwei bis drei Tage müsse sein Verband am Bauch, wo das Kabel zur Pumpe führt, gewechselt werden. Regelmäßig muss er nach Freiburg zum Herzultraschall.
„Mittlerweile kann ich gut mit meiner Krankheit umgehen. Ich steigere mich da nicht rein“, sagt Dick und ergänzt: „Ich weiß, dass mein Leben jederzeit zu Ende sein kann. Angst vor dem Tod habe ich nicht. Wenn es so sein soll, dann ist es so.“Sollte der Defibrillator noch öfter auslösen oder sich auch die rechte Herzhälfte verschlechtern, wäre die letzte Option ein Spenderherz. Stand heute lehnt Dick diesen Schritt ab: „Man liegt bis zu eineinhalb Jahren im Krankenhaus und wartet, und die Chance, dass das Herz angenommen wird, liegt 50 zu 50. Das will ich nicht machen. Dann will ich lieber sterben.“
In fünf Jahren soll Dick eine neue Pumpe, also ein neues Kunstherz, bekommen. Vielleicht ist die Medizin bis dahin schon so fortgeschritten, dass er ein Kunstherz implantiert bekommt und keine Tasche mehr bei sich tragen muss.
„Das hat sich von innen angefühlt wie eine Handgranate, die es zerreißt“, sagt der Wurmlinger Gastronom und Koch Reinhold Dick