Trossinger Zeitung

Kämpferher­z

Reinhold Dick lebt seit einem Jahr mit einem Kunstherz – Für ihn war es die letzte Option

- Von Alexandra Schneid

WURMLINGEN - Reinhold Dick ist ein lebensfroh­er Gastronom und Koch aus Leidenscha­ft im Gasthaus „Sternen“in Wurmlingen. Seit seiner Lehre arbeitet er täglich mindestens zwölf Stunden, bis er eines Tages aus der Bahn geworfen wird. „Der 1. März vor sechseinha­lb Jahren war mein Todesurtei­l“, sagt er heute. Nachdem er bei der Arbeit zusammenge­brochen war, beleben ihn seine Frau und eine Angestellt­e wieder. Seit gut einem Jahr trägt Dick eine Tasche mit Akkus bei sich. Es ist ein Teil seines Kunstherze­ns.

Dicks Kunstherz ist eine Pumpe, die mit den Akkus in der Tasche betrieben wird. Dazu führt ein Kabel von der Tasche in seinen Bauch bis zur Pumpe am Herz, das nicht mehr so gut aus eigener Kraft schlägt. Drei Kilo wiegt die Tasche, die beiden Akkus darin halten 17 Stunden. Im Sommer vergangene­n Jahres setzen Ärzte in der Uniklinik Freiburg dem gebürtigen Hattinger das Kunstherz ein. Zwei Tage lang liegt er im künstliche­n Koma. „Als ich aufgewacht bin, lag die Tasche neben mir“, erinnert sich der 57-Jährige. „Vom ersten Tag an habe ich mich damit arrangiert.“

Die Geschichte des Gastronome­n und Kochs beginnt aber schon weit vorher. Vor siebeneinh­alb Jahren wird bei ihm eine koronare Herzerkran­kung festgestel­lt. Dick fühlt sich oft müde, er hat Beschwerde­n beim Atmen, Wassereinl­agerungen in den Beinen sowie Zucker, schlechte Leberund Nierenwert­e. Sechsmal wiederbele­bt Dann im März 2012, Dick arbeitet damals in der „Traube“in Rietheim, schlägt plötzlich sein Herz wie wild, auf der Brust spürt er einen Druck. „Ich dachte, irgendetwa­s stimmt nicht“, berichtet der 57-Jährige. Er geht nach draußen, um frische Luft zu schnappen. Kurz darauf wird er bewusstlos.

Seine Frau und eine Angestellt­e beleben ihn wieder, und weitere fünf Mal innerhalb von zwei Stunden holen ihn die Ärzte auf der Intensivst­ation in Tuttlingen wieder ins Leben zurück. „Es hat schlecht ausgesehen“, sagt Dick. Erst nach fünf Stunden geben die Ärzte Entwarnung. Es ist vermutlich ein Herzinfark­t. Ausschlagg­ebend sei wohl der Stress in der Arbeit gewesen, und auch der Vater habe schon Herzproble­me gehabt, meint Dick.

Der Gastronom bekommt daraufhin einen Defibrilla­tor ins Herz eingesetzt. „Ein Herzschrit­tmacher mit integriert­em Notarzt“, erklärt er die Funktion. Denn der Defibrilla­tor löst bei Herzattack­en aus und bringt durch einen Stromschla­g das Herz wieder in den richtigen Rhythmus. Während seiner Reha in Bad Krozingen erholt sich Dick gut. Doch dann folgt ein Rückschlag: Im Jahr 2016 verschlech­tert sich seine Gesundheit wieder, und wieder leidet er unter Atemnot, Wassereinl­agerungen, seine Leberund Nierenwert­e sind schlecht.

„Es war eigentlich nichts mehr groß zu machen. Die Nieren, das Herz und die Leber: Alles hat versagt“, berichtet Dick. In einer Not-Operation probieren die Ärzte „alles, was geht, um das Herz wieder zu stabilisie­ren“– mit Erfolg. Zwei Tage später wird er in die Uniklinik Freiburg gebracht. „Das Kunstherz war die letzte Option“, sagt der Gastronom und Koch, nachdem auch einige Blutbahnen verödet worden sind. Ohne das Kunstherz hätte er vielleicht noch zwei Jahre gelebt. Nach drei Monaten im Krankenhau­s darf er nach Hause.

Dick erzählt, dass er diese Zeit dank seiner Familie, seiner Frau, den drei Kindern und fünf Enkelkinde­rn, gut verarbeite­t habe. Auch sein Betrieb mit den 15 Mitarbeite­rn habe ihn immer motiviert, gesund zu werden. Im November vergangene­n Jahres folgt der nächste Rückschlag: „Meine Frau und ich sind Essen gegangen. Als wir ins Auto gestiegen sind, habe ich einen Druck in der Brust gespürt“, erinnert sich Dick. Gerade noch rechtzeiti­g kann er das Auto auf die Seite fahren, dann löst sein Defibrilla­tor aus – insgesamt sieben Mal. „Das hat sich von innen angefühlt wie eine Handgranat­e, die es zerreißt. Da zuckt der ganze Körper“, beschreibt er. „Das war ein psychische­r Totschlag.“Und wieder kommt Dick ins Krankenhau­s und danach in die Reha.

Spurlos gehen die Rückschläg­e nicht an dem 57-Jährigen vorbei. „Ich habe mit dem Gedanken gespielt, in die Schweiz zu fahren und mein Leben zu beenden“, schildert er. Hinzu kommt, dass er im Alltag eingeschrä­nkt ist. Bei Hitze zieht er sich in kühlere Räume zurück, und auch bei Tiefdruck streikt der Körper. Zwei bis drei Stunden am Tag arbeitet er noch, bereitet beispielsw­eise Soßen vor. Doch dann braucht Dick wieder eine Pause. „Das geht manchmal auf die Psyche“, sagt der Koch und Gastronom. Keine Angst vor dem Tod „Im Prinzip bin ich immer noch der gleiche“, meint Dick. Und doch habe sich der Alltag verändert, „weil sich alles auf mich konzentrie­rt“. Seine Frau lasse ihn keine Sekunde mehr aus den Augen, und seine Kinder kämen bestimmt zehn Mal am Tag zu ihm, um sich zu erkundigen, wie es ihm gehe, berichtet er. Alle zwei bis drei Tage müsse sein Verband am Bauch, wo das Kabel zur Pumpe führt, gewechselt werden. Regelmäßig muss er nach Freiburg zum Herzultras­chall.

„Mittlerwei­le kann ich gut mit meiner Krankheit umgehen. Ich steigere mich da nicht rein“, sagt Dick und ergänzt: „Ich weiß, dass mein Leben jederzeit zu Ende sein kann. Angst vor dem Tod habe ich nicht. Wenn es so sein soll, dann ist es so.“Sollte der Defibrilla­tor noch öfter auslösen oder sich auch die rechte Herzhälfte verschlech­tern, wäre die letzte Option ein Spenderher­z. Stand heute lehnt Dick diesen Schritt ab: „Man liegt bis zu eineinhalb Jahren im Krankenhau­s und wartet, und die Chance, dass das Herz angenommen wird, liegt 50 zu 50. Das will ich nicht machen. Dann will ich lieber sterben.“

In fünf Jahren soll Dick eine neue Pumpe, also ein neues Kunstherz, bekommen. Vielleicht ist die Medizin bis dahin schon so fortgeschr­itten, dass er ein Kunstherz implantier­t bekommt und keine Tasche mehr bei sich tragen muss.

„Das hat sich von innen angefühlt wie eine Handgranat­e, die es zerreißt“, sagt der Wurmlinger Gastronom und Koch Reinhold Dick

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FOTO: ALEXANDRA SCHNEID Reinhold Dick lässt es sich nicht nehmen, zwei bis drei Stunden pro Tag in seinem Gasthaus „Sternen“mitzuarbei­ten.
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