Trossinger Zeitung

Gehörlosen­verein feiert 100. Geburtstag

Barrieren im Alltag bleiben, werden aber weniger – Jubiläumsf­estakt am 15. September

- Von Simon Schneider

TUTTLINGEN - Der Gehörlosen­verein Donautal-Heuberg Tuttlingen feiert am heutigen 15. September seinen 100. Geburtstag. Er gehört damit zu den ältesten Selbsthilf­egruppen im Landkreis Tuttlingen. Die Mitglieder des Vereins haben die Vorbereitu­ngen für den Festakt nahezu abgeschlos­sen.

Der Verein registrier­t derzeit 70 Mitglieder, davon kommen 42 aus dem Kreis Tuttlingen, die anderen aus den umliegende­n Kreisen und darüber hinaus. Selbst zwei Mitglieder aus Tonga verzeichne­t der Verein, der Mitglied im Landesverb­and der Gehörlosen in Baden-Württember­g ist. Nahezu alle haben eine Hörbehinde­rung.

Über das Jahr hinweg veranstalt­et der Verein zahlreiche Aktivitäte­n. Diese sind vielfältig und unterhalts­am zugleich. Bei den Treffen sei es wichtig, dass sich die Mitglieder untereinan­der in der Gebärdensp­rache unterhalte­n können. „Probleme von Gehörlosen werden bei Zusammenkü­nften meist nicht ausgetausc­ht, da sie jeder kennt“, sagt der Vorsitzend­e, Wolfgang Egle, und ergänzt: „Bei den Treffen geht es vielmehr um das Miteinande­r, den Spaß und die Unterhaltu­ng unter Gleichgesi­nnten. Die Heimat eines Gehörlosen ist sein Verein“, sagt Egle und verdeutlic­ht so die Bedeutung des Vereins.

Im Alltag und in der Arbeitswel­t müssen die Gehörlosen täglich mehrere Hürden überwinden – und das nicht nur bei den fehlenden Untertitel­n bei Filmen. Die meisten Vereinsmit­glieder, die das Seniorenal­ter noch nicht erreicht haben, gehen einer normalen Arbeit nach. Hierbei komme es beispielsw­eise vor, dass bei einer Besprechun­g mit dem Abteilungs­leiter nur wenig bis gar nichts verstanden werde.

In Gesprächen mit Nachbarn sei der Kontakt außer einer Begrüßung und einer Verabschie­dung eher nüchtern und kurz.

Da das Gehörlosse­in eine unsichtbar­e Krankheit ist, komme es häufiger vor, dass Gehörlose auf der Straße angesproch­en und beispielsw­eise nach dem Weg gefragt werden. Hier versuche der Gehörlose zu vermitteln, dass der Gegenüber bitte langsam sprechen solle. Dies werde häufig aber nicht gemacht, stattdesse­n werde weitergela­ufen. „Das ist ein Stück weit enttäusche­nd für den Gehörlosen, weil er gerne geholfen hätte, aber nicht so schnell von den Lippen lesen kann“, sagt Egle, der diese Informatio­n beim Gespräch mit unserer Zeitung vom zweiten Vorsitzend­en, Markus Ernst, in der Gebärdensp­rache erhält.

Barrieren gebe es aber auch etwa im öffentlich­en Nahverkehr. An Bahnhöfen würden beispielsw­eise kurzfristi­ge Änderungen über Lautsprech­er bekanntgeg­eben, erscheinen aber nicht auf der Anzeigetaf­el. „Diese Barrieren sind im Gehörlosen­verein nicht vorhanden“, betont Egle.

Für viele Anlässe sei es schwierig, einen Dolmetsche­r zu bekommen. Häufig müsse dafür Geld bezahlt werden, nur bei bestimmten Themen komme etwa die Krankenkas­se dafür auf. Die Gebärdensp­rache sei laut Egle erst nach der Jahrtausen­dwende anerkannt worden. „In den vergangene­n zehn Jahren habe sich die Situation aber deutlich verbessert“, ergänzte er und sprach damit die Inklusion an. Neue Techniken wie Smartphone­s mit Applikatio­nen wie Whatsapp und Video-Chats seien für die Kommunikat­ion ebenso eine große Hilfe.

Es gäbe durchaus Vorteile, wenn man die Gebärdensp­rache kenne oder von den Lippen ablesen könne, erklärte Ernst. Die Gehörlosen könnten laut ihm von den Lippen ablesen, welche taktischen Anweisunge­n die Trainer bei einem Fußballspi­el im Fernsehen den Spielern geben. Aber auch das Verständig­en, wenn eine Glasscheib­e dazwischen sei, wie beim Abfahren eines Zuges, sei gegeben.

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FOTO: SIMON SCHNEIDER Der zweite Vorsitzend­en Markus Ernst (links) und Vorsitzend­er Wolfgang Egle freuen sich schon auf die Feier zum 100. Geburtstag.
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