Gehörlosenverein feiert 100. Geburtstag
Barrieren im Alltag bleiben, werden aber weniger – Jubiläumsfestakt am 15. September
TUTTLINGEN - Der Gehörlosenverein Donautal-Heuberg Tuttlingen feiert am heutigen 15. September seinen 100. Geburtstag. Er gehört damit zu den ältesten Selbsthilfegruppen im Landkreis Tuttlingen. Die Mitglieder des Vereins haben die Vorbereitungen für den Festakt nahezu abgeschlossen.
Der Verein registriert derzeit 70 Mitglieder, davon kommen 42 aus dem Kreis Tuttlingen, die anderen aus den umliegenden Kreisen und darüber hinaus. Selbst zwei Mitglieder aus Tonga verzeichnet der Verein, der Mitglied im Landesverband der Gehörlosen in Baden-Württemberg ist. Nahezu alle haben eine Hörbehinderung.
Über das Jahr hinweg veranstaltet der Verein zahlreiche Aktivitäten. Diese sind vielfältig und unterhaltsam zugleich. Bei den Treffen sei es wichtig, dass sich die Mitglieder untereinander in der Gebärdensprache unterhalten können. „Probleme von Gehörlosen werden bei Zusammenkünften meist nicht ausgetauscht, da sie jeder kennt“, sagt der Vorsitzende, Wolfgang Egle, und ergänzt: „Bei den Treffen geht es vielmehr um das Miteinander, den Spaß und die Unterhaltung unter Gleichgesinnten. Die Heimat eines Gehörlosen ist sein Verein“, sagt Egle und verdeutlicht so die Bedeutung des Vereins.
Im Alltag und in der Arbeitswelt müssen die Gehörlosen täglich mehrere Hürden überwinden – und das nicht nur bei den fehlenden Untertiteln bei Filmen. Die meisten Vereinsmitglieder, die das Seniorenalter noch nicht erreicht haben, gehen einer normalen Arbeit nach. Hierbei komme es beispielsweise vor, dass bei einer Besprechung mit dem Abteilungsleiter nur wenig bis gar nichts verstanden werde.
In Gesprächen mit Nachbarn sei der Kontakt außer einer Begrüßung und einer Verabschiedung eher nüchtern und kurz.
Da das Gehörlossein eine unsichtbare Krankheit ist, komme es häufiger vor, dass Gehörlose auf der Straße angesprochen und beispielsweise nach dem Weg gefragt werden. Hier versuche der Gehörlose zu vermitteln, dass der Gegenüber bitte langsam sprechen solle. Dies werde häufig aber nicht gemacht, stattdessen werde weitergelaufen. „Das ist ein Stück weit enttäuschend für den Gehörlosen, weil er gerne geholfen hätte, aber nicht so schnell von den Lippen lesen kann“, sagt Egle, der diese Information beim Gespräch mit unserer Zeitung vom zweiten Vorsitzenden, Markus Ernst, in der Gebärdensprache erhält.
Barrieren gebe es aber auch etwa im öffentlichen Nahverkehr. An Bahnhöfen würden beispielsweise kurzfristige Änderungen über Lautsprecher bekanntgegeben, erscheinen aber nicht auf der Anzeigetafel. „Diese Barrieren sind im Gehörlosenverein nicht vorhanden“, betont Egle.
Für viele Anlässe sei es schwierig, einen Dolmetscher zu bekommen. Häufig müsse dafür Geld bezahlt werden, nur bei bestimmten Themen komme etwa die Krankenkasse dafür auf. Die Gebärdensprache sei laut Egle erst nach der Jahrtausendwende anerkannt worden. „In den vergangenen zehn Jahren habe sich die Situation aber deutlich verbessert“, ergänzte er und sprach damit die Inklusion an. Neue Techniken wie Smartphones mit Applikationen wie Whatsapp und Video-Chats seien für die Kommunikation ebenso eine große Hilfe.
Es gäbe durchaus Vorteile, wenn man die Gebärdensprache kenne oder von den Lippen ablesen könne, erklärte Ernst. Die Gehörlosen könnten laut ihm von den Lippen ablesen, welche taktischen Anweisungen die Trainer bei einem Fußballspiel im Fernsehen den Spielern geben. Aber auch das Verständigen, wenn eine Glasscheibe dazwischen sei, wie beim Abfahren eines Zuges, sei gegeben.