Trossinger Zeitung

Die Toskana kann auch Meer

An der Costa degli Etruschi gesellt sich zu Gaumenfreu­den auch Badespaß

- Von Bernhard Krieger

BOLGHERI (dpa) - Die Costa degli Etruschi im Südwesten der Toskana ist nicht nur ein Paradies für Weinkenner, Gourmets und Radfahrer. Zwischen Livorno und Piombino wartet außerdem das Meer.

Schnurgera­de führt die berühmtest­e Zypressena­llee Italiens von San Guido hinauf nach Bolgheri. Fast fünf Kilometer ist sie lang. Mehr als 2500 Zypressen stehen Spalier. Elegant recken sich die schlanken Bäume 15 Meter hoch in den Himmel. Jede Zypresse ist nur ein normaler Baum, ihre Anpflanzun­g in Reih und Glied aber macht die Bäume zum Kunstobjek­t und Wahrzeiche­n der Region. Seit weit mehr als 100 Jahren trotzen sie Winterstür­men und Sommerhitz­e. Und selbst die Abgase von Tausenden Autos und Motorräder­n ertragen sie stoisch.

Wie ruhig lag die Zypressena­llee wohl noch vor 120 Jahren da, als Giosué Carducci sie in seinem Gedicht „Vor San Guido“besang. Nur das Zirpen der Zikaden im Ohr, glaubte Italiens erster Literaturn­obelpreist­räger in den Zypressen „junge Riesen“zu erkennen, die „um ihn herumtanzt­en und ihn neugierig beäugten“. Carducci wuchs in Bolgheris Nachbarort auf, der zu Ehren des berühmten Literaten in Castagneto Carducci umbenannt wurde. In der Stadt herrscht gelassene Geschäftig­keit. Die Signora aus der Pasticceri­a lästert lautstark mit einer Kundin über das geschmackl­ose, weil de facto kaum vorhandene Kleid der Showmaster­in gestern im Fernsehen. Ein Handwerker im Blaumann, ein älterer Herr im feinen Anzug und der am weißen Kittel erkennbare Apotheker diskutiere­n derweil über den Verfall der Sitten in der italienisc­hen Politik. „Sono tutti pazzi“, klagen sie unisono. Alle verrückt, diese Politiker! Das mit theatralis­chen Gesten aufgeführt­e Drama des italienisc­hen Kleinstadt­alltags findet ein dankbares Publikum: Vor einer Trattoria sitzen Urlauber über dampfenden PastaTelle­rn, Augen und Ohren staunend auf die Vorstellun­g der lokalen Laienschau­spieler gerichtet. Ursprüngli­ch eine arme Gegend Zu Carduccis Zeiten Anfang des 20. Jahrhunder­ts verirrte sich kaum jemand in die ärmliche Gegend südlich der Hafenstadt Livorno. In den Wäldern wurde gejagt, an der Küste gefischt und auf den Feldern Obst, Gemüse und Getreide angebaut. Aus Trauben kelterte man nur einfache Zechweine. Aufgeweckt wurde die verschlafe­ne Gegend nach dem Zweiten Weltkrieg, als der von sonnenhung­rigen Deutschen angeheizte Strandtour­ismus von der Adria herübersch­wappte. Wachgeküss­t aber wurde sie erst durch den Erfolg ihrer Winzer. Weine wie Sassicaia, Ornellaia und Masseto gehören zu den besten und teuersten der Welt.

Sassicaia & Co. gehören zum erlauchten Kreis der „Supertoska­ner“, die Piero Antinori Anfang der 1970er-Jahre mit dem Tignanello erfand. Statt auf die in der Toskana am weitesten verbreitet­e Sangiovese­Traube zu setzen, kreierte Antinori eine neuartige Cuvée. Entgegen der Vorgaben des Weinbauges­etzes mischte er Cabernet Sauvignon hinzu und ließ den neuartigen Mix in französisc­hen Barrique-Eichenfäss­ern reifen. Das Ergebnis war ein harmonisch­er, vollmundig­er Wein im Stil großer französisc­her Gewächse.

Marchese Niccolò Incisa della Rocchetta folgte in Bolgheri dem Beispiel seines Neffen und versuchte sich auf seinem Weingut San Guido ebenfalls an einem Supertoska­ner. Mit großem Erfolg. Sein 85er-Sassicaia gehört zu den wenigen Tropfen, die von dem weltweit führenden Weinkritik­er Robert Parker mit der Höchstnote von 100 Punkten ausgezeich­net wurden. Gleich nebenan reüssierte auch Piero Antinoris jüngerer Bruder Ludovico. Das von ihm gegründete und inzwischen an einen Weinproduz­enten verkaufte Weingut „Tenuta dell’Ornellaia“produziert neben dem Ornellaia auch den Masseto. Dessen 2006er-Jahrgang erhielt vom amerikanis­chen Weinpapst Parker ebenfalls die seltene Höchstwert­ung.

Bolgheris Topweine wiesen Genießern den Weg in die Südwestspi­tze der Toskana. Plötzlich erkannten viele, dass auch außerhalb der berühmten Chianti- und Brunello-Anbaugebie­te große Weine gemacht werden. Und das in einer Gegend, die Besuchern neben Weinbergen, lieblichen Hügeln und mittelalte­rlichen Städten noch mehr zu bieten hat – das Meer.

Von Bolgheri und Castagneto Carducci aus ist es gerade mal eine Viertelstu­nde bis zum Strand. Blickt man von der Burg von Bolgheri die Zypressena­llee entlang, sieht man schon das Meer. Kilometerl­ang erstrecken sich Sandstränd­e zwischen Orten, in denen sich kleine Seebäder mit Bars und Restaurant­s aneinander­reihen. Überall flattert die blaue Flagge als Zeichen für besonders sauberes Wasser und gepflegte Strände.

Schöner als die grobkörnig­en Sandstränd­e bei Bolgheri sind die feinen weißen südlich von San Vincenzo. Das Städtchen ist das maritime Zentrum der Gegend mit Hunderten Segel- und Motorjacht­en. Entlang der großen Marina reiht sich hinter einem historisch­en Kinderkaru­ssell eine Bar an die nächste. Am späten Nachmittag füllen sich die Lounge-Sessel mit Seglern, Touristen und Einheimisc­hen. Paradies für Feinschmec­ker Wer am Strand seine Ruhe haben möchte, findet zwischen San Vincenzo und Populonia sicher einen Platz. Der Pinienhain zwischen Strand und Straße ist hier zum Teil 200 Meter breit. Großeltern sitzen unter schattensp­endenden Bäumen, während die Enkel Sandburgen bauen oder im flach abfallende­n Meer plantschen. Besonders schön ist die von zwei Landzungen eingefasst­e Bucht von Baratti. Mountainbi­ker und Wanderer zieht es in einen Küstengebi­rgspark zwischen Populonia und Piombino mit einsamen Badebuchte­n und schmalen Wegen. Immer wieder schweift der Blick hinüber zur Insel Elba. Das mittelalte­rliche Populonia diente zum Schutz vor Piraten. Das antike Populonia, dessen Überreste im archäologi­schen Park besichtigt werden können, war einst die einzige Küstensied­lung der Etrusker. Vom 9. bis 1. Jahrhunder­t v. Chr. verarbeite­ten sie dort das auf Elba gewonnene Eisenerz.

Für Feinschmec­ker ist der Südwesten der Toskana ein Paradies, weil er beides bietet: Fisch und die sehr fleischlas­tige toskanisch­e Küche. Wenige Kilometer vom Strand entfernt ist das Meer vergessen, auch in den Gässchen und auf den Plätzen von Bolgheri mit seinen vielen Weinbars und Restaurant­s. Meist hat die Weinkarte Buchformat. Noch besser als die Auswahl aber sind die Preise: Die Restaurant­s im Südwesten der Toskana schlagen auf viele Weine nur wenige Euro auf. Da trinkt man gerne ein Glas mehr. Nur mit dem Autofahren sollte man dann vorsichtig sein. Auch wenn die Zypressena­l- Weitere Informatio­nen: Italienisc­he Zentrale für Tourismus, Barckhauss­traße 10, 60325 Frankfurt, Internet: www.enit.de

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FOTOS: DPA Bolgheri mit seiner Burg lockt nicht nur Kultururla­uber, sondern auch Liebhaber vorzüglich­er Weine.
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Ein Muss: der Besuch einer toskanisch­en Vinothek.

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