Die Toskana kann auch Meer
An der Costa degli Etruschi gesellt sich zu Gaumenfreuden auch Badespaß
BOLGHERI (dpa) - Die Costa degli Etruschi im Südwesten der Toskana ist nicht nur ein Paradies für Weinkenner, Gourmets und Radfahrer. Zwischen Livorno und Piombino wartet außerdem das Meer.
Schnurgerade führt die berühmteste Zypressenallee Italiens von San Guido hinauf nach Bolgheri. Fast fünf Kilometer ist sie lang. Mehr als 2500 Zypressen stehen Spalier. Elegant recken sich die schlanken Bäume 15 Meter hoch in den Himmel. Jede Zypresse ist nur ein normaler Baum, ihre Anpflanzung in Reih und Glied aber macht die Bäume zum Kunstobjekt und Wahrzeichen der Region. Seit weit mehr als 100 Jahren trotzen sie Winterstürmen und Sommerhitze. Und selbst die Abgase von Tausenden Autos und Motorrädern ertragen sie stoisch.
Wie ruhig lag die Zypressenallee wohl noch vor 120 Jahren da, als Giosué Carducci sie in seinem Gedicht „Vor San Guido“besang. Nur das Zirpen der Zikaden im Ohr, glaubte Italiens erster Literaturnobelpreisträger in den Zypressen „junge Riesen“zu erkennen, die „um ihn herumtanzten und ihn neugierig beäugten“. Carducci wuchs in Bolgheris Nachbarort auf, der zu Ehren des berühmten Literaten in Castagneto Carducci umbenannt wurde. In der Stadt herrscht gelassene Geschäftigkeit. Die Signora aus der Pasticceria lästert lautstark mit einer Kundin über das geschmacklose, weil de facto kaum vorhandene Kleid der Showmasterin gestern im Fernsehen. Ein Handwerker im Blaumann, ein älterer Herr im feinen Anzug und der am weißen Kittel erkennbare Apotheker diskutieren derweil über den Verfall der Sitten in der italienischen Politik. „Sono tutti pazzi“, klagen sie unisono. Alle verrückt, diese Politiker! Das mit theatralischen Gesten aufgeführte Drama des italienischen Kleinstadtalltags findet ein dankbares Publikum: Vor einer Trattoria sitzen Urlauber über dampfenden PastaTellern, Augen und Ohren staunend auf die Vorstellung der lokalen Laienschauspieler gerichtet. Ursprünglich eine arme Gegend Zu Carduccis Zeiten Anfang des 20. Jahrhunderts verirrte sich kaum jemand in die ärmliche Gegend südlich der Hafenstadt Livorno. In den Wäldern wurde gejagt, an der Küste gefischt und auf den Feldern Obst, Gemüse und Getreide angebaut. Aus Trauben kelterte man nur einfache Zechweine. Aufgeweckt wurde die verschlafene Gegend nach dem Zweiten Weltkrieg, als der von sonnenhungrigen Deutschen angeheizte Strandtourismus von der Adria herüberschwappte. Wachgeküsst aber wurde sie erst durch den Erfolg ihrer Winzer. Weine wie Sassicaia, Ornellaia und Masseto gehören zu den besten und teuersten der Welt.
Sassicaia & Co. gehören zum erlauchten Kreis der „Supertoskaner“, die Piero Antinori Anfang der 1970er-Jahre mit dem Tignanello erfand. Statt auf die in der Toskana am weitesten verbreitete SangioveseTraube zu setzen, kreierte Antinori eine neuartige Cuvée. Entgegen der Vorgaben des Weinbaugesetzes mischte er Cabernet Sauvignon hinzu und ließ den neuartigen Mix in französischen Barrique-Eichenfässern reifen. Das Ergebnis war ein harmonischer, vollmundiger Wein im Stil großer französischer Gewächse.
Marchese Niccolò Incisa della Rocchetta folgte in Bolgheri dem Beispiel seines Neffen und versuchte sich auf seinem Weingut San Guido ebenfalls an einem Supertoskaner. Mit großem Erfolg. Sein 85er-Sassicaia gehört zu den wenigen Tropfen, die von dem weltweit führenden Weinkritiker Robert Parker mit der Höchstnote von 100 Punkten ausgezeichnet wurden. Gleich nebenan reüssierte auch Piero Antinoris jüngerer Bruder Ludovico. Das von ihm gegründete und inzwischen an einen Weinproduzenten verkaufte Weingut „Tenuta dell’Ornellaia“produziert neben dem Ornellaia auch den Masseto. Dessen 2006er-Jahrgang erhielt vom amerikanischen Weinpapst Parker ebenfalls die seltene Höchstwertung.
Bolgheris Topweine wiesen Genießern den Weg in die Südwestspitze der Toskana. Plötzlich erkannten viele, dass auch außerhalb der berühmten Chianti- und Brunello-Anbaugebiete große Weine gemacht werden. Und das in einer Gegend, die Besuchern neben Weinbergen, lieblichen Hügeln und mittelalterlichen Städten noch mehr zu bieten hat – das Meer.
Von Bolgheri und Castagneto Carducci aus ist es gerade mal eine Viertelstunde bis zum Strand. Blickt man von der Burg von Bolgheri die Zypressenallee entlang, sieht man schon das Meer. Kilometerlang erstrecken sich Sandstrände zwischen Orten, in denen sich kleine Seebäder mit Bars und Restaurants aneinanderreihen. Überall flattert die blaue Flagge als Zeichen für besonders sauberes Wasser und gepflegte Strände.
Schöner als die grobkörnigen Sandstrände bei Bolgheri sind die feinen weißen südlich von San Vincenzo. Das Städtchen ist das maritime Zentrum der Gegend mit Hunderten Segel- und Motorjachten. Entlang der großen Marina reiht sich hinter einem historischen Kinderkarussell eine Bar an die nächste. Am späten Nachmittag füllen sich die Lounge-Sessel mit Seglern, Touristen und Einheimischen. Paradies für Feinschmecker Wer am Strand seine Ruhe haben möchte, findet zwischen San Vincenzo und Populonia sicher einen Platz. Der Pinienhain zwischen Strand und Straße ist hier zum Teil 200 Meter breit. Großeltern sitzen unter schattenspendenden Bäumen, während die Enkel Sandburgen bauen oder im flach abfallenden Meer plantschen. Besonders schön ist die von zwei Landzungen eingefasste Bucht von Baratti. Mountainbiker und Wanderer zieht es in einen Küstengebirgspark zwischen Populonia und Piombino mit einsamen Badebuchten und schmalen Wegen. Immer wieder schweift der Blick hinüber zur Insel Elba. Das mittelalterliche Populonia diente zum Schutz vor Piraten. Das antike Populonia, dessen Überreste im archäologischen Park besichtigt werden können, war einst die einzige Küstensiedlung der Etrusker. Vom 9. bis 1. Jahrhundert v. Chr. verarbeiteten sie dort das auf Elba gewonnene Eisenerz.
Für Feinschmecker ist der Südwesten der Toskana ein Paradies, weil er beides bietet: Fisch und die sehr fleischlastige toskanische Küche. Wenige Kilometer vom Strand entfernt ist das Meer vergessen, auch in den Gässchen und auf den Plätzen von Bolgheri mit seinen vielen Weinbars und Restaurants. Meist hat die Weinkarte Buchformat. Noch besser als die Auswahl aber sind die Preise: Die Restaurants im Südwesten der Toskana schlagen auf viele Weine nur wenige Euro auf. Da trinkt man gerne ein Glas mehr. Nur mit dem Autofahren sollte man dann vorsichtig sein. Auch wenn die Zypressenal- Weitere Informationen: Italienische Zentrale für Tourismus, Barckhausstraße 10, 60325 Frankfurt, Internet: www.enit.de