Alte Schönheiten aus Stahl kommen wieder in Mode
Wer ein Vintage-Rennrad kaufen will, muss einiges beachten – Die Probefahrt gehört immer dazu
BERLIN/GÖTTINGEN (dpa) - Filigrane Stahlrohre, grazile Speichen, schmale Reifen und oft knallbunte Farben: Alte Rennräder liegen im Trend, nicht nur in Großstädten. Doch gerade dort treten sie geballt auf: „Wenn man durch Berlin, Hamburg oder London läuft, sieht man sie sehr häufig“, sagt David Koßmann vom Pressedienst Fahrrad (pd-f). Doch was kosten diese sportlichen Fahrräder der 1970er- bis 1990er-Jahre, und was sollten Einsteiger beachten?
Woher kommt die Begeisterung überhaupt? „Wie bei allen alten Dingen spielt ein gewisser Seltenheitswert eine Rolle“, sagt Arne Göbbels vom Fachgeschäft Steel Vintage Bikes in Berlin. „Vielleicht war es das eigene Traumrad, das man sich nicht leisten konnte, als man klein war. Oder es sind Räder, auf denen Champions sehr berühmte Rennen gewonnen haben.“
Die Beschaffung ist dabei gar nicht so schwer. „Auf dem Flohmarkt findet man viel, aber auch viel Mist“, sagt Koßmann. Im Internet ist das Angebot größer, etwa auf Auktionsoder Kleinanzeigenportalen. Alternativ bieten sich mittlerweile auch Spezialgeschäfte an. Sehr haltbare Rahmen Die alten Rahmen sind in der Regel gemufft, teilweise oder ganz verchromt, sodass sie grundsätzlich sehr haltbar sind. Ein weiterer Vorteil: Schäden zeigen sich bei Stahl sehr gut. Die filigranen Rohre sollten immer gerade und das ganze Rad nicht verzogen sein. Dabei können Radler auf die Silhouette mit in sich geradem Oberrohr achten. Ein leichter Bogen deutet hier etwa auf einen Aufprall hin.
„Kleine, etwa fingernagelgroße Dellen etwa am Oberrohr können aber noch verkraftbar sein“, sagt Koßmann. Zeigen sich aber auch noch Risse im Lack an Stellen, die etwas gebogen aussehen – Finger weg! Rost dagegen kann bei Stahl auch normal sein – etwa da, wo das Hinterrad an den Ausfallenden eingeklemmt ist.
Wer das Rad nicht komplett auseinandernehmen und hineingucken kann, hebt es zumindest einmal hoch und dreht es. „Rieselt es im Inneren, ist das kein gutes Zeichen“, sagt Koßmann. Dann müssen Interessenten ganz genau prüfen: „Ist vielleicht nur etwas Metallspan reingefallen, oder ist da tatsächlich Rost?“Wenn so ein Rad 20 Jahre im feuchten Keller gestanden hat, kann sich Wasser in den Hohlräumen gesammelt und in den Rohren Rost gebildet haben, obwohl der Rahmen von außen vielleicht noch ganz schön aussieht. Fühlbare Schäden Steht die Gabel in einem ungewöhnlich steilen Winkel sehr nah am Unterrohr, sei das oft ein typisches Resultat eines gar nicht so seltenen Auffahrunfalls, sagt Göbbels. „Dann hat sich der Rahmen, die Gabel oder gar beides verzogen.“Solche Schäden lassen sich auch fühlen. „Einfach im Bereich der Gabel das Unterrohr entlangstreichen und auf Beulen und Dellen achten.“
Um keinen Fehlkauf zu machen, planen Interessenten möglichst immer eine Probefahrt mit dem Wunschobjekt – schon allein wegen der korrekten Größe. „Denn bei aller Liebe zum Retro-Chic: Wenn ich nicht richtig mit dem Rad klarkomme und nicht an die Bremshebel herankomme, ist das ganz weit weg von verkehrssicher“, sagt Koßmann.
Auch gut erhaltene Modelle brauchen zumindest einen professionellen Check, um zu prüfen, ob alles noch fest ist und welche Verschleißteile vielleicht bald zu tauschen sind. Der Test allein kann etwa 30 bis 40 Euro kosten, sagt Göbbels. Sind aber Tretlager, Kettenblätter oder Ritzelpakete fällig, wird es natürlich je nach Aufwand deutlich teurer. Das sollte mit einem Kostenvoranschlag abgeklärt werden.
Die Preisspanne für die Renner ist enorm. Je nach Marke, Modell, Komponenten, Originalität und Zustand reicht sie von etwa 100 Euro bis zu mittleren fünfstelligen Beträgen. Wer aber nur ein schickes Zweirad für den Sommer will, bekommt Brauchbares schon für rund 200 Euro. Eventuell sind dann noch 200 bis 300 Euro zu investieren – je nach dem, was man selber machen kann, so Koßmann.
Typische Einsteigermodelle stammten oft von Marken wie Giant, Motobecane oder Peugeot, die damals den Massenmarkt bedienten, sagt Göbbels. „Wenn man Glück hat, sind die noch in einem sehr guten Zustand.“Für ihn ein Tipp für alle, die das Fahrgefühl mit so einem alten Rad kennenlernen wollen.
Bei etwa 1000 Euro beginnen sehr gute Räder bekannter Marken, die sich einst ambitionierte Amateursportler kauften. So ein solider und günstiger Einstiegsklassiker ist beispielsweise das Modell Champion Mondial von Gazelle, das sehr lange in verschiedenen Varianten gebaut wurde. Auch die meisten Modelle der Firma Koga-Miyata sind noch vergleichsweise günstig zu bekommen. „Sie stehen für gute Qualität und sind in Deutschland noch gut verfügbar“, sagt Göbbels. Bekannt ist auch das Peugeot PX 10, das seit den 1960er-Jahren auch Profisportler fuhren. Sehr gefragte Marken sind etwa auch Bianchi, Colnago oder Pinarello. Um manche Modelle ist ein ähnlicher Kult entstanden wie um viele Autoklassiker. Das gilt auch für die Räder, die unter dem Label bekannter Radprofis wie etwa Fausto Coppi, Francesco Moser oder Eddy Merckx entstanden sind. Zeitgenössische Pedale Im Gegensatz zum Hollandrad oder Citybike fährt sich ein Rennrad härter, direkter, und der Radler kann am Lenker gleich mehrere Griffpositionen und damit auch verschiedene Haltungen auf dem Rad einnehmen – bis hin zu einer sehr sportlich nach vorn gebeugten zugunsten eines niedrigen Luftwiderstands. Zum Schalten müssen die Hände zu den Hebeln am Unterrohr greifen.
„Auch an Hakenpedale mit Riemchen muss man sich gewöhnen“, sagt Rennradsammler Joachim Faulhaber. Denn wer besonders stilecht fahren will, nutzt zeitgenössische Pedale. Die haben vorn noch eine Art Korb, der sich mit einem Riemchen zuziehen lässt. Im Gegensatz zu modernen Klickpedalen, aus denen der Radler durch eine seitliche Drehbewegung schnell herauskommt, ist das hier nicht so einfach. „Wer da fest drinsitzt, kommt bei Unfällen nicht mehr automatisch raus“, warnt Faulhaber. Alternativ lassen sich aber auch andere Pedale, etwa Plattformpedale, anschrauben. Nicht stilecht, aber gerade im Alltag problemloser.
Abgerundet wird das Ganze mit zeitgenössischer Sportkleidung. Die lässt sich gebraucht im Netz kaufen. Einige Firmen bieten auch Neuware im Retrostil an. Tabu im Alltag: alte Helme. „Diese Sturzringe aus den 1970ern und Styroporschüsseln aus den Neunzigern haben keinerlei Schutzwirkung mehr“, sagt Koßmann. Sie taugen allenfalls zu Schauzwecken oder auf klassischen Ausfahrten abseits des Verkehrs.
Eine Ausfahrt organisiert auch Faulhaber, der Teile seiner Sammlung von Profirennrädern mittlerweile im Technik Museum Sinsheim zeigt, einmal im Jahr. „Da können Hobbyradler mit Rennrädern bis Baujahr 1987 mit stilechter Kleidung mitfahren“, sagt er. Diese Tour geht über 50 Kilometer rund um das Museum in Sinsheim. „Da fahren mittlerweile auch alte Radrennfahrer wie Rolf Wolfshohl, Willi Altig, Udo Bölts oder Erik Zabel.“
Zum Vergnügen kann man die Renner natürlich überall fahren und muss dabei in der Regel auch nicht viel mehr in die Wartung investieren als bei modernen Rädern. Nur wenn sie nass werden, putzt man sie am besten alsbald trocken. Und trocken und warm stellen sie ihre Besitzer auch besser unter. Manch ein Fan hängt seinen Liebling auch an die Wohnzimmerwand. „Einige sehen so schön aus, dass sie die Einrichtung bereichern“, sagt Göbbels.