Kauder-Aus: Tuttlinger Union zeigt sich schockiert
Personaldebatte soll nicht entstehen – Politiker loben Erfolge des ehemaligen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden
TUTTLINGEN - Die Nachricht ist am Dienstagnachmittag überraschend gekommen. Der Tuttlinger Bundestagsabgeordnete Volker Kauder ist als Vorsitzender der CDU/CSUBundestagsfraktion abgewählt worden. Der 69-Jährige hatte das Amt seit dem Jahr 2005 inne.
Die CDU-Kreisvorsitzende Maria-Lena Weiss zeigte sich sprachlos und verwundert: „Ich war mir tausendprozentig sicher, dass es klappt“, sagt sie. Eine Wahl sei immer ein Risiko und das Ergebnis daher nicht kalkulierbar. Sie frage sich nach den Motiven: Sei es ein Denkzettel gewesen, oder ging es schon um die zukünftige Macht in der CDU? Der neue Fraktionsvorsitzende, Ralph Brinkhaus, sei laut MariaLena Weiss „sicher ein kluger Kopf“, aber sie hatte den Eindruck, dass selbst sein Landesverband (Nordrhein-Westfalen) nicht hinter ihm gestanden habe.
Sie glaubt nicht, dass die Abwahl von Kauder als Fraktionsvorsitzender Auswirkungen auf den Kreis Tuttlingen haben wird: „Volker Kauder bleibt ein wichtiger Politiker. Er wird sich weiter voll für seinen Wahlkreis einsetzen“, sagt sie. Eine Diskussion, ob Kauder auch bei der kommenden Bundestagswahl noch Spitzenkandidat des Wahlkreises Rottweil-Tuttlingen sein wird, hält sie für verfrüht: „Wir sollten uns jetzt erstmal auf die Kommunal- und Europawahl im kommenden Jahr konzentrieren“, betont sie. Danach könnte man vielleicht Gedankenspiele anstrengen, aber nicht bereits ein Jahr nach der jüngsten Bundestagswahl im September 2017.
„Das war für mich nicht erwartbar“, sagt auch Martin Numberger, Pressereferent der Kreis-CDU. Er geht davon aus, dass einige Abgeordnete Kauder einen Denkzettel verpassen wollten und sich damit verkalkuliert haben. Am Ende der Abstimmung hatte Herausforderer Brinkhaus 125 Stimmen, Kauder hingegen lediglich 112 Stimmen auf sich vereinen können.
Numberger betont, dass der Kreisverband jetzt noch enger zusammenrücken wird. Zumal Kauder in der Region beliebt sei und viele Projekte in die Region geholt habe, die ohne ihn vielleicht nicht gekommen wären. Die CDU insgesamt werde sich laut Numberger aber nun sammeln müssen. Er hofft, dass durch den Ausgang der Wahl um den Fraktionsvorsitz innerhalb der Partei nun wieder mehr diskutiert werde. Numberger geht nicht davon aus, dass es im Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen eine Revolte gegen Kauder geben wird. „Wenn er sagt, dass er noch einmal antreten wird, dann wird wohl keiner sagen, dass er das nicht mitmachen würde“, mutmaßt er.
Ähnliches ist auch von CDUKreisgeschäftsführer Ulrich Braun zu hören, der sich am Dienstag ebenfalls schockiert zeigte. „Dass es nicht gereicht hat, macht mich traurig“, sagt er. Dass die neue Konstellation in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Auswirkungen auf die Arbeit von Kauder haben wird, glaubt auch er nicht: „Er wird sich weiterhin für seinen Walkreis mit voller Kraft einsetzen“, zeigt sich Braun überzeugt. Er habe die Bundestagsfraktion 13 Jahre lang angeführt – so lange wie kein anderer vor ihm. Auch daher werde Kauder ein großes Gewicht in der Berliner Politik darstellen. Dass sich im Wahlkreis nun jemand gegen Kauder positionieren wird, glaubt der Kreisgeschäftsführer nicht: „Das trifft die Partei völlig unvorbereitet“, sagt er. Die nächste Bundestagswahl sei im Jahr 2021 und eine Wachablösung daher derzeit überhaupt kein Thema.
Der Pressesprecher der CDUKreistagsfraktion, der Immendinger Bürgermeister Markus Hugger, geht auch von einer „klassischen Denkzettelwahl“aus, die auch aufgrund der politischen Nähe zu Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Diskussionen der vergangenen Wochen und Monate zwischen CDU und CSU herrührt. Er blickt aber auch auf die Basis der Union: „Das zeigt auf, wo wir tatsächlich stehen. Die Unzufriedenheit hat sich in der CDU immer weiter aufgebaut. Viele Signale, die laut geworden sind, sind einfach ignoriert worden“, sagt er. Das Ergebnis habe Kauder nicht verdient – auch nicht aus der Sicht des Tuttlinger Landkreises.
Tuttlingens Oberbürgermeister Michael Beck, der für die CDU im Kreistag sitzt, bedauert sehr, dass Kauder nicht mehr wiedergewählt wurde: „Ich hätte ihm ein gutes Ergebnis gewünscht.“Seine Abwahl werde Becks Meinung nach auch Auswirkungen auf die Region haben: Vieles, was im positiven Sinne vor sich gegangen sei, seien Verdienste der Spitze der Politik gewesen, sagt Beck und verweist dabei auf den Bau des Kreuzstraßentunnels nach 30jähriger Diskussion und Planung. Kauder habe darüber hinaus noch vieles bewirkt: „Das wird man erst merken, wenn er nicht mehr in diesem Amt ist“, so Becks Einschätzung.
Kauders Abschneiden nach den Querelen der vergangenen Wochen, in denen sich die Regierung und CDU und CSU in keinem besonders guten Licht gezeigt hätten, lasse das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierenden nicht wachsen, so der OB.
Benjamin Bach, stellvertretender Vorsitzender des CDU-Ortsverbands Tuttlingen, sah das Gespann Merkel-Kauder bislang auf einer Linie. Deshalb ist er von Kauders Abwahl auch „sehr überrascht“. Der Kontakt nach Berlin breche dadurch aber nicht ab: „Er ist immer noch der Abgeordnete von hier“, sagt Bach über Kauder.
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