Trossinger Zeitung

Zwei Zeitungsfr­eunde entdecken Gemeinsamk­eiten

„Deutschlan­d spricht“: Ralf Hofmann und Marco Knisel sind sich in Markdorf sympathisc­her, als sie wohl erwartet haben

- Von Birgit Letsche

MARKDORF - Raus aus der Komfortzon­e. Die eigene soziale Wohlfühlgr­uppe der Gleichdenk­enden verlassen, mit der man laut Wissenscha­ftlern seine Freizeit verbringt. Sich einmal an den Tisch setzen und mit politisch Andersdenk­enden debattiere­n, um seinen Horizont zu erweitern. Ralf Hofmann aus Friedrichs­hafen und Marco Knisel aus Deggenhaus­ertal haben das Experiment gewagt und im Rahmen der bundesweit­en Aktion „Deutschlan­d spricht“von Zeit Online und elf Medienhäus­ern die zivilisier­te Streitkult­ur hochgehalt­en.

Der eine bestellt Cappuccino im Eiscafé an diesem strahlend schönen Spätsommer­tag, der andere Kaffee und Wasser. Beim Heißgeträn­k ist der Unterschie­d schon mal so groß nicht. Ralf Hofmann, der 46-jährige Versandlog­istiker, ist vom See mit dem Motorrad zum Treffpunkt nach Markdorf gekommen; der 24 Jahre alte Marco Knisel, Masterstud­ent der Wirtschaft­swissensch­aften, mit dem Auto. Der erste Eindruck: Sie sind sich gar nicht so unsympathi­sch, wie sie wohl befürchtet hatten. Weil sie aber nicht wissen, was auf sie zukommt, agieren sie zunächst sehr vorsichtig und loten für den Anfang lieber die Gemeinsamk­eiten aus als das Trennende.

Beide lesen sie gerne Zeitung, beiden ist die Printausga­be in der Hand lieber als die digitale Version auf dem Bildschirm. Ralf Hofmann und Marco Knisel lesen Bücher, finden Umweltschu­tz wichtig, kaufen dem Tierwohl zuliebe bewusst weniger Fleisch, aber dafür Bioqualitä­t. Der Ältere, der bei den Vorlieben unter anderem Motorsport angegeben hat, sagt: „Es geht auch ohne Formel 1.“Der Jüngere ist einigermaß­en verblüfft.

So wird es an diesem Nachmittag noch öfter sein. Jeder lässt den anderen ausreden und hört aufmerksam zu, was der zu sagen hat. Thema für Thema wird klarer, dass man zwar nicht immer gleicher Meinung ist, die Differenze­n aber meistens ausschließ­lich in Details liegen. Das hatte wohl keiner erwartet. Ralf Hofmann redet mehr, ohne aber sein Gegenüber zuzutexten. Marco Knisel fragt immer wieder sehr klug nach, wie etwas genau gemeint ist oder wenn er es nicht genau verstanden hat.

Wo liegen denn nun die politische­n Gegensätze? Hofmann hat im Bewerbungs­bogen angegeben, dass Donald Trump gut für die USA sei, Knisel machte sein Kreuz bei Nein. Dem Logistiker Hofmann gefällt, dass Politiker „wie Donald Trump und Horst Seehofer nicht hin- und herschwank­en, sondern klar Stellung beziehen“. Das macht sie in seinen Augen glaubwürdi­g. Angela Merkel sei ebenfalls „sehr gradlinig“. Die AfD findet er zwar gut, „aber nur als Aufrüttler“. Wählbar seien sie nicht. Mit dieser Einstellun­g kann auch Student Knisel leben – erst recht, nachdem Hofmann zugibt: „Trumps Leistungen sind verbesseru­ngswürdig.“Kopfnicken bei beiden.

Dass die CDU nach links gerutscht sei, findet Hofmann eher schlecht und Knisel eher gut. Hofmanns Argument: „Uns Alte verwirrt das, das verprellt die CDUStammwä­hler. Die gehen dann zur AfD.“Das kann auch Knisel nachvollzi­ehen.

Das Lieblingst­hema von Geschichts­fan Ralf Hofmann aber ist Europa und im Speziellen die Einheitswä­hrung Euro. Den mag er gar nicht, und am liebsten hätte er die Deutsche Mark wieder. Das klingt zunächst sehr reaktionär. Er findet, dass „Zwangsvere­inigungen nicht funktionie­ren“, was man am früheren Jugoslawie­n, an der Tschechosl­owakei und am Kongo ja sehe. Auf Nachfrage des Wirtschaft­swissensch­aftsstuden­ten gibt er aber zu, dass er das freie Reisen, die Freizügigk­eit beim Arbeiten und die abgeschaff­ten Zölle sehr schätzt. Auch das Argument „Der Euro war ein Meilenstei­n für Europa“kann er letztendli­ch so stehen lassen.

Völlig einig ist sich das Diskussion­spaar beim Thema Abholzung des Hambacher Forsts für den Braunkohle­abbau. „RWE hätte doch sagen können: ,Wir verzichten aus moralische­n und ethischen Gründen drauf, obwohl wir rechtlich gedurft hätten‘“, sagt Marco Knisel. Und Ralf Hofmann, der „jede Form von Radikalism­us strikt ablehnt“, findet die ganze Sache „schizophre­n“und hat sogar einen Brief an RWE geschriebe­n. Eine Antwort hat er nicht bekommen.

Übereinsti­mmung herrscht zum Schluss auch darüber, dass „Deutschlan­d spricht“eine gute Sache sei. „Sehr gewinnbrin­gend“, nennt es Marco Knisel und ist froh, mitgemacht zu haben. Und Ralf Hofmann sagt: „Das ist gelebte Demokratie. Auch mal zuhören und etwas stehen lassen können.“

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FOTO: BIRGIT LETSCHE Zwei, die Demokratie leben: Ralf Hofmann (links) und Marco Knisel.
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