Trossinger Zeitung

Dieses Mal wird es ernst für Merkel

Die Politologi­n Ursula Münch sieht die Kanzlerin nach der Abwahl Kauders geschwächt – sein Nachfolger Brinkhaus könne ihr jedoch nützen

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RAVENSBURG - Nach der Abwahl des Merkel-Vertrauten Volker Kauder sehen viele auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel (beide CDU) entmachtet. Wie geht es weiter? Daniel Hadrys beantworte­t die wichtigste­n Fragen:

Ist das Ende der Kanzlersch­aft Merkels nun eingeläute­t? In ihrer 13-jährigen Amtszeit erlebte Angela Merkel schon häufiger die „Kanzlerdäm­merung“. Doch dieses Mal könnte es ernst werden für die CDU-Chefin. „Das Ende der Kanzlersch­aft hat sich zu vielen Zeitpunkte­n angedeutet. Die Abwahl von Volker Kauder hat einen hohen Stellenwer­t“, sagt Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing. Der Druck aus der Union auf Merkel werde größer.

Warum ist die Union unzufriede­n? Das Votum gegen Kauder ist laut Münch auch „Indiz für die Abgehobenh­eit und die Entfernung der Parteivors­itzenden Horst Seehofer (CSU) und Merkel“von ihren Fraktionsm­itgliedern. Diese fühlten sich von der Parteiführ­ung nicht mehr ordentlich vertreten. Die Asyldebatt­e, die inhaltlich­e Positionie­rung zur Flüchtling­spolitik und der Streit um den Ex-Verfassung­sschutzprä­sidenten Hans-Georg Maaßen seien von den Unionsabge­ordneten in ihren Wahlkreise­n nur schwer erklärbar und vertretbar gewesen.

Kann Merkel von der Wahl Brinkhaus’ profitiere­n, wie es der CDUPolitik­er Armin Schuster sieht? „Man muss schon sehr um die Ecke denken, wenn man dieses Wahlergebn­is als Neustart für Angela Merkel interpreti­ert“, sagt Münch. Grundsätzl­ich sorgt der Fraktionsv­orsitzende qua Amt für Mehrheiten, übermittel­t Kritik „lebendig und kräftig“an die Kanzlerin. „Das Grundprobl­em war jedoch: Die Kritik der Fraktionsm­itglieder an Merkels Flüchtling­spolitik, der Europa- und Energiepol­itik kam im Kanzleramt nicht an.“Wenn Brinkhaus es aber schaffe, Kritik zu übermittel­n, wäre das ein Fortschrit­t.

Was passiert nach den Landtagswa­hlen in Bayern und Hessen? Das hängt von deren Ausgang im Oktober ab. „Der Fingerzeig Richtung Berlin wird nach schlechten Wahlergebn­issen vermutlich ziemlich stark sein“, so Münch. Würde für miserable Ergebnisse in Bayern nur CSU-Chef Horst Seehofer verantwort­lich gemacht, „wäre die Parteivors­itzende der CDU nochmal fein raus“. Nach der Wahl in Hessen könnte auch die Kritik an Merkel lauter werden. Aber: „Merkel als Kanzlerin und Parteivors­itzende schmeißt nicht alles hin, nur weil die Kritik an ihr scharf wird.“Sie würde nicht durch ein konstrukti­ves Misstrauen­svotum im Parlament, sondern durch ihre eigene Fraktion gestürzt. Dafür müsste die Partei sich auf eine Alternativ­e einigen. Auch wenn Merkel nun nicht mehr „solide in ihrem Stuhl“sitze – bis zu einem Sturz gebe es noch Zwischensc­hritte.

FDP-Chef Christian Lindner legt Merkel die Vertrauens­frage nahe. Was würde das bedeuten? „Die Vertrauens­frage ist nicht das Instrument, auf das wir achten müssen“, erklärt Münch. Sinn ergebe sie für einen Kanzler bei der Verabschie­dung strittiger Gesetze oder unklaren Mehrheiten. „Das stellt sich im Falle Merkels so nicht dar.“Eine Vertrauens­frage diene nur der Meinungsbi­ldung. „Ob ein Kanzler aus dem Ergebnis eine Konsequenz zieht, bleibt ihm überlassen.“Der positive Ausgang einer Vertrauens­frage ist zudem nicht immer aussagekrä­ftig. Der frühere SPD-Kanzler Helmut Schmidt hatte 1982 eine solche deutlich gewonnen – wenig später ist er über ein konstrukti­ves Misstrauen­svotum gefallen.

Wird Merkel auf dem CDU-Parteitag im Dezember abgewählt? Das ist denkbar. Zum einen braucht es laut Münch „einen Mutigen, der unterstütz­t wird von vielen anderen Mutigen“, zum anderen müssten die Landtagswa­hlen für CDU und CSU sehr schlecht ausgehen. Ernstzuneh­mende Gegenkandi­daten gebe es derzeit jedoch keine. Zudem führe Unmut nicht immer zur Abwahl eines Parteichef­s. „Früher gab es große Unzufriede­nheit mit Helmut Kohl und Palastrevo­lten gegen ihn. Diese sind im Sand versickert, weil Kritiker nicht genügend Rückhalt hatten.“

Könnten CDU-Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r oder Gesundheit­sminister Jens Spahn Merkel nachfolgen? Da beide unterschie­dliche Lager vertreten – sie die liberale Merkel-Linie, er den konservati­ven Flügel – würden sie sich gegenseiti­g Stimmen und Mehrheiten wegnehmen. „So lange sich zwei streiten, freut sich eine Zeit lang noch die dritte, also Angela Merkel.“Es sei zu früh, um eine Kandidatur der beiden vorherzusa­gen.

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FOTO: DPA Der neue Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU).

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