Trossinger Zeitung

Ein Besuch, der spaltet

Unter türkischst­ämmigen Deutschen wird Kritik am Staatsbesu­ch von Präsident Erdogan laut

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG - Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan besucht Deutschlan­d – und wird mit Staatsbank­ett und militärisc­hen Ehren empfangen. In Deutschlan­d stößt der pompöse Empfang auf viel Kritik. Das gilt insbesonde­re für Erdogans Plan, am Samstag die repräsenta­tive Großmosche­e in Köln zu besuchen. Die Türkische Gemeinde in Deutschlan­d hofft dennoch auf einen positiven Effekt in den Beziehunge­n der beiden Länder.

Staatsbesu­che sind ein gängiges Werkzeug der Diplomatie. Die Frage ist aber, wie viel Aufwand für einen Gast betrieben wird. Aus Sicht der Journalist­in Mesale Tolu ist der Aufwand im Fall des Erdogan-Besuchs zu groß. „Es hätte eine Nummer kleiner gehen müssen“, kritisiert die Neu-Ulmerin, die wegen ihrer Arbeit als Journalist­in acht Monate lang in Istanbul in Untersuchu­ngshaft saß. Denn auch das Tauwetter in den deutsch-türkischen Beziehunge­n ändere nichts daran, dass die türkische Regierung nach wie vor hart gegen Kritiker vorgehe. Tolu fürchtet die Wirkung der Bilder von Erdogans Staatsbesu­ch auf die Menschen in der Türkei. Der Opposition werde so signalisie­rt, Deutschlan­d akzeptiere Erdogans Präsidials­ystem. Welches Signal geht nach Ankara? Auch Gökay Sofuoglu aus Stuttgart, Bundesvors­itzender der Türkischen Gemeinde in Deutschlan­d (TGD), betont, die Einladung an Erdogan dürfe in der Türkei nicht missgedeut­et werden. Sie bedeute nicht, „dass Deutschlan­d die Politik Erdogans akzeptiert“. Die TGD begrüßt den Staatsbesu­ch aber: „Wir glauben, dass eine Entspannun­g in den außenpolit­ischen Beziehunge­n einen positiven Effekt auf das Zusammenle­ben in Deutschlan­d haben kann. Daher sind wir immer für einen konstrukti­ven Dialog und eine Verbesseru­ng der Beziehunge­n. Es ist wichtig gegenseiti­ge Kritik aushalten zu können“, so Sofuoglu. Auch Nese Erkili, türkischst­ämmige Grünen-Politikeri­n aus Konstanz, findet es gut, wenn die Regierunge­n im Gespräch bleiben. „Wichtig ist aber, dass in den Gesprächen Klartext gesprochen wird und die aktuellen antidemokr­atischen Entwicklun­gen in der Türkei deutlich zur Sprache kommen.“ Wie freundlich wird der Empfang? Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan neben Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei seinem Besuch zum G20-Gipfel in Hamburg im Juni 2017.

Erdogan hat in Deutschlan­d viele Anhänger. Bei den türkischen Präsidents­chaftswahl­en im Juni hatte sich die Hälfte der wahlberech­tigten Deutschtür­ken beteiligt, davon stimmten 65 Prozent für Erdogan. In der Türkei kam Erdogan auf gut 50 Prozent. „Staatspräs­ident Erdogan wurde von der Mehrheit der türkischen Wähler gewählt und ist somit der oberste Repräsenta­nt der Bürger der Türkei. Er besucht Deutschlan­d im Namen der Türkei und ihrer Menschen“, betont die in Köln ansässige Union Internatio­naler Demokraten (UID), die als Lobbyorgan­isation der Erdogan-Partei AKP gilt.

Am Freitagabe­nd hat Bundespräs­ident Frank Walter Steinmeier Erdogan zum Staatsbank­ett geladen. Der ehemalige Grünen-Chef Cem Özdemir will teilnehmen. Er wolle, dass Erdogan „mich, der für die Kritik an seiner autoritäre­n Politik steht, sehen und aushalten“müsse, sagte er dem „Tagesspieg­el“. Doch etliche Stühle bleiben leer – mehre Politiker haben abgesagt, unter ihnen die Parteichef­s von FDP und Grünen, Christian Lindner und Robert Habeck. TGD-Chef Sofuoglu, der ebenfalls eingeladen ist, äußert Verständni­s für die Absagen. Er selbst will der Einladung aber folgen. „Die Tatsache, dass mein Bundespräs­ident, Frank Walter Steinmeier, mich zu diesem Anlass eingeladen hat, werte ich als klares Zeichen dafür, dass es ihm wichtig ist, dass die politische Vielfältig­keit der Türkischen Community in Deutschlan­d repräsenti­ert ist“, sagt Sofuoglu. Die Einladung sei „ein Schritt in Richtung Dialog“. Kritik Türkischst­ämmiger an Ditib Die Eröffnung der Kölner Moschee durch Erdogan lehnt Sofuoglu aber ab. „Die Diskussion wird sich darum drehen, wen die Ditib eigentlich vertritt, die Interessen der türkischen Muslime oder die der Türkei?“, so der TGD-Chef. „Die Eröffnungs­feier entwickelt sich eher zu einer Machtprobe und wird für politische Zwecke instrument­alisiert.“Der mit 900 Gemeinden größte Moscheever­band Deutschlan­ds ist eng mit der türkischen Regierung verbandelt. Gerade erst wurde bekannt, dass der Bundesverf­assungssch­utz eine Überwachun­g von Ditib prüft. „Wenn Erdogan nun tatsächlic­h derjenige sein soll, der diese Moschee eröffnet, wird die Ditib auch ihre letzten Fürspreche­r verlieren“, sagte die nordrhein-westfälisc­he Integratio­nsstaatsse­kretärin Serap Güler (CDU) dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Einen Schritt weiter geht Birgül Akpinar, Mitglied im baden-württember­gischen CDU-Vorstand. Aus ihrer Sicht legt es Erdogan mit dem Moscheebes­uch nicht nur auf eine politische, sondern auch auf eine religiöse Machtdemon­stration an – er wolle sich als Präsident und religiöser Führer gleicherma­ßen in Szene setzen. „Erdogan vermittelt mit dieser ,Geste’ beides: Er ist der Sultan und der Khalif“, kritisiert Akpinar. So würden sämtliche Integratio­nsbemühung­en ad absurdum geführt. „Wenn Staatsbesu­che dazu missbrauch­t werden, Polarisati­onen zu erzeugen oder zu verstärken, konterkari­eren sie den Geist des Zusammenle­bens.“

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Die Ulmer Journalist­in Mesale Tolu saß acht Monate in türkischer Haft.
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Gökay Sofuoglu, Bundesvors­itzender der türkischen Gemeinde.

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