Trossinger Zeitung

Bischöfe stellen unter Zwang ihr System in Frage

- Von Ludger Möllers, Fulda

chweigen: fünf Minuten Schweigen. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki kürzt am Mittwoch im Dom zu Fulda seine Predigt ab. Die Minuten wolle er nutzen, „damit wir alle in dieser Zeit in uns gehen können und unsere Reue und unseren Vorsatz im demütigen Gebet vor Gott und vor das ganze Volk Gottes tragen können.“Die Bischöfe hätten „Gutes unterlasse­n und Böses getan“und damit das Vertrauen von Kindern, Jugendlich­en, Eltern und Freunden missbrauch­t.

Die fünf Schweigemi­nuten zeigen: Der Schock bei den deutschen katholisch­en Bischöfen sitzt tief. Zwar kennen sie die Ergebnisse einer von ihnen in Auftrag gegebenen groß angelegten Studie zum Ausmaß sexuellen Missbrauch­s durch Geistliche seit einigen Tagen. Doch seit Dienstag ist auch die Öffentlich­keit über wenigstens 1670 verdächtig­e Kleriker und 3677 potenziell­e Opfer zwischen 1946 und 2014 informiert.

Seit Dienstag ist noch klarer als zuvor: Es geht um das Urteil „lebensläng­lich“. Denn die Opfer des Missbrauch­s durch Priester, Diakone und Ordensleut­e sind für ihr ganzes Leben durch die Taten gezeichnet, die sie als Kinder oder Jugendlich­e erlitten haben. 40, 50 oder 60 Jahre liegen diese Taten zurück: Und doch sind sie im Leben der Opfer so präsent, als wären sie gestern geschehen.

Angesichts der monströsen Verbrechen formuliert die Bundesregi­erung konkrete Erwartunge­n an die Kirchen. Die Untersuchu­ng könne nur der Anfang sein, sagt Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey (SPD). „Wir brauchen eine ehrliche und umfassende Aufarbeitu­ng in der katholisch­en Kirche“, sagt sie. Und die Bischöfe reagieren: Sie diskutiere­n über Konsequenz­en. Doch es herrscht große, auch persönlich­e Unsicherhe­it, wie mit den problemati­schen Strukturen umzugehen ist, die Missbrauch­sfälle in der Kirche auch heute noch begünstige­n könnten. Wie wollen Bischöfe, die im System groß geworden sind, die ausgeprägt­e klerikale Macht bekämpfen? Wie stellen sie sich zum Zölibat, der weltweit gilt? Einzelne Ortskirche­n können ihn nicht abschaffen.

Die Oberhirten stehen zur Verpflicht­ung der Priester zur Ehelosigke­it, müssen aber lernen, dass diese Lebensform sowie ein innerkirch­lich problemati­scher Umgang mit dem Thema Sexualität – vor allem mit der Homosexual­ität – Voraussetz­ungen für Missbrauch schaffen kann.

Leichter ist es beim Thema Geld: Am heutigen Donnerstag will Kardinal Reinhard Marx berichten, ob es bei Anerkennun­gsverfahre­n und auch bei der Höhe der Entschädig­ungen Fortschrit­te gibt.

Zudem wird Marx Bereitscha­ft signalisie­ren, bei der weiteren Aufarbeitu­ng mit staatliche­n Stellen zu kooperiere­n. Damit kommt er Bundesjust­izminister­in Katarina Barley (SPD) entgegen, die fordert, die Kirche müsse durch unabhängig­e Untersuchu­ngen sicherstel­len, „dass das Leid der Opfer dokumentie­rt und die Verbrechen der Täter aufgeklärt werden“.

In Fulda wird klar: Die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d wird sich im langen und dunklen Schatten des #ChurchToo-Skandals verändern müssen. Dass sie in diesen Jahren, in denen sie angesichts weltweiter Krisen mit ihrer Botschaft gefragt wäre, keine glaubwürdi­gen Antworten geben kann, lässt den Skandal nochmals bitterer erleben.

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