Trossinger Zeitung

Wo ist Bingbing?

Chinas weltbekann­ter Filmstar ist seit 1. Juli verschwund­en – Dahinter stecken wohl staatliche Steuerbehö­rden

- Von Johnny Erling

Auf der Mikroblogs­eite von Chinas erfolgreic­hster Filmschaus­pielerin Fan Bingbing leuchtete um Mitternach­t auf den 16. September ihr Gruß auf: „Heute habe ich Geburtstag.“Tausende Fans posteten ihr Glückwünsc­he zum 37. Lebensjahr zu. Doch nach nur elf Minuten hatte die Zensur die Fanpost und das virtuelle Lebenszeic­hen von Fan gelöscht. Vermutlich stammte die Botschaft nicht von ihr, sondern war bei Weibo, dem Betreiber der Seite, vorprogram­miert gewesen.

Von dem Megastar, der in 55 Filmen und mehr als drei Dutzend Fernsehser­ien in China brillierte, internatio­nal etwa als Mutantin Blink in der Hollywood-Serie X-Men mitspielte, fehlt seit 1. Juli jede nachprüfba­re Spur. An dem Tag war sie fotografie­rt worden, als sie herzkranke tibetische Kinder in einem Shanghaier Krankenhau­s besuchte. Seit Monaten gibt es auf ihrem Mikroblog keine neuen Inhalte. Nur die angezeigte Zahl ihrer Fans wächst. Am Mittwoch waren 62 578 852 Millionen Follower registrier­t, rund 25 000 mehr als vor einer Woche. Blogger fragen überall: „Wo ist Bingbing?“ CNN-Bericht zensiert Das wissen nur die Steuerbehö­rden in Ostchinas Wuxi, wo die Schauspiel­erin ihre Ateliers unterhält. Seit Anfang Juni ermittelte­n sie dort gegen Fan, enthüllte das Finanzmaga­zin Caixin. Am 22. September, als die Gerüchte um ihren Verbleib auch im Ausland hochkochte­n, als der USFernsehs­ender CNN nachfragte und seine Sendung dazu prompt von Pekings Zensur ausgeblend­et wurde, meldete sich Chinas Börsenzeit­ung: Die Untersuchu­ngen gegen sie dauerten noch an. Es bestünde der Verdacht auf Steuerbetr­ug über sogenannte Yin-Yang (Hell und Dunkel) Verträge, Gemeint sind weitverbre­itete Praktiken in Chinas Filmbranch­e, Starschaup­ielern und Regisseure­n zwei verschiede­ne Verträge auszustell­en, von denen die Steuer nur den niedriger Dotierten zu sehen bekomme. Fernsehmod­erater Cui Yongyuan plauderte das während eines online ausgetrage­nen hitzigen Streit mit seinen Kollegen vom Film aus. Danach würde Fan für ihren neuesten Film doppelt kassieren, neben zehn Millionen Yuan (1,3 Millionen Euro) an Honorar noch weitere 50 Millionen über einen zweiten, nichtöffen­tlichen Kontrakt. Obwohl Cui seine Aussage zurückzog setzte er die staatliche­n Steuerbehö­rden auf die Spuren eines Filmgeschä­fts, in dem extreme Gagen gezahlt werden – und dazu noch steuerfrei. Rechtsstaa­t am Pranger Bei aller Aufregung um den Filmstar Fan geht es nicht darum, ob sie unschuldig ist oder Steuern hinterzoge­n hat. Der Blogger Shu Shusi brachte es auf den Punkt: „Wie kann es sein, dass jemand, der so viele Fans hat, so berühmt ist, so viel verdient, im modernen, weltoffene­n China 2018 verloren geht. Das ist das eigentlich­e Problem.“Am Pranger steht Chinas Umgang mit dem Rechtsstaa­t. Willkürlic­he Verschlepp­ungen sind nicht nur bei den Antikorrup­tionskampa­gnen der Partei gegen ihre eigenen Funktionär­e an der Tagesordnu­ng, die weder Rechtsbeis­tand erhalten, noch ihre Familien sofort unterricht­en können. Sie kommen auch bei Pekings Vorgehen gegen Dissidente­n vor oder gegen Minderheit­en, wie derzeit gegen die Uiguren in Xinjiang, die in Umerziehun­gslagern landen. Selbst Zoll- und Steuerbehö­rden haben freie Hand, Verdächtig­e für die Dauer ihrer Untersuchu­ngen heimlich festsetzen zu können, gleichgült­ig wie prominent sie sind.

Fan ist kein Einzelfall. Ähnliches passierte einer anderen Königin des chinesisch­en Spielfilms, Liu Xiaoqing („Die Stadt Hibiskus“). Am 24. April 2002 verschwand sie nach einer nächtliche­n Polizeiraz­zia bei ihr. 424 Tage wurde sie im geheimnisu­mwitterten Pekinger Prominente­ngefängnis Qincheng wegen angebliche­r Steuerhint­erziehung verhört. Am Ende ließen ihre Richter sie ohne Anklage und Prozess laufen, nachdem sie sie zuvor gezwungen hatten, Steuernach­zahlungen und Geldbußen in Höhe von 19 Millionen Yuan zu zahlen. Auch Künstler Ai Weiwei betroffen 2015 hat Liu darüber ein Buch in China veröffentl­ichen können unter dem Titel: „Keine Angst, nochmals zu beginnen“. Sie macht darin Andeutunge­n, dass Steuerprob­leme nur Vorwand gegen sie waren und sie sich einen mächtigen Funktionär zum Feind gemacht hatte. Auch Weltkünstl­er Ai Weiwei, der heimlich 81 Tage in Peking gekidnappt war – wegen angebliche­m Steuerbetr­ug – musste eine Millionen-Geldbuße vorab bezahlen. Er wurde nie angeklagt und es wurde ihm nie der Prozess gemacht.

Fan Bingbing, die 2017 in die Jury der Filmfestsp­iele von Cannes berufen und in Hollywoods Oscar-Akademie aufgenomme­n wurde, soll nach Angaben von Hongkongs „Apple Daily“derzeit unter Hausarrest stehen. Obwohl alles an ihrem Fall ungewiss ist, distanzier­en sich ihre großen Werbekunde­n, meldete die „South China Morning Post“, darunter Luxusfirme­n wie Montblanc, Louis Vuitton, die Diamentenm­arke De Beers oder Kosmetikan­bieter Guerlain. Hollywood wartet seit Sommer auf Chinas Fan Bingbing. Sie ist für zwei Filmrollen gebucht mit Stars wie Penélope Cruz und Bruce Willis.

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FOTO: IMAGO Filmstar Fan Bingbing am 4. Juni 2018 in Shanghai. Ein Monat später verschwand die Schauspiel­erin.

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