Trossinger Zeitung

Traurig und doch voller Übermut

„Ava“erzählt von einem Mädchen, das kurz vor dem völligen Erblinden das Leben in vollen Zügen genießt

- Von Rüdiger Suchsland

in Strand, Urlauber zur Hauptsaiso­n, Zivilisati­on trifft Hedonismus. Mitten in die bunte Ausgelasse­nheit schleichen sich über die Tonspur Misstöne ein. Archaische Laute, wie von einer Bambusflöt­e, gemischt mit Streichins­trumenten. Ein schwarzer Hund, mehr ein Wolf, streunt zwischen den Badegästen. Er führt uns zur Titelheldi­n.

Ava liegt einfach so da, im Badeanzug in der Sonne, die Musik setzt aus, dafür bellt der Hund. Es gibt Streit auf der anderen Seite des Strandes, das Tier ist beteiligt, Ava sieht zu, und weiß von diesem Augenblick an: „Ich will einen Hund!“

Schon ist man mittendrin in diesem Film. Ava ist 13, und am nächsten Tag, als sie den Arzt besucht, wissen wir auch: Bald wird sie nachtblind sein, und danach wird sie ihr Augenlicht schließlic­h ganz verlieren. Der Film steht komplett auf der Seite der bockigen Hauptfigur, die ganz im Hier und Jetzt des prachtvoll­en Sommers lebt – und mit 13 wirklich etwas Besseres zu tun hat, als sich ums Blindwerde­n zu kümmern.

In einer Epoche, die sich dem Körperlich­en und seiner Optimierun­g verschrieb­en hat, in der ein Kult des Leibes zelebriert wird, handelt dieser Film von der Beschränkt­heit und Hinfälligk­eit des Leiblichen – und von der Kraft des Verstandes, sich aus dieser Beschränkt­heit zu befreien.

Diese Befreiung funktionie­rt in „Ava“aber nicht, wie zu erwarten und typisch französisc­h wäre, über Worte und Zivilisati­on, sondern über eine Rückkehr zur Natur, in eine Wildheit, in der die wahre Freiheit mit dem Mythologis­chen in eins fällt.

Auf die Nachricht, dass Ava viel schneller erblinden muss als gehofft, reagiert die Mutter mit Ignoranz. Sie will ihrer Tochter den schönstmög­lichen Sommer bereiten, bevor das Unvermeidl­iche eintritt. Ava ist anders. Sie will den großen schwarzen Hund vom Vortag, der aber einem anderen gehört, dem Zigeunerju­ngen Juan. Ava stiehlt ihn und damit, wie sich herausstel­lt, Juan gleich mit.

„Ava“ist ein enorm vielschich­tiger und dabei originelle­r Film. Gewiss will er auf Zutaten eines Jugendfilm­s nicht verzichten: erste Liebe, Emanzipati­on von den Eltern. Aber das Erwachsenw­erden ist hier eben ein vorzeitige­s und endgültige­s, der Abschied von der Kindheit ist auch einer vom Augenlicht.

Mysius’ Debüt lebt auch von der Hauptdarst­ellerin Noée Abita. Bei dieser aufregende­n Darsteller­in wird selbst das Beben der Nasenflüge­l zum Ereignis.

Und obwohl „Ava“von etwas Traurigem erzählt, tut der Film es voller Übermut. Trotz, Lust und Neugier schieben sich über den diffusen Fatalismus. Das Leben als Abenteuer. Ava wird blind, aber sie sieht nun etwas anderes. Ava. Regie: Léa Mysius. Mit Noée Abita, Laure Calamy. Frankreich 2017. 101 Minuten. FSK ab 12.

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FOTO: EKSYSTENT DISTRIBUTI­ON FILMVERLEI­H Ava (Noée Abita) findet ihren eigenen Weg, mit der drohenden Erblindung umzugehen.

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