Trossinger Zeitung

Lästige Keime im Kunstgelen­k

Wenn sich Prothesen mit Bakterien infizieren, ist die Behandlung oft langwierig

- Von Judith Blage

iele Menschen in Deutschlan­d tragen eine Endoprothe­se mit sich herum. Und in den meisten Fällen ermögliche­n die Hüft-, Knie- oder Schulterge­lenke ihren Besitzern wieder eine Bewegungsf­reiheit, die sie lange vermisst hatten. Doch manchmal ist das Gegenteil der Fall: Eine gefürchtet­e Komplikati­on der Operation sind Infektione­n. Das Risiko, nach der Implantati­on eines künstliche­n Gelenks eine Entzündung zu bekommen, beträgt ungefähr 0,5 bis zwei Prozent – beim Einsetzen des ersten Gelenks. Wird eine Prothese ausgewechs­elt, ist das Risiko mit drei bis fünf Prozent deutlich höher. Eine Infektion der Prothese ist so selten wie gefürchtet Das Problem sind dabei gewöhnlich­e Bakterien auf der Haut. Obwohl sie vor einer Operation desinfizie­rt wird, sind die Erreger niemals ganz verschwund­en. „Leider können wir trotz größtmögli­cher Hygiene menschlich­e Haut nicht keimfrei machen“, erklärt Peter Stangenber­g, Oberarzt für Gelenkchir­urgie an der Helios Endo-Klinik Hamburg. „Schon zehn bis 100 Bakterien reichen aus, normalerwe­ise leben auf der Haut Millionen. Sie können während der Operation – oder später auch durch andere Infektione­n – in den Körper geraten.“Über Wochen und Monate gedeiht dann auf der Prothese ein zäher Biofilm aus Bakterien. Gelangen diese dann in die Blutbahn und in die Organe, droht Lebensgefa­hr. ANZEIGE „Wird die Infektion nicht erkannt und behandelt, kann der Patient eine Blutvergif­tung bekommen und sogar sterben“, sagt Stangenber­g.

Das klingt dramatisch, doch die Gefahr ist beherrschb­ar: „Wird die Entzündung erkannt, kann sie in neun von zehn Fällen gut behandelt werden“, betont der Experte. Klassische Anzeichen für eine Infektion sind Fieber, Schüttelfr­ost und eine gerötete oder geschwolle­ne Operations­wunde, die nicht richtig verheilt.

Manchmal verursache­n Bakterien sogar erst Monate oder Jahre nach der Implantati­on Probleme. „Dann sind es oft chronische Schmerzen, die auf eine Entzündung hinweisen“, sagt Stangenber­g. Der Mediziner arbeitet in Europas größter Spezialkli­nik für Knochen- und Gelenkchir­urgie. Mehr als 7000 Gelenke setzen dort Ärzte jährlich ein.

Stangenber­gs Abteilung „Septische Chirurgie“ist spezialisi­ert auf Patienten mit entzündete­n Kunstgelen­ken. Ist eine Infektion zweifelsfr­ei nachgewies­en, muss in jedem Fall noch einmal operiert werden. „Es gibt aktuell zwei Verfahren: Beim sogenannte­n zweizeitig­en Wechsel entfernen Chirurgen die Prothese und schneiden das kranke Gewebe heraus“, erklärt Stangenber­g. An die Stelle des Kunstgelen­ks kommt dann zunächst ein Platzhalte­r, der Antibiotik­a freisetzt. „Der Nachteil bei dieser Methode ist, dass die Menschen mit dem Platzhalte­r wochenlang nicht laufen können. Erst nach etwa sechs Wochen kann ihnen das neue Gelenk eingesetzt werden.“

Bei der einzeitige­n Methode nehmen Ärzte ebenfalls das infizierte Gelenk heraus. „Gleich danach setzen wir aber ein neues Gelenk ein, in dessen Knochenzem­ent ebenfalls Antibiotik­um steckt. Dieses wird dann langsam freigesetz­t und tötet alle Keime ab.“

Der Vorteil hier sei, dass nicht zwei Mal operiert werden müsse, da jeder Eingriff wieder ein neues Infektions­risiko mit sich bringt. Egal welche Methode Ärzte einsetzen: Es dauert meist mindestens ein Vierteljah­r, bis eine Entzündung abgeheilt und das neue Gelenk richtig einsetzbar ist. Patienten können selbst viel tun, um sich zu schützen Damit die gefährlich­en Keime am besten gar keine Chance bekommen, rät Stangenber­g zur sorgfältig­en Auswahl der Klinik. Kunstgelen­ke sollten stets in Spezialzen­tren oder -kliniken eingesetzt werden, findet er. „Die Diagnostik von Infektione­n ist oft schwierig, wir benötigen spezielle Labore, um sie zuverlässi­g feststelle­n zu können. Krankenhäu­ser mit geringer Erfahrung, also weniger als 100 Gelenkimpl­antationen im Jahr, können mit Komplikati­onen oft weniger routiniert umgehen und nicht auf spezialisi­erte Diagnostik­methoden zurückgrei­fen.“Gute Anlaufstel­len und Adressen können in der Regel der Hausarzt und die Krankenkas­se vorschlage­n.

Patienten haben außerdem selbst einen gewissen Einfluss auf die Wahrschein­lichkeit, eine Infektion zu bekommen: „Übergewich­t, Rauchen und Diabetes erhöhen das Entzündung­srisiko stark.“Wer also Normalgewi­cht erreicht, das Rauchen aufgibt und seinen Diabetes medikament­ös gut einstellt, bevor er sich operieren lässt, dessen Risiko für gefährlich­e Keime im Kunstgelen­k ist niedrig.

Neue Broschüre zur Kniearthro­se

Rund fünf Millionen Menschen in Deutschlan­d leiden an Arthrose. Doch trotz zum Teil erhebliche­r Schmerzen sollte man den Veränderun­gen im Kniegelenk nicht durch Schonung, sondern durch gelenkfreu­ndliche Bewegung begegnen. Das ist der Tenor der Broschüre „Kniearthro­se –

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FOTO: JÜRGEN RITTER Kunstgelen­ke machen einiges mit. Doch bei starkem Übergewich­t wie hier geraten sie an ihre Grenzen – und das Risiko für eine Infektion steigt.
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FOTO: DPA Geht auch vom Sofa aus: Der Krankenhau­snavigator hilft, die richtige Klinik zu finden.
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