Trossinger Zeitung

Das renkt sich wieder ein

Neuartige Prothesen haben die Behandlung von Schulterbe­schwerden nach vorn gebracht

- Von Andrea Mertes

affee einschenke­n, die Decke streichen, einen Ball werfen – die Schulter macht fast jede Armbewegun­g mit. Und wird dabei im Laufe der Jahre ziemlich in Mitleidens­chaft gezogen. Schätzunge­n zufolge hat jeder Zweite jenseits der 50 einen kleinen oder größeren Riss in der Rotatorenm­anschette, dem Geflecht aus Muskeln und Sehnen im Schulterbe­reich. Das kann höllisch schmerzen, ebenso wie die gefürchtet­e Kalkschult­er, bei der sich Kalk nicht in der Schulter, sondern in den Sehnen ablagert. Nach dem Knie ist die Schulter jenes Gelenk, das am häufigsten mit Schmerzen auffällt. Die Therapie ist mitunter langwierig. Warum die Schulter so besonders ist, zeigt ein Blick in ihren Aufbau. Im Unterschie­d zur Hüfte sitzt bei der Schulter der Gelenkkopf nicht fest in der Pfanne. Seine Position behält er ausschließ­lich durch umgebendes Gewebe, seine Beweglichk­eit garantiere­n zahlreiche, filigran ineinander verwobene Bänder, Sehnen und Muskeln. All das macht die Schulter zum komplexest­en Gelenk des Menschen, erklärt Markus Scheibel, Chefarzt für Orthopädie an der Charité Berlin und Präsident der Deutschen Vereinigun­g für Schulter- und Ellbogench­irurgie. Sehnenriss­e der Rotatorenm­anschette können der Anfang von Knorpelsch­äden sein, ebenso wie Entzündung­en, Arthrose oder eine chronische Instabilit­ät. Bei irreparabl­en Schäden und großem Leidensdru­ck bietet das künstliche Gelenk einen Ausweg aus dem Schmerz . Derzeit werden jährlich 25 000 Schulterpr­othesen eingesetzt – Tendenz steigend. Lange galt die Schulter allerdings als zu komplizier­t für ein Kunstgelen­k. Seit dem Jahrtausen­dwechsel hat sich das geändert, mehrere Prothesenv­arianten sind auf dem Markt. Dabei kann der Gelenkkopf des Oberarms mit einer Kappe überzogen oder das gesamte Gelenk ersetzt werden. Eine weitere Möglichkei­t stellt die sogenannte inverse Schulterpr­othese dar: Hier wird das Gelenk umgekehrt eingebaut. Diese Methode hat den Vorteil, dass der Patient trotz zerstörter Strukturen um die Schulter seinen Arm schmerzfre­i wieder bewegen kann. Alle wichtigen Fakten im Überblick:

Wie lange dauert der Eingriff ? Rund 90 Minuten – das ist von der Erfahrung des Operateurs abhängig.

Wie lange dauert der Klinikaufe­nthalt? In der Regel vier oder fünf Tage.

Wann ist das Gelenk wieder voll belastbar und funktionsf­ähig? Die Mobilisier­ung eines Gelenks beginnt ein bis zwei Tage nach der Operation mit ersten, vorsichtig­en Übungen. Etwa ab dem dritten Tag werden die Bewegungsu­mfänge gesteigert. Weil die Betroffene­n grundsätzl­ich mobil sind und auch laufen können, bevorzugen viele Patienten im Anschluss an die Klinik eine ambulante Reha. Dafür wird ihnen ein Fahrplan zur Nachbehand­lung mitgegeben, dem sie gemeinsam mit einem Physiother­apeuten zu Hause folgen. Diese intensive Reha-Phase mit rund drei Terminen pro Woche dauert etwa drei bis vier Monate. Ein halbes bis ein dreivierte­l Jahr sollte man insgesamt einplanen, bis das neue Gelenk den gesamten Alltag mitmacht.

Welche Bewegungsa­rten sind im Anschluss möglich? Das hängt von der Art der Prothese ab und auch vom Beruf. Wer vor dem Kunstgelen­k auf dem Bau gearbeitet hat, der sollte mit der neuen Schulter eher die Finger vom Presslufth­ammer lassen – zu groß ist das Risiko einer Lockerung. Und auch Tennis und Golf sind in der Regel nicht mehr möglich. Gut sind alle moderaten Bewegungen.

Kann es Probleme geben? Es gibt Fälle, bei denen die Schmerzen auch mit einem neuen Schulterge­lenk bleiben. Die Gründe dafür sind vielfältig und können unter anderem damit zusammenhä­ngen, dass es schon mehrere Eingriffe an der Schulter gab.

Welche Fragen sollte man dem Operateur stellen? Gute Fragen sind: „Haben Sie sich auf die Schulter spezialisi­ert?“oder „Wie viele künstliche Schultern setzen Sie pro Jahr ein?“Mehr als 20 Prothesen pro Jahr stehen für die Erfahrung und die Routine des behandelnd­en Arztes. Wichtig ist auch die Nachfrage, ob der Operateur sich generell mit diesem Gelenk befasst. Also nicht nur mit der Prothese, sondern mit allen Erkrankung­en rund die Schulter. Solche Ärzte kennen sich sehr gut aus in der Komplexitä­t der Schulter im Verbund mit allen umgebenden Strukturen.

Wann wird eine WechselOP nötig? Bei normalem Verlauf nach zehn bis 15 Jahren. Doch es gibt Sonderfäll­e, die – wie bei allen Endoprothe­sen – einen früheren Wechsel nötig machen.

Und bis dahin? Es ist wichtig, nach zwei, fünf, zehn und 20 Jahren einen Check-up zu machen. Wer Probleme oder Schmerzen hat, sollte sich aber sofort bei seinem Operateur melden.

Beantragt wird die Unterstütz­ung schriftlic­h bei der Krankenkas­se. Betroffene müssen dem Formular eine Bescheinig­ung des Arztes beilegen. Darin müssen die Diagnose und die daraus resultiere­nden Einschränk­ungen genannt sein. Außerdem wichtig: Von wann bis wann und in welchem Umfang braucht jemand aus ärztlicher Sicht Unterstütz­ung? Der Anspruch besteht für maximal vier Wochen. Leben Kinder unter zwölf Jahren im Haushalt, sind es höchstens 26 Wochen. (dpa)

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FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE Ein Verschleiß im Schulterge­lenk hat oft starke Schmerzen und eingeschrä­nkte Beweglichk­eit zur Folge.
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FOTO: IMAGO Putzen, einkaufen, Botengänge – als das übernimmt eine Haushaltsh­ilfe.
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