Wenn aus Hilfe Freundschaft wird
Der Nachbarschaftshilfeverein Mikado unterstützt Menschen in Not
GOSHEIM/KREIS TUTTLINGEN Rrrriiiiing – mit dem Kind in der einen und Kuchen in der anderen Hand klingelt Juliane Thiess an der Haustür eines kleinen Einfamilienhauses in Gosheim. Auf macht ein großgewachsener Senior mit Fliegerbrille. „Hallo Hans“, begrüßt sie den Mann in der Tür, „ich habe Kuchen für dich dabei.“„Sehr schön. Heute wäre ich eigentlich noch zu einem Geburtstag gegangen, aber der fällt aus, deswegen kann ich den gut gebrauchen“, freut sich der Senior und lädt die beiden zu sich ins Wohnzimmer ein – ein äußerst herzlicher Empfang, dafür, dass dieser Besuch offizieller Natur ist.
Hans Krämer ist Kunde bei Mikado, einem Nachbarschaftshilfeverein, der jungen und alten Menschen in allen Lebenslagen unterstützend zur Seite steht. Die Bezeichnung „Kunde“, wie die betreuten Menschen bei Mikado genannt werden, ist bei diesem Besuch allerdings nicht ganz treffend – denn die gemütliche Runde am Kaffeetisch wirkt nicht gerade wie eine oberflächliche Stippvisite. Den Nachwuchs im Schlepptau „Ich habe ja schon lange mal gesagt, dass ich vorbeikomme“, sagt die Mutter zweier Kinder. Seit seine Frau an Krebs erkrankt und vor fünf Jahren verstorben ist, ist Krämer allein in dem Einfamilienhaus. Auch seine vier Kinder sind gesundheitlich angeschlagen oder haben nicht genügend Zeit, ihrem Vater im Haushalt zu helfen. Damit er im Alltag besser zurecht kommt, besucht ihn einmal wöchentlich eine Helferin von Mikado und unterstützt ihn bei Wäschewaschen, Fensterputzen und anderen Dingen im Haushalt. Weil diese Helferin aber krank ist und deshalb einem Monat lang ausfällt, schaut Thiess heute, ob es dem Rentner gut geht. Ihr Anliegen ist es, ihre älteren Kunden ausreichend Hilfe zu vermitteln, damit die so lange es geht im gewohnten Umfeld wohnen bleiben können: „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“, so die 29-Jährige. Den Besuch macht sie zwar in ihrer Funktion als Einsatzleiterin der Gemeinde Gosheim, ein Zeitlimit hat sich die 29-Jährige aber nicht gesetzt.
„Ich kenne Hans von klein auf“, sagt die gebürtige Gosheimerin. „Sie war früher Ministrantin und mir deshalb gleich sympathisch. Und meine Frau war ja die Cousine deiner Oma“, fügt Krämer hinzu, während er mit der kleinen Frida durch ein Gartenmagazin blättert. Ihre elf Monate alte Tochter hat Thiess bewusst mitgebracht. „Wenn ich zu älteren Leute gehe, nehme ich sie oft mit. Die freuen sich immer sehr.“Krämer hat selbst vier Kinder, sieben Enkel und sieben Urenkel, sieht die aber nicht allzu oft.
„Guck mal Frida, da ist sogar ein Stieglitz“, sagt Krämer beim Blick ins Gartenheft. „Gibt’s die auch bei uns?“, will Thiess wissen. „Ja, gibt’s, aber die sind jetzt bestimmt schon ins Warme weitergezogen“, antwortet Krämer. Als Hobbygärtner und Tierfreund kennt er sich in Naturdingen aus. „Solange meine Frau fit war, hat sie sich immer um den Blumengarten gekümmert und ich mich um den Gemüsegarten“, sagt Krämer – heute macht er alles selbst: Tomaten und Paprika ziehen, Äpfel ernten, Marmelade einkochen. „Meine Mutter und mein Vater hatten früher ein paar Äcker. Für mich ist das normal.“
Was nicht normal ist, ist Krämers Offenheit gegenüber der MikadoMitarbeiterin. „Manche Kunden schämen sich auch, dass sie Hilfe brauchen, und sind dann nicht ganz so offen. Aber oft entstehen auch Freundschaften“, sagt Thiess. Und diese Freundschaften können vom gemeinsamen Kaffeekränzchen nach
„Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“Juliane Thiess, Einsatzleiterin beim Nachbarschaftshilfeverein Mikado
getaner Arbeit bis zum selbstgebastelten Geschenk führen – vergangene Weihnachten schenkte der Senior Thiess’ Töchtern selbstgeflochtene Weidenkörbe. „Mit denen spielen sie immer fleißig, gell Frida“, sagt Thiess und schaut zu ihrer Tochter hinunter auf den Boden. Die hat in der Zwischenzeit Krämers eigenen Weidenkorb entdeckt und schubst ihn durch das Wohnzimmer. Vesper aus dem Gewächshaus Im Fall von Thiess und Krämer reicht die freundschaftliche Arbeitsbeziehung sogar bis zur kleinen Exkursion durch Krämers Gewächshäuser am Ende des Besuchs; ein Vesperpaket mit Paprika, Tomaten und Marmelade ist für Thiess und ihre Tochter inklusive. „Und wann kommst du wieder zu deiner Mutter?“, fragt Krämer, „für die hab ich auch noch Paprika. Die nimmst du dann auch noch mit, okay?“