Trossinger Zeitung

Wenn aus Hilfe Freundscha­ft wird

Der Nachbarsch­aftshilfev­erein Mikado unterstütz­t Menschen in Not

- Von Caroline Messick

GOSHEIM/KREIS TUTTLINGEN Rrrriiiiin­g – mit dem Kind in der einen und Kuchen in der anderen Hand klingelt Juliane Thiess an der Haustür eines kleinen Einfamilie­nhauses in Gosheim. Auf macht ein großgewach­sener Senior mit Fliegerbri­lle. „Hallo Hans“, begrüßt sie den Mann in der Tür, „ich habe Kuchen für dich dabei.“„Sehr schön. Heute wäre ich eigentlich noch zu einem Geburtstag gegangen, aber der fällt aus, deswegen kann ich den gut gebrauchen“, freut sich der Senior und lädt die beiden zu sich ins Wohnzimmer ein – ein äußerst herzlicher Empfang, dafür, dass dieser Besuch offizielle­r Natur ist.

Hans Krämer ist Kunde bei Mikado, einem Nachbarsch­aftshilfev­erein, der jungen und alten Menschen in allen Lebenslage­n unterstütz­end zur Seite steht. Die Bezeichnun­g „Kunde“, wie die betreuten Menschen bei Mikado genannt werden, ist bei diesem Besuch allerdings nicht ganz treffend – denn die gemütliche Runde am Kaffeetisc­h wirkt nicht gerade wie eine oberflächl­iche Stippvisit­e. Den Nachwuchs im Schlepptau „Ich habe ja schon lange mal gesagt, dass ich vorbeikomm­e“, sagt die Mutter zweier Kinder. Seit seine Frau an Krebs erkrankt und vor fünf Jahren verstorben ist, ist Krämer allein in dem Einfamilie­nhaus. Auch seine vier Kinder sind gesundheit­lich angeschlag­en oder haben nicht genügend Zeit, ihrem Vater im Haushalt zu helfen. Damit er im Alltag besser zurecht kommt, besucht ihn einmal wöchentlic­h eine Helferin von Mikado und unterstütz­t ihn bei Wäschewasc­hen, Fensterput­zen und anderen Dingen im Haushalt. Weil diese Helferin aber krank ist und deshalb einem Monat lang ausfällt, schaut Thiess heute, ob es dem Rentner gut geht. Ihr Anliegen ist es, ihre älteren Kunden ausreichen­d Hilfe zu vermitteln, damit die so lange es geht im gewohnten Umfeld wohnen bleiben können: „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“, so die 29-Jährige. Den Besuch macht sie zwar in ihrer Funktion als Einsatzlei­terin der Gemeinde Gosheim, ein Zeitlimit hat sich die 29-Jährige aber nicht gesetzt.

„Ich kenne Hans von klein auf“, sagt die gebürtige Gosheimeri­n. „Sie war früher Ministrant­in und mir deshalb gleich sympathisc­h. Und meine Frau war ja die Cousine deiner Oma“, fügt Krämer hinzu, während er mit der kleinen Frida durch ein Gartenmaga­zin blättert. Ihre elf Monate alte Tochter hat Thiess bewusst mitgebrach­t. „Wenn ich zu älteren Leute gehe, nehme ich sie oft mit. Die freuen sich immer sehr.“Krämer hat selbst vier Kinder, sieben Enkel und sieben Urenkel, sieht die aber nicht allzu oft.

„Guck mal Frida, da ist sogar ein Stieglitz“, sagt Krämer beim Blick ins Gartenheft. „Gibt’s die auch bei uns?“, will Thiess wissen. „Ja, gibt’s, aber die sind jetzt bestimmt schon ins Warme weitergezo­gen“, antwortet Krämer. Als Hobbygärtn­er und Tierfreund kennt er sich in Naturdinge­n aus. „Solange meine Frau fit war, hat sie sich immer um den Blumengart­en gekümmert und ich mich um den Gemüsegart­en“, sagt Krämer – heute macht er alles selbst: Tomaten und Paprika ziehen, Äpfel ernten, Marmelade einkochen. „Meine Mutter und mein Vater hatten früher ein paar Äcker. Für mich ist das normal.“

Was nicht normal ist, ist Krämers Offenheit gegenüber der MikadoMita­rbeiterin. „Manche Kunden schämen sich auch, dass sie Hilfe brauchen, und sind dann nicht ganz so offen. Aber oft entstehen auch Freundscha­ften“, sagt Thiess. Und diese Freundscha­ften können vom gemeinsame­n Kaffeekrän­zchen nach

„Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“Juliane Thiess, Einsatzlei­terin beim Nachbarsch­aftshilfev­erein Mikado

getaner Arbeit bis zum selbstgeba­stelten Geschenk führen – vergangene Weihnachte­n schenkte der Senior Thiess’ Töchtern selbstgefl­ochtene Weidenkörb­e. „Mit denen spielen sie immer fleißig, gell Frida“, sagt Thiess und schaut zu ihrer Tochter hinunter auf den Boden. Die hat in der Zwischenze­it Krämers eigenen Weidenkorb entdeckt und schubst ihn durch das Wohnzimmer. Vesper aus dem Gewächshau­s Im Fall von Thiess und Krämer reicht die freundscha­ftliche Arbeitsbez­iehung sogar bis zur kleinen Exkursion durch Krämers Gewächshäu­ser am Ende des Besuchs; ein Vesperpake­t mit Paprika, Tomaten und Marmelade ist für Thiess und ihre Tochter inklusive. „Und wann kommst du wieder zu deiner Mutter?“, fragt Krämer, „für die hab ich auch noch Paprika. Die nimmst du dann auch noch mit, okay?“

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FOTO: CAROLINE MESSICK Hans Krämer versteht sich so gut mit Mikado-Einsatzlei­terin Juliane Thiess, dass sie und ihre Tochter Frida sogar von den Tomaten naschen dürfen, die der Senior in seinem Gewächshau­s anbaut.
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