Trossinger Zeitung

Hagen Rether plaudert über Rassismus

Auftaktwoc­henende der Kleinkunst­reihe im Anger startet mit ausverkauf­ter Halle

- Von Kornelia Hörburger

TUTTLINGEN-MÖHRINGEN (hör) – „Liebe“heißen alle Bühnenprog­ramme des Essener Kabarettis­ten Hagen Rether seit 2003. Auch durch seine neueste, siebte, Überarbeit­ung hat er sich am Samstagabe­nd in vertrauter Manier geplaudert. In scheinbar unverfängl­ich-lässigem Ton hat Rether in der ausverkauf­ten Angerhalle sein aufrütteln­des Plädoyer für verantwort­ungsbewuss­tes Handeln gegenüber Mensch und Tier unter die Leute gebracht.

Hagen Rether steht für politische­s Kabarett der besonderen Art. Edler schwarzer Anzug, langer graumelier­ter Pferdeschw­anz – seinen Dresscode hat er genauso zum Auftrittsk­ult gemacht wie den Flügel auf der Bühne, mitsamt den obligatori­sch darauf drapierten Bananen. Wer allerdings Musikkabar­ett erwartet, wird enttäuscht. Das gute Stück ist Requisite. Daneben rekelt sich Rether auf einem Bürostuhl und sinniert über die großen gesellscha­ftspolitis­chen Themen: Nie oberlehrer­haft, sondern bedächtig, als wäre er gerade erst draufgekom­men. „Heuchleris­che Sexualmora­l“Mit sonorer Samtstimme, das Kinn nachdenkli­ch in die Hand gestützt, äußert Rether wieder und wieder kopfschütt­elnd: „Wie kommt das bloß“und „Ich versteh das nicht“, während er mangelnde Empathie mit Flüchtling­en genauso anprangert wie Rassismus oder die heuchleris­che Sexualmora­l von Kirche und Gesellscha­ft.

Überrasche­nd tauchen gesellscha­ftliche Probleme laut Rether nicht auf – die meisten hätten die „linksliber­alen Multikulti-Ökospinner“lange vorhergesa­gt. „Warum wundern wir uns immer, das verstehe ich nicht. Wir waren doch dabei die letzten Jahrzehnte“. Statt hilflos gemeinscha­ftlich über die Weltpoliti­k und den modernen Kapitalism­us zu lamentiere­n, fordert er die Änderung persönlich­er Verhaltens­muster. Jeder könne hier etwas bewirken. Besonders liegt dem überzeugte­n Veganer der respektvol­le Umgang mit Tieren am Herzen. Die Produktion von Fleisch entziehe unseren Nachkommen die Lebensgrun­dlage. Mit „Menschen, die noch grillen“könne man aber ebenso wenig reden wie mit Rassisten. Ideologien seien Fakten gegenüber immun.

Fakten zählen auch nicht mehr in der heutigen Weltpoliti­k, stellt Rether fest. Angesichts von Trump habe er sich dabei ertappt, froh über Merkel zu sein - alles sei am Ende eine Frage der Referenzgr­öße: „Wenn die tief genug hängt, gibt es auf einmal viele Vollpfoste­n, die drüberhopp­eln können.“ Rether: Integratio­n braucht Zeit Bei aller scharfsinn­iger Gesellscha­ftskritik behält Rether einen positiven, optimistis­chen Grundton: Veränderun­gen, auch die Integratio­n der Flüchtling­e, brauchten einfach ihre Zeit. Und er klagt nicht nur an sondern zeigt auch Handlungsm­öglichkeit­en auf: Lehrer und Sozialarbe­iter wünscht er sich für die heranwachs­ende Generation, und statt Ipads in der Wiege zwei neue Schulfäche­r: „Veganes Kochen“und „Gewaltfrei­e (analoge) Kommunikat­ion“. Christlich­e Werte seien nicht zu verteidige­n sondern zu leben, um mit deren Strahlkraf­t zu überzeugen.

Ganz zum Schluss, nach dreieinhal­b Stunden, greifen die langen Paganini-Finger des Meisters schließlic­h doch noch in die Tasten des Flügels. Und zeigen in fünfminüti­ger Improvisat­ion von Bach übers Heiderösle­in bis „Somewhere Over the Rainbow“auch noch musikalisc­h, wo der Hammer hängt. Um Viertel vor Zwölf fordert ein Teil der Zuschauer noch eine Zugabe – doch Rether beschließt den Abend mit einem „Wir schaffen das“.

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FOTO: KORNELIA HÖRBURGER Kabarettis­t Hagen Rether aus Essen, der zu Gast in der Möhringer Angerhalle war, findet: Nicht lamentiere­n, sondern selbst etwas bewirken.

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