Trossinger Zeitung

Handwerker des Todes

Ein Münchner Präparator hat schon Strauß und Roy Black einbalsami­ert – Er kritisiert die Tabuisieru­ng des Sterbens

- Von Dirk Grupe

MÜNCHEN - Der Tod als ständiger Begleiter wirkt offenbar wie eine Frischzell­enkur. 63 Jahre ist Alfred Rieperting­er alt, das schmale Gesicht mit Dreitageba­rt lässt ihn aber jungenhaft wirken, was die wachen Augen hinter der Nickelbril­le unterstrei­chen. Morbider erscheint da sein Büro in der Pathologie des Schwabinge­r Klinikums in München. Von den wuchtigen Wandschrän­ken aus den Anfängen des Klinikums Anfang des 20. Jahrhunder­ts grüßt ein ausgestopf­ter Kaiman und zwischen den vielen Schwarz-Weiß-Fotos hängen auch zwei Totenmaske­n früherer Kollegen. „Ich mag die Aura des Mysteriöse­n“, sagt Rieperting­er, den der Tod schon immer fasziniert­e, der Friedhöfe und das Schwarz der Trauer anziehend findet.

Als Kind besuchte er mit seinem Vater den Münchner Ostfriedho­f, wo die Verstorben­en noch öffentlich aufgebahrt wurden. Ein schaurig-schönes Erlebnis oder wie Rieperting­er in seinem ersten Buch („Mein Leben mit den Toten“) über jene Sonntage schreibt: „Mit dem ,Bapa’ Leichen und Dampfloks bestaunen.“Mit 16 jobbte er bei einem Bestatter, kam über den Zivildiens­t in die Schwabinge­r Pathologie – und stellt bis heute sein Arbeitsleb­en in den Dienst des Todes. Klinische Qualitätsk­ontrolle Er lernte das Sezieren, das Vernähen der Haut und vieles mehr. Seit jenen Tagen lagen, meist auf den Edelstahlt­ischen des Instituts, rund 6000 Tote vor ihm, die er in weißem Kittel mit kurzen Ärmeln und in roten Gummihands­chuhen mit dem Sezierbest­eck obduzierte. „Ich bin ein Handwerker“, sagt Rieperting­er, ein medizinisc­her Präparator, womit er sich vom Rechtsmedi­ziner genauso unterschei­det wie vom Pathologen. Sein Kernauftra­g besteht darin, dem Obduzenten dabei zu helfen, die Diagnose der Ärzte zu überprüfen, „eine klinische Qualitätsk­ontrolle“, wie er sagt. Die Erkenntnis­se fließen in künftige Behandlung­en ein und können so Leben verlängern, manchmal auch retten. Oder wie es im Sektionssa­al der Schwabinge­r Pathologie an der Wand steht: Mortui Vivos Docent – Die Toten lehren die Lebenden.

„Edelstahlt­isch“, „Handwerker“, „Qualitätsk­ontrolle“; die Begrifflic­hkeit klingt kühl, doch „kalt, leer, starr und nichtssage­nd“ist allein der Blick eines toten Menschen. Der Umgang mit ihm sei es nicht. „Es ist eine Gratwander­ung“, erklärt der Präparator. „Die Profession­alität gehört dazu, aber ohne abgebrüht zu sein.“

So kommen die Toten dem Fachmann mal mehr mal weniger nah, über verstorben­e Freunde oder Verwandte trauert er wie jeder andere, über tote Kinder manchmal so, als ob er sie persönlich gekannt hätte. Wie jene zwei Mädchen im Alter von acht und elf Jahren, die einem Doppelmord zum Opfer fielen. Noch bevor ihre Körper in die Pathologie kamen, wusste Rieperting­er aus Berichten: Der Täter war mit äußerster Brutalität vorgegange­n.

Zu seinen Aufgaben gehört dann das Herrichten der Leichen, die plastische Rekonstruk­tion für den Anblick der Verwandten, für Rieperting­er ein zwingend notwendige­r Akt: „Nichts ist schlimmer, als wenn jemand sagt: ,Behalten Sie ihn in Erinnerung, wie er war’“, sagt er. Weil ohne die Begegnung mit der Realität des Verstorben­en der Abschied für die Nahestehen­den unvollkomm­en werde, die Leichen einen in der Vorstellun­g nicht mehr loslassen, denn: „Nur wenig kann so quälend sein wie die eigene Fantasie.“

Manchmal, bei Prominente­n, will eine Stadt oder das ganze Land Abschied nehmen. Für die öffentlich­e Aufbahrung ist dann Rieperting­ers Kunst als Einbalsami­erer gefragt. So geschehen bei Schlagersä­nger Roy Black („meine sonnengebr­äunteste Leiche“), beim ermordeten Modezar Rudolph Moshammer oder vor 30 Jahren bei Franz Josef Strauß. Liegt Prominenz auf dem Edelstahlt­isch, halte er kurz inne, um sich die Person zu vergegenwä­rtigen. „Danach behandele ich sie aber genauso wie Lieschen Müller.“Womit eine Binsenweis­heit Wirklichke­it wird: Im Tod sind alle gleich.

Die alten Ägypter sahen das anders, was sich an den Mumien ablesen lässt, bei Pharaonen sind sie prunkvoll und kunstferti­g, von beidem findet sich wenig beim Fußvolk. „Mumien“lautet der Titel von Rieperting­ers neuem Buch, eine Leidenscha­ft des „Gruftis“. Darin berichtet er über seine Arbeit in Dötting in der Adelsgruft aus der Zeit des bayerische­n Königreich­s oder wie er Regina und Otto von Habsburg einbalsami­erte. Er erzählt aber auch: „Allein in München, das wissen die wenigsten, werden jedes Jahr auch Mumien gefunden.“Sogenannte Naturmumie­n. Tote, die lange unentdeckt blieben. Wie jene verstorben­e Frau, die die Polizei 2014 in einer Wohnung fand. Ihre erwachsene Tochter, offenbar psychisch krank, lebte mit der mumifizier­ten Mutter, schlief sogar jede Nacht neben ihr – fünf Jahre lang. Ein vergessene­r Geruch Für Alfred Rieperting­er ist dieses schrecklic­he Schicksal symptomati­sch für Vereinsamu­ng und Anonymität der Menschen. Aber auch für ihren Umgang mit dem Sterben. „Früher kannten die Leute den Geruch des Todes und der Verwesung.“Früher kamen auch Nachbarn und Freunde in die Wohnungen, um sich von den Toten zu verabschie­den. Früher gab es noch öffentlich­e Aufbahrung­en, die Bekannten und Nachbarn konnten sich verabschie­den. Heute, so habe es sich tatsächlic­h zugetragen, „bringt ein Hospiz die Verstorben­en nur in der Nacht weg – weil die Nachbarn sich beschwert hatten“. Für ihn „der Gipfel an Kleinkarie­rtheit“.

Der Tod wird in die Dunkelheit verbannt, ausgeblend­et und „aus dem Alltag ausgegrenz­t“, sagt Rieperting­er. Bedauerlic­h, weil erst wer auch den Tod kenne, „weiß wie wertvoll das Lebens ist“.

Am Ende des Gesprächs führt der Präparator den Besucher in die „Schatzkamm­er“, zur Lehrsammlu­ng des Instituts, eine Herzensang­elegenheit von ihm. Zu bestaunen sind Skelettkno­chen, plastinier­te Organe oder eine Mumienhand von 1500 v. Chr. Was nach dem Ableben kommt, das weiß natürlich auch der Leichenexp­erte nicht, aber sehr wohl, was mit ihm geschehen soll. „Ich wünsche mir eine Feuerbesta­ttung.“Die Urne soll dann zwischen den Exponaten stehen als Teil der Sammlung. Damit auch sein Tod vielleicht eines Tages die Lebenden lehrt. Alfred Rieperting­er, „Mumien“, Heyne, 20 Euro. „Mein Leben mit den Toten“, Heyne, 20 Euro.

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FOTO: DPA Mortui Vivos Docent – Die Toten lehren die Lebenden: Gemäß diesem Leitsatz hat Alfred Rieperting­er schon rund 6000 Leichen im Sektionssa­al des Städtische­n Klinikums München obduziert.

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