Dämpfer bei den Steuereinnahmen
Einnahmen des Bundes steigen weniger stark an – FDP fordert „grundlegende Reform“
BERLIN - Erstmals seit Jahren gibt es wegen der sich eintrübenden Konjunktur einen Dämpfer bei den Steuereinnahmen. Sie steigen nicht mehr so stark an wie zuletzt. Bund, Länder und Kommunen können bis 2022 zwar noch mit 6,7 Milliarden Euro mehr an Einnahmen rechnen als bei der Steuerschätzung im Mai vorhergesagt, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag in Berlin. In den Vorjahren hatten die Steuerschätzer jeweils deutlich höhere Zuwächse errechnet. Im Mai betrug das prognostizierte Einnahmeplus noch 63,3 Milliarden Euro. Mit dem nun dazukommenden Plus werden bis 2022 Staatseinnahmen von 907,4 Milliarden Euro im Jahr erwartet.
„Wir müssen uns auf eine Normalisierung der Einnahmen einrichten“, erklärte Scholz. Er erteilte Forderungen nach einer Steuerreform, wie von Unternehmen und Handelsverbänden gefordert, eine Absage. Auch eine volle Abschaffung des Solidaritätsbeitrags schloss der Finanzminister aus. „Größere neue Spielräume sind nicht sichtbar“, sagte Scholz. Die zusätzlichen Mittel in der Bundeskasse, etwa zwei der 6,7 Milliarden Euro, möchte er für Entwicklungshilfe, Verteidigung und die Forschungsförderung nutzen.
Die FDP forderte jedoch Steuersenkungen für die Bürger – und eine geänderte Unternehmensbesteuerung. Otto Fricke, der haushaltspolitische Sprecher der Liberalen, sagte der „Schwäbischen Zeitung“: „Eigentlich brauchen wir eine grundlegende Reform.“Scholz müsse „die deutsche Unternehmensbesteuerung so umbauen, dass sie als gutes Beispiel in Europa dienen kann“. Der Deutsche Städte- und Gemeindetag warnte derweil vor Steuersenkungen. Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte: „Das wichtige Ziel von ausgeglichenen Haushalten bei Bund, Ländern und Gemeinden und ein echter Schuldenabbau dürfen nicht vernachlässigt werden.“
Vor dem Dämpfer bei den Steuereinnahmen hatte die Regierung bereits ihre Wachstumsprognose auf 1,8 Prozent für das laufende Jahr nach unten korrigieren müssen. Auch die aktuellen Ausschläge an den Börsen zeugen von einer wachsenden Nervosität weltweit.
BERLIN (dpa) - Vieles von den Steuermehreinnahmen ist bereits von der Großen Koalition verplant – dabei hat es in Deutschland seit Jahren keine große Steuerreform mehr gegeben; bei den Gesundheits-, Pflegeund Rentensystemen wird mehr herumgedoktert als reformiert. Ein Überblick über fünf teure Projekte der Koalition:
Das Baukindergeld: Es wird mit Gesamtkosten von über zehn Milliarden Euro gerechnet. Damit werden auch künftige Regierungen gebunden, denn es gibt 12 000 Euro Zuschuss je Kind, gezahlt über zehn Jahre. Doch ob es was bringt, ist hochumstritten – gerade in Ballungsgebieten könnten noch mehr Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt werden.
Das Rentenpaket: Stabile Renten verhindern einen deutschen Donald Trump, lautet das Credo von Finanzminister Olaf Scholz. Schon in der letzten großen Koalition wurden mit der Rente ab 63 für körperlich hart arbeitende Bürger und der Mütterrente teure Projekte auf den Weg gebracht. Ab Januar wird letztere ausgeweitet, alle Mütter und Väter mit Erziehungszeit, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, bekommen zusätzlich einen halben Rentenpunkt gutgeschrieben. Die Kosten sollen bei jährlich 3,7 Milliarden Euro liegen. Zudem soll es Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente geben – und das Rentenniveau von 48 Prozent soll bis 2025 stabil gehalten werden. Für die Rentenversicherung könnte dies bis 2025 mit knapp 32 Milliarden Euro zu Buche schlagen.
Der „soziale Arbeitsmarkt“: Das Angebot richtet sich an Arbeitslose über 25, die seit mindestens sieben Jahren Grundsicherung bezogen haben. Sie sollen fünf Jahre lang Lohnkostenzuschüsse bekommen, die ersten zwei Jahre in Höhe des Mindestlohns. Außerdem sollen sie besser betreut und weitergebildet werden. Ziel ist der Übergang in eine normale Beschäftigung. Für Menschen, die über zwei Jahre arbeitslos sind, soll es Lohnzuschüsse für 24 Monate geben – im ersten Jahr 75, im zweiten 50 Prozent des normalen Arbeitslohns. Die Regierung rechnet mit Kosten von vier Milliarden Euro.
Entlastung: Ab 2021 sollen 90 Prozent der bisherigen Zahler des Solidaritätszuschlags („Soli“) entlastet werden – das macht zehn Milliarden Euro aus. Der Steuerzahlerbund und die FDP fordern dagegen die komplette Abschaffung, da der Solidarpakt II Ende 2019 ausläuft, sodass der Soli ab 2020 nicht mehr erhoben werden dürfte – zumal er längst nicht mehr primär für die Unterstützung des Ostens eingesetzt wird. Familien und Bürger werden zudem ab 2019 durch mehr Kindergeld und höhere Freibeträge um bis zu 9,8 Milliarden Euro entlastet. Und durch eine wieder gleiche Beteiligung der Arbeitgeber an den Beiträgen zur Krankenversicherung sollen die Bürger 6,9 Milliarden Euro jährlich sparen. Die Beiträge sollen sich um bis zu 38 Euro monatlich reduzieren. Bei 3000 Euro brutto Einkommen sind es 15 Euro.
Bildung/Digitalisierung/Kitas: Hier sind Zukunftsinvestitionen von weit über zehn Milliarden Euro geplant – so sollen zum Beispiel mehr als 5000 Schulen mit schnellem Internet versorgt werden. Jeweils zwei Milliarden sind für eine bessere Ganztagsbetreuung vorgesehen und für mehr Forschung, zudem soll das schnelle Internet überall ausgebaut werden – aber viele Mittel werden bisher nicht abgerufen, da es an Glasfaserkabeln und Tiefbaufirmen mangelt. Mit dem „Gute-Kita-Gesetz“sollen Kitas besser und für Geringverdiener kostenlos werden. Bis 2022 sollen dafür 5,5 Milliarden Euro vom Bund an die Länder fließen.