Trossinger Zeitung

Vorerst kein Gefängnis für Nasenbeiße­r

Streit vor Asylunterk­unft: 30-Jähriger verletzt Kontrahent­en – Ein Jahr auf Bewährung

- Von Sebastian Heilemann

TUTTLINGEN - Sie streiten sich um Geld, es kommt zu einem Gerangel, plötzlich beißt einer der beiden zu. Und zwar so sehr, dass bei seinem Kontrahent­en der linke Nasenflüge­l fehlt. Was wie ein Drehbuch von Quentin Tarantino klingt, passierte so im November des vergangene­n Jahres vor einer Asylbewerb­erunterkun­ft in der Tuttlinger Moltkestra­ße. Jetzt beschäftig­te sich das Amtsgerich­t mit dem Fall. Das Urteil: ein Jahr auf Bewährung.

Es war gleich eine ganze Reihe von Vorwürfen gegen den 30-jährigen Angeklagte­n, die Oberstaats­anwalt Joachim Diettrich in der Anklagesch­rift verlas: Erschleich­en von Leistungen, Hausfriede­nsbruch, Diebstahl, Bedrohung, Sachbeschä­digung und schließlic­h Körperverl­etzung. Eigentlich zwei Fallkomple­xe, die in einer Hauptverha­ndlung zusammenge­fasst wurden.

Einer davon spielte sich im November des vergangene­n Jahres in und vor der Asylbewerb­erunterkun­ft in der Tuttlinger Moltkestra­ße ab. Der Angeklagte hatte einem Bewohner der Unterkunft 500 Euro geliehen. Weil er das Geld anders als versproche­n zum Ende des Monats immer noch nicht bekommen hat, will er seinen Schuldner zur Rede stellen und macht sich auf den Weg zur Moltkestra­ße. Dort trifft der 30-Jährige aber zunächst nur den Zimmernach­barn an – ein Verwandter des Gesuchten. Nach kurzer Zeit geraten die Beiden in Streit, eine Tür geht zu Bruch, der Angeklagte zertrümmer­t einen Fernseher, es kommt zu einem Handgemeng­e, bei dem der Angeklagte seinem Kontrahent­en einen Kopfstoß versetzt. „Ich will mein Geld, sonst bringe ich dich um“, schreit er. Auch ein Pfefferspr­ay und eine abgebroche­ne Bierflasch­e spielen eine Rolle. Welche genau, darüber gehen die Aussagen vor Gericht auseinande­r. Folgeeinsa­tz nach 20 Minuten Die von der derzeitige­n Leiterin der Unterkunft herbeigeru­fenen Polizeibea­mten trennen die Streitende­n. „Alle sind aufgebrach­t durch die Gegend gehüpft“, erzählt die Leiterin später vor Gericht. Die Beamten sprechen einen Platzverwe­is gegen den 30-Jährigen aus, beobachten ihn noch, wie er von der Unterkunft wegläuft und machen sich wieder auf den Rückweg vom Einsatzort. „Zwanzig Minuten später kam es dann zum Folgeeinsa­tz“, sagt einer der Beamten aus. Denn: Nachdem die Polizei wieder abgezogen ist, macht sich der Angeklagte erneut auf, um sein Geld einzuforde­rn.

Vor der Unterkunft bittet er einen anderen Bewohner, seinen Schuldner nach draußen zu holen. Der kommt der Bitte nach. Sie treffen sich vor dem Gebäude und reden. Weil der 22Jährige ihm nur einen Teil des Geldes zurückgebe­n kann, packt ihn der Angeklagte, die beiden schlagen aufeinande­r ein. Und plötzlich beißt der 30-Jährige zu. Der linke Nasenflüge­l des 22-Jährigen wird abgetrennt. Blutüberst­römt rennt er weg und bricht im Büro der Heimleiter­in zusammen. Polizei sucht Nasenflüge­l „Wir haben versucht, den fehlenden Nasenflüge­l zu finden“, erzählt der 32-jährige Polizeibea­mte. Mit Erfolg. „Wir sind dann nach VillingenS­chwenninge­n gefahren und haben ihn gebracht.“Das fehlende Teil wird dort in einer Notoperati­on wieder angenäht. Mehrere Tage bleibt das 22-jährige Opfer in der Klinik. Weil er in einer Nacht, aus Angst von einem Mörder verfolgt zu werden, schreiend durch das Krankenhau­s rennt, wird er vorübergeh­end in der Psychiatri­e behandelt. Mentale Probleme habe er vor dem Angriff nie gehabt, sagt er vor Gericht. Schmerzen oder Atemproble­me habe er hingegen keine. Nur optisch störe ihn seine Nase jetzt. Nach der Operation sei das angenähte Teil auch nochmal abgefallen.

Vor Gericht räumt der in Deutschlan­d geduldete Asylbewerb­er die Tat ein – zumindest den Biss und den zertrümmer­ten Fernseher und die Drohung, den 22-Jährigen umzubringe­n. Der Kopfstoß sei während des Gerangels ein Versehen gewesen, das Pfefferspr­ay habe einem der Bewohner der Moltkestra­ße gehört. Doch mittlerwei­le sei zwischen den Männern alles geklärt. Er habe seinem Opfer bereits 250 Euro Schmerzens­geld bezahlt und sie seien immer noch Freunde. „Es läuft gut, wir sind Freunde und chillen jeden Tag zusammen“, lässt er seinen Dolmetsche­r übersetzen.

Das Schöffenge­richt sah die Vorwürfe weitgehend bestätigt und verurteilt­e den Angeklagte­n zu einer Gesamtstra­fe von einem Jahr auf Bewährung. Der 30-Jährige darf sich nun zwei Jahre lang nichts zu schulden kommen lassen und muss insgesamt 100 Stunden gemeinnütz­ige Arbeit leisten.

Weil der Geschädigt­e keine erhebliche­n bleibenden Schäden davongetra­gen hat, ging das Gericht nur von einer vorsätzlic­hen anstatt einer schweren Körperverl­etzungaus– und damit von einer geringeren Strafe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. Einen Videobeitr­ag zum Prozess finden Sie unter www.schwaebisc­he.de/ nasenbeiss­er

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FOTO: INGEBORG WAGNER Tatort Moltkestra­ße: Hier kam es im November zu dem Vorfall.

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