Reform soll mehr Pfleger ans Krankenbett bringen
Das Pflegepersonalstärkungsgesetz ist beschlossen, doch Kliniken müssen mit vielen Unbekannten kalkulieren
RAVENSBURG - Klinikpatienten im Südwesten können bald mit mehr Pflegern am Krankenbett rechnen. Grund dafür sind zwei Reformen, auf die sich die Krankenhäuser derzeit vorbereiten. Doch die Manager der Kliniken sehen noch viele ungeklärte Fragen.
Rechnen heißt es derzeit für die Krankenhäuser im Land. Die versuchen sich auf das einzustellen, was in den kommenden Monaten auf sie zukommt: Das Pflegepersonalstärkungsgesetz. „Es ist die größte Änderung seit der Einführung der Fallpauschale“, sagt Sebastian Wolf, Geschäftsführer der Ravensburger Oberschwabenklinik, über die anstehenden Reformen. Die geplanten personellen und finanziellen Neuerungen, die die Pflegesituation der Krankenhäuser verbessern sollen, kämen einem Paradigmenwechsel in der Krankenhausfinanzierung gleich – so viel steht für Wolf fest. Rätselraten ist jedoch bei der Umsetzung angesagt: „Was ins Pflegebudget reinkommt, ist bis jetzt unklar“, so Wolf. 13 000 Stellen für Altenheime Auch im Bereich der Altenpflege will der Bund für Entlastung sorgen: 13 000 Stellen sollen geschaffen werden, die sich hauptsächlich um die medizinische Gesundheitspflege kümmern sollen. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) befürchtet jedoch, dass die groß angekündigte Finanzierung der zusätzlichen Kräfte zur Luftnummer gerät. Bernd Meurer, Präsident des bpa, glaubt, dass sich die bestehenden Personal- und Versorgungsprobleme in der Altenpflege mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz sogar verschärfen werden: „Der Gesetzgeber nimmt eine nicht nachvollziehbare Bevorzugung der Krankenhäuser vor. Dort wird jede zusätzliche und jede aufgestockte Stelle finanziert, ohne dass auch nur ein einziger Patient belastet wird.“ Der Knackpunkt der Reform Bei den Krankenhäusern bemisst sich die Anzahl der benötigten Pflegekräfte in Zukunft an Untergrenzen. Gleich zwei Reformen spielen dabei eine Rolle: zunächst die ab Januar 2019 geltende Personaluntergrenze, die Spahns Vorgänger, Hermann Gröhe (CDU), eingeführt hatte. Nach dieser Reform sollen Kliniken für die vier pflegeintensiven Bereiche Intensivmedizin, Kardiologie, Unfallchirurgie und Geriatrie eine Mindestanzahl an Pflegepersonal vorweisen. Die Krankenhäuser rechnen momentan noch aus, wie viel zusätzliches Personal sie benötigen. Die Oberschwabenklinik hat bereits erste Zahlen überschlagen: „Nach derzeitigem Leistungsspektrum müssten wir sechs bis zehn Vollkräfte nachführen, um die Untergrenze in den Bereichen zu erreichen“, so Wolf.
Gröhes Untergrenzenreform ist allerdings nur eine Zwischenlösung, denn im Jahr 2020 greift Spahns Pflegepersonalstärkungsgesetz, das am Freitag vom Bundestag verabschiedet wurde. Hierbei sollen die Untergrenzen auf sämtliche Pflegebereiche in Krankenhäusern ausgeweitet werden. Mit einem neuartigen Bemessungsverfahren, das erst 2020 feststehen wird, soll dann das Verhältnis von Vollzeitpflegekräften zum Pflegeaufwand weiter optimiert werden. Die Krankenhäuser in Deutschland müssen sich dabei auf Sanktionen einstellen. Sollten in einer Klinik zu viele Patienten auf einen Pfleger kommen, sind Budgetkürzungen die Folge. Denn das Geld für das Pflegepersonal kommt künftig von den Krankenkassen. Anders als jetzt müssen die Kliniken dann keinen Eigenanteil mehr beisteuern.
Den Kassen geht dieses Finanzierungsmodell gegen den Strich. Der Spitzenverband der Kassen (GKV) macht eine nicht funktionierende Krankenhausplanung, zu knappe Investitionen der Länder und eine zu hohe Verweildauer der Patienten verantwortlich für den Pflegenotstand. Spahn will dafür an anderer Stelle sparen. Bislang unterstützte der Bund die Kliniken mit dem sogenannten Pflegezuschlag. Diesen konnten die Krankenhäuser bisher neben dem Pflegepersonal für das gesamte Personal, also auch für Ärzte oder den medizinischtechnischen Dienst, einsetzen. Durch das Pflegepersonalstärkungsgesetz fällt der weg.
Geht es nach Wolf, sollte der Zuschlag aber erhalten bleiben und in das künftige Budget einfließen. Auch den Krankenhausgesellschaften in Baden-Württemberg und Bayern missfällt der Wegfall dieses Zuschlags. Laut der BadenWürttembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) macht der Pflegezuschlag im Land rund 63 Millionen Euro aus, in Bayern sind es rund 80 Millionen. Der Bund will im neuen Gesetz zwar 40 Millionen Euro an Pflegebudget zuschießen, doch dieses Geld kann dann nur für das Pflegepersonal verwendet werden. Nach Angaben der BWKG steht unterm Strich ein Minus von knapp 26 Millionen Euro im Klinkhaushalt.
Getreu seinem Motto „Die Planung der Unsicherheit ist ein Wesensmerkmal im Gesundheitsbereich“, stellt sich Wolf auf weitere Variablen ein, die die Pflegereform bereithält. „Aber natürlich wäre es uns schon lieber, wir würden über das eine oder andere mehr wissen.“