Historische Gesten reichen nicht aus
Es war ein angeschlagenes Paar, das im Mittelpunkt der Feiern zum Weltkriegsende stand. Hier eine Kanzlerin, deren Macht schwindet. Dort ein Präsident, der seine Landsleute nicht von seiner Politik überzeugen kann. So schwach wie Angela Merkel und Emmanuel Macron ist auch die deutsch-französische Beziehung. Darüber können die harmonischen Bilder aus Paris nicht hinwegtäuschen. In den vergangenen 17 Monaten haben es die Partner nicht geschafft, auch nur eine wegweisende Initiative zum Abschluss zu bringen. Die Zeit der großen deutsch-französischen Politiker, die Europa bewegten, scheint vorbei. Dabei sind Merkel und Macron aufeinander angewiesen. Der Präsident kann es nur mit der Kanzlerin schaffen, zumindest einen Teil seiner ehrgeizigen Pläne zur Reform der EU umzusetzen. Und die Kanzlerin kann nur mit Hilfe des Präsidenten Europa ein politisches Erbe hinterlassen.
Am Wochenende schauten die beiden zurück auf eine Zeit, in der Deutschland und Frankreich noch Erbfeinde waren. Viel wurde seither geleistet. Doch viel Arbeit liegt noch vor den beiden Ländern. Und zwar gerade jetzt, in einer Zeit, in der die Gefahr des Nationalismus überall lauert. Macrons Warnung vor den alten Dämonen, die jederzeit wieder auferstehen können, passt auf den US-Präsidenten Donald Trump genauso wie auf die Nationalisten in Europa. Wie stark diese geworden sind, wird sich in sechs Monaten bei den Europawahlen zeigen. Dann könnten Populisten von rechts und links im Europaparlament die Mehrheit gewinnen und so das Ende der EU einläuten.
Viel Zeit bleibt nicht mehr, um diese höchst gefährliche Entwicklung zu stoppen. Hundert Jahre nach dem Ersten Weltkrieg stellt sich die Frage, ob Europa seine Lektion gelernt hat. Und auch, ob Frankreich und Deutschland tatsächlich alles tun, um die Dämonen zu bannen. Die Gesten im Wald von Compiègne reichen dafür nicht aus. Europa entsteht durch konkrete Tatsachen, sagte der europäische Gründervater Robert Schuman. Es liegt an Merkel und Macron, solche Tatsachen zu schaffen. Und zwar bevor es zu spät ist. politik@schwaebische.de