Heilig’s Blechle
Im Tiroler Zillertal ist Speck eine Touristenattraktion mit langer Tradition
Senioren informieren sich beim Fahrlehrer über Tipps und Tricks.
A ls die Bedienung die Teller abräumen will, sagt sie: „Der Speck muss weg.“Schnell ist uns klar, dass sie nicht auf die Bäuche unserer kleinen Wandergruppe geschaut hat, sondern auf die große Platte in der Tischmitte. Wir teilen die Reste auf und machen uns an den Abstieg hinunter ins Tiroler Zillertal. Auf dem zweistündigen Weg passieren wir Almen, die alle ihre Karte anpreisen. Immer dabei: Speck. Mal dient er als Mantel für irgendwelches Gemüse, dann muss er herhalten, um die Knödel aufzupeppen. Wanderer sitzen vor großen Speckplatten, und beim Spiegelei fehlt er garantiert nicht. Selbst das Restaurant „Il Pittore“im Tal serviert seine Pizza Tyrolia mit Tomaten, Käse, Schinken, Salami, Paprika und natürlich mit Tiroler Speck. In unserem Hotel liegt er jeden Morgen zart geschnitten neben Käse und Müsli. Das Zillertal – ein Speckparadies. An jeder Ecke kriegt man ihn. Aber wo kommt er eigentlich her? Mit Speck fängt man Touristen Wer das herausfinden will, muss nach Fügen, dem größten Ort im Tal. Ein steiler Hang, man überquert den Söllbach, der später in den Ziller fließt, um zum Geschäft von Franz Pfister zu gelangen. In der Theke der Zillertaler Speckstube stapeln sich Würste und Räucherwaren vom Schwein, es riecht nach Holz und Fleisch. Beige Kacheln, braune Holzregale, 1970er-Jahre-Stil, 400 Jahre Specktradition.
Die Wände der Räucherkammer aus dem 17. Jahrhundert sind schwarz. Wer drüber wischt, kriegt dunkle Finger. Bis vor ein paar Jahren hat der Vater von Franz Pfister hier noch gearbeitet. Ofen an, Fleischstücke rein und dann jede Stunde kontrollieren. Auch nachts und das eine Woche lang. „Ich weiß gar nicht, wie er das alles gepackt hat“, sagt der Junior, der die historische Räucherkammer stillgelegt hat, aber noch Führungen anbietet. Früher kamen Busse voller Gäste, die sehen wollten, wie der Metzger das Fleisch verarbeitet. Vor dem Geschäft bildeten sich Schlangen. „Wir waren der erste Besichtigungsbetrieb im Zillertal und die Leute haben uns die Bude eingerannt.“Mit Speck fängt man im Zillertal keine Mäuse, sondern Touristen. Einmal angelockt bleiben sie treu. Auch wenn Franz Pfister die Besichtigungen zurückgefahren hat, sind 70 Prozent der Käufer Feriengäste, die ein- oder zweimal im Jahr vorbeischneien, um ihre Ration abzuholen.
Pfister pflegt den persönlichen Kontakt, nimmt sich Zeit für ein Gespräch, zeigt, wie man Speck richtig lagert. Der gehört in Krepppapier eingewickelt in den Kühlschrank und nicht in die Speisekammer. Wer Stammkunde bei Pfister ist, weiß, wie sich ein Stück Schwein in eine zart gerauchte Portion Speck verwandelt. Neulinge hingegen scheitern schon an der Frage: Was ist Speck? Es ist die Methode, Fleisch haltbar zu machen. Das funktioniert in drei Schritten: Pökeln, also salzen, würzen und einlegen. Dann kommt Räuchern und am Schluss wird das gute Stück luftgetrocknet.
Aber Speck ist auch Philosophie. Gewürze und Salz, Temperaturen im Rauch, Zeit im Ofen, Zeit an der Luft – jeder Metzger hat seine eigene Methode, jedes Fleisch erhält eine besondere Note. „Mein Vater hat alles nach Gefühl gemacht“, sagt Franz Pfister. Er hingegen wiegt die Gewürze genau ab, gibt dem Ofen, den er selbst gebaut hat, die exakten Temperaturen vor. „Heute muss man viel genauer arbeiten.“Totgeräuchert ist aus, zarter Duft in. Auch die Schwarte ist nicht mehr das, was sie mal war. Wenn sie überhaupt noch da ist. „Mein Vater hat aufgehört und gesagt: Ich mach doch keinen Speck aus verhungerten Schweinen.“ Fleisch aus Oberösterreich Franz Pfister verarbeitet ausschließlich Fleisch aus Oberösterreich. In Tirol gibt es keine großen Zuchtbetriebe mehr. Pfisters Vorfahren und die Bauern ringsum hatten noch eigene Schweine. „Man hat sich gefragt, wie können wir das Fleisch haltbar machen? So ist Speck entstanden.“400 Kilo gehen pro Woche durchs Pfisters Hände. Mehr schafft er nicht, mehr will er nicht. Er verkauft nur an Einzelkunden und niemals an Supermärkte. Die Menge reicht nicht einmal, um Gasthäuser oder Hütten im Tal zu beliefern.
Wer also wissen will, woher der Frühstücksspeck im Hotel kommt, muss eine andere Adresse im Zillertal ansteuern. Familie Gasser aus Mayrhofen hat ihre Familienmetzgerei vor drei Jahren zu einer großen Speckfirma ausgebaut, die pro Woche rund drei Tonnen produziert. Alles noch von Hand, aber alles zwei Nummern größer. Karree-, Schopf-, Schinken-, Schulter- oder Kaiserspeck. Speck vom Schwein, vom Rind, vom Wild. Premiumteile aus der Mitte geschnitten, Endstücke, 250 Gramm, ein Kilo, zwei Kilo oder fünf. Wer mit Juniorchef Hans Gasser die Produktpalette durchgeht, erfährt, dass auch in der Großproduktion getüftelt wird und Rezepte geheim bleiben. „Ich sag nur so viel: Wachholder, Pfeffer, Zwiebel und Knoblauch ist fast auf jedem Speck.“
Gasser ist gegen Schnelltrocknungsverfahren und chemische Zusätze und seit Jahren daran, die Methoden zu optimieren. Im neuen Unternehmen sind die Produktionsanlagen größer, die Luftfeuchtigkeit anders, aber die Erkenntnis dieselbe: „Speck braucht Zeit und Ruhe.“Aber auch Käufer. Gassers Betrieb samt warmer Theke und Verkaufsraum liegt an der Bundesstraße. Lkw-Fahrer holen sich kräftige Brotzeiten, Busse stoppen für die Mittagspause, Touristen halten, um ein Souvenir in Speckform zu kaufen. Vor der Tür steht ein Werbeschild mit dem Spruch: „Der Speck muss weg.“ Speck probieren und kaufen: Gasser in Mayrhofen (www.gasserspeck.at). Zillertaler Speckstube in Fügen (www.zillertaler-speckstube.at). Gasthaus Nester (www.nester.at). Metzgerei Kröll in Maryhofen (www.kroell.at), Metzgerei Gasser in Aschau. Die Recherche wurde unterstützt von Zillertal Tourismus.