Breymaier oder Castellucci?
SPD entscheidet heute über den Landesvorsitz – Das Duell mobilisiert die Basis
STUTTGART - Wem trauen die SPDMitglieder in Baden-Württemberg zu, die Partei aus dem Jammertal zu holen? Diese Frage entscheidet sich heute Abend, dann endet die Frist für das Mitgliedervotum über den Landesvorsitz. Bis Ende der Woche hatten 22 000 der rund 36 000 Mitglieder ihre Stimme abgegeben – für die Vorsitzende Leni Breymaier oder für Herausforderer Lars Castellucci. Das Duell mobilisiert die Basis: Bei der letzten Mitgliederbefragung 2009 lag die Wahlbeteiligung zum selben Zeitpunkt bei rund 47 Prozent, diesmal bereits bei 61 Prozent. Ist dieser Wettstreit gut oder schädlich für die SPD? Die Basis ist gespalten.
„Dieser Konflikt, der da angezettelt worden ist, ist so überflüssig wie ein Kropf“, sagt Jürgen Angelbeck. „Leni Breymaier verkörperte schon vor zwei Jahren das, was noch heute das Erneuerungsanliegen der SPD sein muss: Das Rückbesinnen auf die Fundamente einer sozialdemokratischen Partei.“Angelbeck ist Vorsitzender der SPD in Wilhelmsdorf im westlichen Teil des Landkreises Ravensburg. Er war zwischenzeitlich auch mal Parteimitglied der Linken und sehnt sich nach einem Linksruck. Selber Landkreis, 60 Kilometer weiter östlich: Seit 40 Jahren ist Jochen Narr SPD-Mitglied, mehr als 20 Jahre führte er den Ortsverein in Leutkirch und ist Fraktionschef im Gemeinderat. „Das ist ein demokratischer Vorgang“, sagt Narr über den Wettbewerb um die Parteispitze. „Das ist gut, dass Castellucci kandidiert. Wenn das nicht mehr möglich ist, isses rum mit der Demokratie.“
Angelbeck und Narr stehen stellvertretend für das Spannungsfeld, mit dem die SPD zunehmend kämpft. Bei ihrer Richtungssuche verliert die Partie immer mehr Unterstützer. Die 12,7 Prozent bei der Landtagswahl 2016 waren ein harter Schlag, seitdem ist es in Umfragen weiter bergab gegangen. Für Lars Castellucci war dies der Auslöser für seine Kandidatur. Die Partei müsse endlich wieder Visionen entwickeln, sagte er bei den vier Regionalkonferenzen, bei denen sich die Kandidaten in den vergangenen Wochen vor insgesamt rund 1000 Mitgliedern einen Schlagabtausch lieferten. Castellucci will die Partei wieder zusammenführen; darin sei Breymaier gescheitert, sie könne es nicht, heißt es in seinem Umfeld.
Schöne Allgemeinplätze, halten Breymaiers Unterstützer dagegen. Castellucci rede das Leiden der Partei extra groß, um sich dann als Retter zu präsentieren – dabei habe er die Richtung als stellvertretender Vorsitzender doch seit 2005 mitbestimmt. Breymaier verweist regelmäßig auf die Umbruchphase nach der Landtagswahl: Das SPD-Ergebnis hatte sich unter dem Vorsitzenden Nils Schmid fast halbiert. Er galt als klug, aber zu kopflastig. Der Wunsch nach einem Gegenentwurf war verbreitet. Mehr Emotionen, mehr soziale Gerechtigkeit bitte! „Da hab ich gedacht, das bin ja ich“, erzählt Breymaier immer wieder – und übernahm den Vorsitz.
Die 58-jährige gelernte Einzelhandelskauffrau hat sich als Gewerkschafterin hochgearbeitet. Vor ihrem Wechsel an die Parteispitze und in den Bundestag für den Wahlkreis Aalen leitete sie den Landesbezirk der Gewerkschaft Verdi. Der 44-jährige Castellucci steht für das Aufstiegsversprechen durch Bildung. Sein Vater kam als italienischer Gastarbeiter ohne ein Wort Deutsch ins Land, seine Mutter begann mit 14 Jahren zu arbeiten. Castellucci ist nicht nur für den Rhein-Neckar-Kreis im Bundestag, sondern auch Professor an einer privaten Hochschule in Mannheim.
Fair wollten sie miteinander umgehen – das haben die beiden Kandidaten in den vergangenen Wochen nur bedingt geschafft. Castelluccis Lager zielte gerne auf Breymaiers Schwachstelle: ihre Generalsekretärin Luisa Boos. Boos hatte von Anfang an polarisiert – wegen alter Geschichten aus Juso-Zeiten. Vor allem Teile der Landtagsfraktion haben massive Bedenken, ob Boos den Landtagswahlkampf managen kann. Diese Bedenken hat Castellucci geschickt eingefangen, indem er sich einen Generalsekretär aus der Fraktion gewünscht hat. Der angriffslustige Sascha Binder kandidiert nun für den Posten. Von einem Geschlechterkampf, den manche Breymaier-Unterstützer heraufbeschwören, will Castellucci nichts wissen. „Ich finde es traurig, wenn dieser Wettbewerb über die Zukunft der
Jürgen Angelbeck, SPD-Vorsitzender in Wilhelmsdorf
SPD Baden-Württemberg als Kampf Männer gegen Frauen dargestellt wird“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. Prompt starteten seine Unterstützer die Kampagne „100 Sozialdemokratinnen für den Wechsel“. Gegenseitige Vorwürfe Breymaiers Lager argumentiert, dass sich an Unterzeichnerinnen wie der ehemaligen Landeschefin Ute Vogt zeige, dass die Gruppe der sogenannten Netzwerker, zu denen auch Nils Schmid gehörte, durch Castellucci wieder den Ton angeben wolle im Land. Für die einen sind die Netzwerker progressive Reformer, für die anderen Karrieristen mit sozialdemokratischem Feigenblatt. Castellucci selbst zählt sich nicht zur Gruppe. Breymaier gehört zum linken Flügel, was ihr mancher Castellucci-Unterstützer als Rückwärtsgewandtheit auslegt. „Meine Grundsätze habe ich 20 Jahre nicht verändert. Aber politisch soll ich plötzlich weiter nach links gerückt sein“, sagte Breymaier der „Schwäbischen Zeitung“.
Gegenwind von Parteifunktionären erfährt Breymaier auch deshalb, weil sie die zementierten Kandidatenlisten für Bundestagsmandate aufbrechen will. Neue Bewerber sollen Chancen haben, ebenso jüngere und Kandidaten mit Migrationshintergrund. Damit sägt sie an den Stühlen, auf denen Abgeordnete sitzen.
Für das Leutkircher Basismitglied Jochen Narr spielt es für die nächste Landtagswahl 2021 keine Rolle, wer das Votum gewinnt. „Es wird nichts ändern. Da bin ich pessimistisch“, sagt er. An ein Aufleben der SPD glaubt er nicht. „Dafür macht es Grün-Schwarz zu gut.“
„Dieser Konflikt, der da angezettelt worden ist, ist so überflüssig wie ein Kropf.“