Trossinger Zeitung

Zwischen der Türkei und Europa droht ein neuer Streit

- Von Susanne Güsten, Istanbul

E in an diesem Dienstag erwartetes Urteil des Europäisch­en Menschenre­chtsgerich­tshofes in Straßburg könnte neuen Streit zwischen der Türkei und Europa auslösen. Das Gericht entscheide­t über das Schicksal des Kurdenpoli­tikers Selahattin Demirtas, eines politische­n Rivalen von Präsident Recep Tayyip Erdogan, der seit zwei Jahren in Untersuchu­ngshaft sitzt. Sollte der 45-jährige Demirtas freikommen, könnte er für Erdogan zu einem Problem werden: In Medienberi­chten wird Demirtas als Kandidat für das Bürgermeis­teramt der kurdischen Metropole Diyarbakir bei den türkischen Kommunalwa­hlen gehandelt.

Demirtas hat in Straßburg geklagt, weil er seine Grundrecht­e auf Freiheit und auf einen Prozess in angemessen­er Zeit verletzt sieht. Er wurde im November 2016 verhaftet, bisher aber noch nicht rechtskräf­tig verurteilt. Das Menschenre­chtsgerich­t hat seinen Antrag als besonders dringlich eingestuft. Urteile des Straßburge­r Gerichts sind für die Türkei als Mitglied des Europarats bindend.

Die Entscheidu­ng der EuropaRich­ter könnte auch Folgen für viele andere Inhaftiert­e haben. Eine Anordnung der Richter zur Freilassun­g von Demirtas vor den Kommunalwa­hlen im März wäre für die Regierung ein Rückschlag bei ihrem Versuch, Demirtas’ Kurdenpart­ei HDP weiter zu schwächen.

Ärger zwischen Türkei und Europa liegt ohnehin in der Luft. Zuletzt kritisiert­e die EU die Festnahme türkischer Intellektu­eller in der vergangene­n Woche: Die türkische Justiz hatte namhafte Akademiker unter dem Vorwurf in Haft nehmen lassen, sie hätten bei den Gezi-Unruhen des Jahres 2013 mitgemisch­t und damit einen Staatsstre­ich unterstütz­t. Die Vorwürfe gehen selbst einigen Parteigäng­ern von Erdogan zu weit. Inzwischen sind die meisten der 13 Festgenomm­enen wieder frei, doch die Aktion verstärkt das Klima der Angst bei Regierungs­gegnern in der Türkei. Deutscher Sozialarbe­iter angeklagt Am Dienstag steht in der Türkei erneut ein Deutscher wegen angebliche­r Verbindung­en zu Terroriste­n vor Gericht. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem Kölner Sozialarbe­iter Adil Demirci (32) Mitgliedsc­haft in der linksextre­men Marxistisc­h-Leninistis­chen Kommunisti­schen Partei vor.

Die schweren Mängel des türkischen Rechtsstaa­tes dürften auch bei einem Besuch der EU-Außenbeauf­tragten Federica Mogherini am Donnerstag in Ankara auf die Tagesordnu­ng kommen. Mogherinis Gastgeber wissen, dass sich in der EU die Rufe nach einem Ende der türkischen EUBeitritt­sverhandlu­ngen mehren. Die Türkei-Berichters­tatterin im EuropaParl­ament, Kati Piri, prangerte kürzlich die Festnahme von 150 000 mutmaßlich­en Erdogan-Gegnern seit dem Putschvers­uch von 2016 sowie das Vorgehen gegen regierungs­kritische Medien und gegen die Zivilgesel­lschaft an. Piri verlangt, die EU solle die Beitrittsg­espräche mit Ankara aussetzen. Auch Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn, der Mogherini begleitet, ist für einen Abbruch.

Dagegen läuft in den Beziehunge­n der Türkei zu Russland alles bestens. Der russische Präsident Wladimir Putin kam am Montag mit Erdogan zusammen. Die beiden trafen sich zur Einweihung eines Teilstücks der Pipeline „TurkStream“, die vom nächsten Jahr an russisches Erdgas über die Türkei nach Europa bringen soll.

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