Trossinger Zeitung

Im Zweifel für den Angeklagte­n

Freispruch im Entführung­sfall Würth – „Stimme ist kein Fingerabdr­uck“

- Von Carolin Eckenfels

GIESSEN (lsw) - Nach seinem Freispruch kommen dem Angeklagte­n im großen Saal des Gießener Landgerich­ts die Tränen. Der 48-Jährige wischt sich die Augen, während der Vorsitzend­e Richter das Urteil begründet. Auch nach der Befragung zahlreiche­r Zeugen und der Präsentati­on eines ungewöhnli­chen Stimmgutac­htens bleiben aus Sicht des Gerichts Zweifel, dass der Angeklagte an der Entführung des behinderte­n Sohnes von „Schraubenk­önig“Reinhold Würth beteiligt war. „Deswegen war er freizuspre­chen.“

Er habe daran geglaubt, dass es in Deutschlan­d Gerechtigk­eit gebe, sagt der aus Serbien stammende Angeklagte nach dem Urteil. Der Mann spricht leise und mit deutlichem Akzent – was im Prozess eine wichtige Rolle gespielt hat. Denn die Staatsanwa­ltschaft stützte ihre Anklage gegen den 48-Jährigen insbesonde­re auf die Analyse seiner Stimme.

Der damals 50 jahre alte Markus Würth wurde im Juni 2015 aus einer integrativ­en Wohngemein­schaft im osthessisc­hen Schlitz entführt. Ein Erpresser forderte am Telefon von der Unternehme­rfamilie drei Millionen Euro Lösegeld. Die Übergabe scheiterte und der Anrufer verriet daraufhin das Versteck des Opfers. Markus Würth wurde nahezu unversehrt an einen Baum gekettet bei Würzburg gefunden. Die Anklage geht von mehreren Tätern aus.

Der geistig behinderte Mann sei ein hilfloses Opfer gewesen, sagt der Richter. Und ein Opfer, das wegen seiner Behinderun­g keine Angaben zu der Entführung machen könne. Umso mehr war das Gericht auf Indizien angewiesen. Dazu gehörte vor allem die aufgezeich­nete Stimme des Lösegelder­pressers. Experten der Uni Marburg hatten den Telefonmit­schnitt analysiert und fanden heraus, dass die Stimme des Anrufers und die des Angeklagte­n „mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit“identisch seien. Der Richter lobte zwar die „akkurate“Arbeit. Doch allein auf das Stimmgutac­hten wollte er eine Verurteilu­ng nicht stützen – ihm fehlten weitere eindeutige Indizien.

Ein Stimmgutac­hten müsse bei der Identifizi­erung von Verdächtig­en zwangsläuf­ig an seine Grenzen kommen, führt der Vorsitzend­e aus. Denn eine Stimme sei kein Fingerabdr­uck und keine Genspur, die eindeutige Zuordnunge­n ermögliche. „Sprache ist nicht statisch wie DNA, sondern etwas, das ständiger Veränderun­g unterliegt.“Auch wenn die Stimme des Angeklagte­n wie die des Erpressers klinge, sei nicht ausgeschlo­ssen, dass andere Personen ebenfalls so redeten.

Die Staatsanwa­ltschaft will Revision einlegen und den Bundesgeri­chtshof in Karlsruhe anrufen. Man brauche eine obergerich­tliche Entscheidu­ng, „um Klarheit zu bekommen, wie derartige Beweismitt­el in Zukunft zu bewerten sind“.

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