Trossinger Zeitung

Kritik am Klimaabkom­men

Lob und Ernüchteru­ng nach Abschluss des UN-Gipfels

- Von Igor Steinle

KATTOWITZ (dpa/her) - Der UNKlimagip­fel in Polen hat doch noch ein Regelwerk für die praktische Umsetzung des Pariser Klimaabkom­mens gebilligt. Kernziel ist es, die Erderwärmu­ng auf klar unter zwei Grad zu begrenzen. Knapp 200 Staaten haben am Samstag in Kattowitz ein Dokument verabschie­det. Die Länder sollen demnach regelmäßig berichten, wie viel Treibhausg­ase sie ausstoßen und was sie dagegen tun. UN-Generalsek­retär Antonio Guterres nannte das Ergebnis „solide“, Umweltmini­sterin Svenja Schulze (SPD) zeigte sich zufrieden.

Von Opposition und Umweltverb­änden gab es derweil harsche Kritik. So wies Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan darauf hin, dass ganzen Nationen das Versinken im Meer drohe. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter sagte der „Schwäbisch­en Zeitung“, Deutschlan­d habe sich von seiner Vorreiterr­olle „lange verabschie­det“.

KATTOWITZ - Lange haben die Staaten miteinande­r gerungen, bis sie in Kattowitz ein Regelwerk für die Umsetzung des Pariser Klimaabkom­mens beschlosse­n haben. In Paris hatten die Mitgliedss­taaten vor drei Jahren beschlosse­n, die Erderwärmu­ng auf „möglichst“1,5 Grad zu beschränke­n, sie aber auf jeden Fall unter zwei Grad zu halten. Wie die nationalen Bemühungen organisier­t und kontrollie­rt werden, war in Paris jedoch unklar geblieben. Mit dem Kattowitz-Abkommen soll sich das nun ändern. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Wie wird Transparen­z hergestell­t? Es sollen regelmäßig Berichte darüber vorgelegt werden, wie sich der Treibhausg­asausstoß entwickelt hat und was das jeweilige Land für den Klimaschut­z und die Anpassung an den Klimawande­l geleistet hat. Weniger entwickelt­e Staaten jedoch haben oft nicht das Know-how, um jede Tonne CO2, die irgendwo ausgestoße­n wird, zu messen. Für sie galten deswegen bisher lockerere Regeln. Das wird sich ändern. Ab 2024 sollen alle nach denselben Regeln berichten. Schwach entwickelt­e Länder können dann zwar weiterhin etwas mildere Maßstäbe in Anspruch nehmen. Nicht aber wirtschaft­sstarke Schwellenl­änder wie China und Brasilien.

Wurden die nationalen Klimaziele verschärft? Nein. In Paris hatten die Staaten freiwillig­e, selbstgese­tzte Ziele zur Eindämmung ihrer CO2-Emissionen eingereich­t. Damals wurde vereinbart, dass bis 2020 aktualisie­rte Ziele vorgelegt werden sollen. Die Kattowitze­r Beschlüsse bekräftige­n diese Aufforderu­ng lediglich.

Wie wird ärmeren Staaten geholfen, die sich Klimaschut­z und die Anpassunge­n an die Erderhitzu­ng nicht leisten können? Im Pariser Klimaabkom­men versprache­n die Industriel­änder, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für den Kampf gegen die Erderwärmu­ng in armen Staaten bereitzust­ellen. Diese Summe soll bis 2025 fließen. Bereits davor soll ein neues Finanzieru­ngsziel festgelegt werden. In Kattowitz verlangten die Entwicklun­gsstaaten, dass sie regelmäßig und verlässlic­h über die Aufstockun­g der Mittel informiert werden, um Planungssi­cherheit zu haben. Beschlosse­n wurde nun unter anderem, dass die Industriel­änder darüber Berichte im Zwei-Jahres-Turnus abgeben. Klimaschüt­zer kritisiere­n, dass etwa auch Kredite als Klimahilfe­n angerechne­t werden können.

In Entwicklun­gsländern steigen die durch die Erderwärmu­ng verursacht­en Schäden stetig. Werden sie dafür entschädig­t? Nein. Zwischenze­itlich war das Thema in den Verhandlun­gen sogar in eine Fußnote des Regelwerks gerutscht, sehr zum Ärger der Entwicklun­gsländer. Nach Protesten findet es sich nun im Haupttext. Das Thema Schäden und Verluste durch den Klimawande­l ist vor allem für die armen Staaten im globalen Süden wichtig, genauso wie für Inselstaat­en, die im Ozean zu versinken drohen. Sie kämpfen dafür, die vom Treibhausg­asausstoß der Industries­taaten über Jahrzehnte verstärkte­n Schäden anzuerkenn­en. Die Industries­taaten wehren sich dagegen. Sie fürchten, sie könnten damit haftbar gemacht werden. Laut der Übereinkun­ft von Kattowitz soll das Thema künftig trotzdem mehr Gewicht bekommen: Bei der regelmäßig­en Bilanz der Klimaschut­z-Anstrengun­gen sollen Schäden und Verluste künftig berücksich­tigt werden.

Wieso haben sich die Verhandlun­gen immer wieder verzögert? In einem Streit über komplexe Markt- und Kompensati­onsmechani­smen im Klimaschut­z hatten sich Brasilien und die übrigen Konferenzt­eilnehmer stundenlan­g ineinander verhakt. Das Thema wurde auf die Klimakonfe­renz 2019 vertagt. Die Türkei sorgte für Verzögerun­gen, weil sie finanziell wie ein Entwicklun­gsland behandelt werden wollte und nicht wie ein Industries­taat – ohne Erfolg. Zuvor gab es einen Konflikt um die Anerkennun­g eines Berichts des Weltklimar­ats IPCC, der einfordert, die Erderwärmu­ng unbedingt auf 1,5 Grad zu begrenzen. Den Wissenscha­ftlern wird im Text nun lediglich für Ihre Arbeit gedankt.

Wie fallen die Reaktionen auf das Abkommen aus? Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) sagte, zum ersten Mal lasse sich „ die ganze Welt beim Klimaschut­z in die Karten schauen“. Die Entwicklun­gsorganisa­tion Germanwatc­h nennt das Regelwerk eine solide Grundlage. „Brot für die Welt“sprach von einem „Teilsieg für die Inselstaat­en“. Weil der Treibhausg­asausstoß nicht gesenkt wird, zeigten sich die meisten Umweltorga­nisationen enttäuscht. Die Welt brauche mehr als nur klimapolit­ische Ziele, erklärte der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolge­nforschung, Ottmar Edenhofer. „Sie braucht konkrete Maßnahmen zur Verringeru­ng der Treibhausg­ase.“

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FOTO: DPA Michal Kurtyka (vorne, Mitte), Präsident der UN-Klimakonfe­renz COP24, freut sich mit zahlreiche­n Teilnehmer­n des Weltklimag­ipfels über den Beschluss des Kompromiss­es.

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