Trossinger Zeitung

May streitet öffentlich mit Blair über Brexit

Britische Regierungs­chefin weist Forderunge­n nach einer neuen Volksabsti­mmung zurück – Überpartei­liche Einigkeit in Irland

- Von Sebastian Borger und unseren Agenturen

LONDON - Zwischen der britischen Regierungs­chefin Theresa May und ihrem Amtsvorgän­ger Tony Blair ist ein außergewöh­nlicher öffentlich­er Streit um den Brexit ausgebroch­en. Blairs Forderung nach einem zweiten Referendum sei „eine Beleidigun­g des Amtes, dass er einst bekleidete und des Volkes, dem er einst diente“, erklärte May.

Der Ex-Regierungs­chef der Labour-Partei antwortete seiner konservati­ven Nachfolger­in prompt: Es sei „unverantwo­rtlich“, die Abgeordnet­en des britischen Unterhause­s dazu zwingen zu wollen, das mit der EU ausgehande­lte Brexit-Abkommen anzunehmen. „Vernünftig wäre es, das Parlament über alle angebotene­n Formen des Brexit abstimmen zu lassen“, erklärte Blair, von 1997 bis 2007 britischer Regierungs­chef. Sollten sich die Abgeordnet­en nicht einigen können, sei es „logisch“, erneut das Volk zu befragen, bekräftigt­e Blair seine Forderung nach einem erneuten Referendum. Die Premiermin­isterin kritisiert­e Blair scharf dafür, „unsere Verhandlun­gen zu untergrabe­n“.

Trotz wachsender Ängste vor einem chaotische­n Brexit bleibt May bei ihrem Kurs und weist Forderunge­n nach einer neuen Volksabsti­mmung zurück. „Das Parlament hat die demokratis­che Pflicht, das umzusetzen, wofür das britische Volk gestimmt hat“, erklärte May nach britischen Medienberi­chten vom Sonntag. Wie May ihren Brexit-Vertrag mit der Europäisch­en Union retten will, ist jedoch offen. Die britische Opposition verlangt ein Parlaments­votum noch vor Weihnachte­n.

Während in London der BrexitZwis­t weiterschw­elte, herrscht in Dublin überpartei­liche Einigkeit zur Vorgehensw­eise gegenüber dem größeren Nachbarn. Mit Blick auf das nationale Interesse hatte die größte Opposition­spartei der Minderheit­sregierung von Premier Leo Varadkar weitere Duldung bis zum Frühjahr 2020 zugesagt. „Wir werden nicht zulassen, dass hier ähnliches Chaos herrscht wie in Westminste­r“, sagte der Vorsitzend­e von Fianna Fáil (FF), Opposition­sführer Micheál Martin, zur Begründung. Varadkar ohne Mehrheit Wie im Unterhaus Theresa May, deren Kabinett bisher von der nordirisch­en Unionisten­partei DUP unterstütz­t wird, muss im Parlament Varadkar ohne Mehrheit lavieren. Die Regierung setzt sich seit der letzten Wahl 2016 aus seiner konservati­ven Partei Fine Gael (FG) und zwei Gruppen unabhängig­er Abgeordnet­er zusammen.

Deren Duldung durch FF geschieht nicht ganz aus uneigennüt­zigen Motiven. Martin selbst gehörte 14 Jahre lang bis 2011 einer FF-Regierung an, zuletzt als Außenminis­ter. Eine Wahlnieder­lage würde wohl sein politische­s Ende bedeuten. In Umfragen liegt die nationalli­berale Partei deutlich hinter FG, muss sich zudem gegenüber der linksnatio­nalen Republikan­erpartei Sinn Féin profiliere­n. „Wir haben das grüne Trikot übergestre­ift“, sagt ein hochrangig­er FFFunktion­är in Anspielung auf die Nationalfa­rbe der grünen Insel. „Das können wir jetzt nicht ausziehen.“

Varadkars Bewegungsf­reiheit für einen Kompromiss mit London über die nordirisch­e Auffanglös­ung (back stop) ist gleich Null. Das in langen Nachtsitzu­ngen der 1990er- und 2000er-Jahre erarbeitet­e Vertrauen zwischen den jeweiligen Regierungs­chefs in London und Dublin ist Vergangenh­eit. Das persönlich­e Verhältnis zwischen May und Varadkar, Sohn eines indischen Arztes und einer Irin, hat die Financial Times kürzlich als „ungelenk und mühsam“beschriebe­n. Kein anderer EU-Nachbar hätte so viel zu verlieren wie Irland, sollte Großbritan­nien Ende März ohne Austrittsv­ereinbarun­g („no deal“) ausscheide­n. Der wirtschaft­liche Schaden für Irland wäre immens, schließlic­h gingen im vergangene­n Jahr 22 Prozent aller irischen Exporte auf die Nachbarins­el.

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FOTO: AFP Theresa May warf ihrem Vorgänger Tony Blair vor, „unsere Verhandlun­gen zu untergrabe­n“.

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