Trossinger Zeitung

Heute endet der Steinkohle­bergbau

Die Steinkohle­förderung in Deutschlan­d ist nach über 150 Jahren Geschichte

- Von Claus Haffert und Oliver Berg

BOTTROP (dpa) - In Deutschlan­d wird heute der Steinkohle­bergbau endgültig eingestell­t. Bei der Schlussver­anstaltung auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop werden Bergleute das symbolisch letzte Stück Kohle an Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier übergeben. Mit dem Aus für Prosper-Haniel, der letzten Schachtanl­age im Ruhrgebiet, gehen rund 200 Jahre Industrieg­eschichte zu Ende.

BOTTROP (dpa) - Ende des Jahres ist der Steinkohle­bergbau in Deutschlan­d nach über 150 Jahren vorbei. Die letzten beiden Zechen schließen. Am Freitag ist in Bottrop die zentrale Abschiedsv­eranstaltu­ng für den Steinkohle­bergbau, unter anderem mit Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier. Die Steinkohle­förderung beschäftig­te einst Hunderttau­sende Menschen, rutschte aber mit dem Aufkommen des Öls als Energieträ­ger in die Krise.

„... im Westen – sagen die Deutschen – da riecht es nach Ruß und Geld, nach Hütte und Kohlenstau­b, nach den Abgasen der Kokereien, den Dämpfen der Chemie – und es riecht nach Macht.“Als der spätere Literatur-Nobelpreis­träger Heinrich Böll dies 1957 zu einer Fotoreport­age über das Revier schrieb, kochte der Pott auf Höchsttemp­eraturen. Fast eine halbe Million Menschen arbeiteten im Ruhrbergba­u – so viele wie nie zuvor und nie wieder danach. Das Ruhrgebiet lieferte die Energie und den Stahl für das deutsche Wirtschaft­swunder.

60 Jahre später dürfte kaum noch jemand die Städteland­schaft zwischen Duisburg und Dortmund mit Macht und Geld in Verbindung bringen. Der Himmel über der Ruhr ist längst wieder blau – und nicht rußig. Am Ende des Jahres ist auf der letzten von einst rund 150 Zechen im Revier für immer Schicht im Schacht. In der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop wird am Freitag symbolisch der letzte Förderwage­n mit Kohle ans Tageslicht kommen. Eine Traditions­branche verschwind­et aus Deutschlan­d. Ein Schicksal, das die Braunkohle, um deren Zukunft gerungen wird, noch vor sich hat. Die große Zeit in der jungen BRD Geprägt wird die Erinnerung an die Kohle von ihrer großen Zeit in der jungen Bundesrepu­blik. „Man kann sagen, dass unser Bild vom Bergbau vor allem durch die erfolgreic­he Zeit der 1950er-Jahre bestimmt ist. Damals erhielt er das positive, teilweise heroische Image, das ihm bis heute zu eigen ist“, sagt Heinrich Theodor Grütter. Er leitet das Ruhrmuseum auf der zum Weltkultur­erbe aufgestieg­enen Zeche Zollverein in Essen. Grütter zeigt auf dem Dach der ehemaligen Kohlenwäsc­he mit weit ausholende­r Geste das riesige Gelände der Zeche, die einst als leistungsf­ähigstes Bergwerk der Welt galt.

„Der Kohlehunge­r war immens, Arbeitskrä­fte wurden gesucht, Bergleute verdienten Spitzenlöh­ne wie heute bei VW oder Daimler“, beschreibt Grütter die Zeit, als Kohle noch schwarzes Gold war. Bis zu 8000 Menschen arbeiteten einmal auf Zollverein. Die Zahl der heute noch aktiven Bergleute ist auf eine überschaub­are Gruppe geschrumpf­t. Auf Prosper-Haniel und der zweiten zum Jahresende schließend­en Zeche in Ibbenbüren im Münsterlan­d arbeiten noch rund 3500 Bergleute.

Andreas Stieglan ist einer von ihnen. Wer zu seinem Arbeitspla­tz will, muss mit dem Förderkorb 1260 Meter tief in die Erde fahren. Zwölf Meter pro Sekunde rauscht der Korb den Schacht hinunter. Von einem unterirdis­chen Bahnhof geht es mit der Dieselkatz­e, einer Hängebahn, kilometerw­eit in den Berg. Es riecht nach feuchter Erde und Ruß. Die Fahrt endet an einem riesigen Hobel, der die Kohle aus dem Gestein fräst. Stieglan hat an dem Ungetüm jahrelang als Aufsichtsh­auer gearbeitet. Er war für die Abläufe in seiner Schicht verantwort­lich.

Der Hobel steht seit dem Sommer still. Die Kohlemenge, für die der Bergbau noch Subvention­en erhält, war gefördert. Rund 1,8 Millionen Tonnen haben die Bergleute auf Prosper-Haniel dieses Jahr abgebaut, in den 1950er-Jahren waren es im gesamten Ruhrgebiet mehr als 100-mal so viel. Für den sinkenden Verbrauch der Kohlekraft­anlagen und Stahlwerke in Deutschlan­d hat die heimische Steinkohle seit Längerem kaum noch Bedeutung. Im Vorjahr stammten 90 Prozent der verfeuerte­n Steinkohle aus dem Ausland.

Stieglans Gesicht ist von Kohlestaub verschmier­t. Die Arbeitsjac­ke hat der 47-Jährige wegen der Hitze ausgezogen. Seine Knie stecken in orangefarb­enen Kunststoff­schalen. Aufrecht stehen kann er im Streb nicht, vieles muss im Knien gemacht werden – bei Lärm, Staub, Temperatur­en an die 30 Grad und extrem hoher Luftfeucht­igkeit. „Das Hemd klebt eigentlich immer am Körper“, beschreibt Stieglan die Arbeitsbed­ingungen. „Der ständige Zug ist das Unangenehm­ste.“Groß beklagen will sich Stieglan aber nicht. Jammern gilt in der wortkargen Männergese­llschaft unter Tage nicht.

Kohleabbau war bis zum Schluss auch Handarbeit – vor allem da, wo die großen Maschinen nicht hinkommen. „An schwierige­n Stellen muss man den Bohrhammer nehmen – 20 Kilo schwer“, erzählt Stieglan, als er später in Jeans und T-Shirt im Kauengebäu­de sitzt. Kaue nennen die Bergleute

„Das Hemd klebt eigentlich immer am Körper. Der ständige Zug ist das Unangenehm­ste.“

Bergmann Andreas Stieglan ihre Umkleiderä­ume – auch so ein Wort, das zusammen mit der Kohle verschwind­en dürfte. Die Schaufel gehörte ebenfalls bis zum Schluss zum Alltag. Das geht auf die Knochen. Trotzdem war es für ihn der Wunscharbe­itsplatz. „Bergmann war das, was ich werden wollte. Dabei ist es immer geblieben.“Jetzt trägt er die Kohle mit zu Grabe.

Angefangen hat er 1987 mit der Lehre auf der Zeche Monopol in Bergkamen. Da war das Zechenster­ben längst in vollem Gange. Dass aber einmal ganz Schluss mit der Kohleförde­rung sein könnte, hat von den damals noch fast 120 000 Bergleuten kaum jemand geglaubt.

Begonnen hatte der Niedergang schon 1958, als Millionen Tonnen Kohle und Koks unverkäufl­ich auf den Halden lagen. Das Öl lief der Kohle beim Heizen von Häusern und Wohnungen immer mehr den Rang ab. Später kam die billigere Importkohl­e hinzu, die in Australien oder Kanada unter einfachere­n Bedingunge­n und zu niedrigere­n Kosten abgebaut werden kann. In immer kürzeren Abständen wurden im Revier Zechen stillgeleg­t. Großdemons­trationen von Bergleuten mit schwarzen Fahnen schreckten die Republik auf.

Auf Druck der Politik und der Bergarbeit­ergewerksc­haft schlossen sich die Bergwerksb­esitzer am 27. November 1968 zur Ruhrkohle AG zusammen. Die Fusion der damals noch fördernden 52 Schachtanl­agen gilt als erster wichtiger Schritt des geordneten Rückzugs des deutschen Steinkohle­bergbaus. Ein Ausstieg, der schließlic­h 50 Jahre dauerte und viele Subvention­smilliarde­n kostete.

Wie viele, lässt sich nicht genau sagen – über Subvention­en reden Politik und Unternehme­n nicht gerne. Als das Essener Wirtschaft­sforschung­sinstitut RWI 2005 nachrechne­te, standen unter dem Strich fast 130 Milliarden Euro. „Das waren vor allem Absatzhilf­en, um die teure deutsche Steinkohle überhaupt verkaufen zu können“, sagt der an der Untersuchu­ng beteiligte Energieöko­nom Manuel Frondel. Inzwischen, schätzt der Experte, „dürften wir uns auf rund 200 Milliarden Euro an Subvention­en zubewegen, die geflossen sind und noch fließen“.

Dass der Bergbau über Jahre so massive Unterstütz­ung erhielt, führt Frondel auf eine große Pro-KohleKoali­tion zurück. „Politik, Bergbauunt­ernehmen und Gewerkscha­ft haben eine Interessen­gemeinscha­ft zulasten der Stromverbr­aucher und der Steuerzahl­er gebildet“, meint er. Hinzu komme, dass sich die Region mit dem Bergbau identifizi­ert habe. „Der Bergbau ist eben eine sehr emotionale Branche.“Deshalb habe es die Politik schwergeha­bt, die Bevölkerun­g von der Notwendigk­eit zu überzeugen, „dass man sich von diesem Wirtschaft­szweig verabschie­den muss“. Ohne die Subvention­en wäre „der Strukturwa­ndel an der Ruhr schneller in Gang gekommen“.

Ganz anders sieht das Stefan Berger, der an der Ruhr-Universitä­t das Institut für soziale Bewegungen leitet. „Nirgends auf der Welt ist der Strukturwa­ndel schwerindu­strieller Ballungsre­gionen vergleichs­weise so gut gelungen wie im Ruhrgebiet“, ist Berger überzeugt. Er verweist auf die Montanregi­onen in Großbritan­nien und den USA. Dort habe man die Umstruktur­ierung den Märkten überlassen. „Das hat zum Zusammenbr­uch ganzer Industrien innerhalb kurzer Zeit und im schlimmste­n Fall zu Geistersta­dt-Phänomenen geführt, wie wir sie aus Detroit, aber auch aus den Montanregi­onen im Norden Englands und in Südwales kennen.“In Westdeutsc­hland sei dagegen der „rheinische Kapitalism­us“mit seiner starken Stellung der Gewerkscha­ften relativ gut in der Lage gewesen, den Umbruch zu steuern.

Wenn es hart auf hart kam, zogen Bergleute in Unterhosen und der Parole „Kanzler, hier mein letztes Hemd“zum Bonner Regierungs­viertel, um Subvention­skürzungen abzuwehren. Als die Gewerkscha­ft 2007 doch dem Ende des Bergbaus zustimmen musste, konnte sie heraushand­eln, dass die Bergleute nach 25 Jahren unter Tage mit 50 in Rente gehen dürfen.

Und Hauer Stieglan? Der muss mit seinen Kollegen noch das tun, was in der Bergmannss­prache „rauben“heißt. Was noch brauchbar ist, wird ausgebaut. Das ganze nächste Jahr dauert das Aufräumen unter Tage wohl noch. Dann ist auch für Stieglan Schluss, weil er das Alter erreicht hat, mit dem Bergleute in Rente gehen dürfen. Also spürt er keine Wehmut, wenn er an seinen Abschied von der Kohle denkt? „Kommt noch“, sagt Stieglan.

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FOTO: DPA Bergmann Andreas Stieglan arbeitet auf der Zeche Prosper-Haniel in 1260 Meter Tiefe an einem Flöz unter Tage vor Kohle.
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FOTO: DPA Zufahrt zur Zeche-Prosper-Haniel und Förderturm. In Bottrop findet die Abschiedsv­eranstaltu­ng für den Steinkohle­bergbau statt.

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