Heute endet der Steinkohlebergbau
Die Steinkohleförderung in Deutschland ist nach über 150 Jahren Geschichte
BOTTROP (dpa) - In Deutschland wird heute der Steinkohlebergbau endgültig eingestellt. Bei der Schlussveranstaltung auf der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop werden Bergleute das symbolisch letzte Stück Kohle an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übergeben. Mit dem Aus für Prosper-Haniel, der letzten Schachtanlage im Ruhrgebiet, gehen rund 200 Jahre Industriegeschichte zu Ende.
BOTTROP (dpa) - Ende des Jahres ist der Steinkohlebergbau in Deutschland nach über 150 Jahren vorbei. Die letzten beiden Zechen schließen. Am Freitag ist in Bottrop die zentrale Abschiedsveranstaltung für den Steinkohlebergbau, unter anderem mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Die Steinkohleförderung beschäftigte einst Hunderttausende Menschen, rutschte aber mit dem Aufkommen des Öls als Energieträger in die Krise.
„... im Westen – sagen die Deutschen – da riecht es nach Ruß und Geld, nach Hütte und Kohlenstaub, nach den Abgasen der Kokereien, den Dämpfen der Chemie – und es riecht nach Macht.“Als der spätere Literatur-Nobelpreisträger Heinrich Böll dies 1957 zu einer Fotoreportage über das Revier schrieb, kochte der Pott auf Höchsttemperaturen. Fast eine halbe Million Menschen arbeiteten im Ruhrbergbau – so viele wie nie zuvor und nie wieder danach. Das Ruhrgebiet lieferte die Energie und den Stahl für das deutsche Wirtschaftswunder.
60 Jahre später dürfte kaum noch jemand die Städtelandschaft zwischen Duisburg und Dortmund mit Macht und Geld in Verbindung bringen. Der Himmel über der Ruhr ist längst wieder blau – und nicht rußig. Am Ende des Jahres ist auf der letzten von einst rund 150 Zechen im Revier für immer Schicht im Schacht. In der Zeche Prosper-Haniel in Bottrop wird am Freitag symbolisch der letzte Förderwagen mit Kohle ans Tageslicht kommen. Eine Traditionsbranche verschwindet aus Deutschland. Ein Schicksal, das die Braunkohle, um deren Zukunft gerungen wird, noch vor sich hat. Die große Zeit in der jungen BRD Geprägt wird die Erinnerung an die Kohle von ihrer großen Zeit in der jungen Bundesrepublik. „Man kann sagen, dass unser Bild vom Bergbau vor allem durch die erfolgreiche Zeit der 1950er-Jahre bestimmt ist. Damals erhielt er das positive, teilweise heroische Image, das ihm bis heute zu eigen ist“, sagt Heinrich Theodor Grütter. Er leitet das Ruhrmuseum auf der zum Weltkulturerbe aufgestiegenen Zeche Zollverein in Essen. Grütter zeigt auf dem Dach der ehemaligen Kohlenwäsche mit weit ausholender Geste das riesige Gelände der Zeche, die einst als leistungsfähigstes Bergwerk der Welt galt.
„Der Kohlehunger war immens, Arbeitskräfte wurden gesucht, Bergleute verdienten Spitzenlöhne wie heute bei VW oder Daimler“, beschreibt Grütter die Zeit, als Kohle noch schwarzes Gold war. Bis zu 8000 Menschen arbeiteten einmal auf Zollverein. Die Zahl der heute noch aktiven Bergleute ist auf eine überschaubare Gruppe geschrumpft. Auf Prosper-Haniel und der zweiten zum Jahresende schließenden Zeche in Ibbenbüren im Münsterland arbeiten noch rund 3500 Bergleute.
Andreas Stieglan ist einer von ihnen. Wer zu seinem Arbeitsplatz will, muss mit dem Förderkorb 1260 Meter tief in die Erde fahren. Zwölf Meter pro Sekunde rauscht der Korb den Schacht hinunter. Von einem unterirdischen Bahnhof geht es mit der Dieselkatze, einer Hängebahn, kilometerweit in den Berg. Es riecht nach feuchter Erde und Ruß. Die Fahrt endet an einem riesigen Hobel, der die Kohle aus dem Gestein fräst. Stieglan hat an dem Ungetüm jahrelang als Aufsichtshauer gearbeitet. Er war für die Abläufe in seiner Schicht verantwortlich.
Der Hobel steht seit dem Sommer still. Die Kohlemenge, für die der Bergbau noch Subventionen erhält, war gefördert. Rund 1,8 Millionen Tonnen haben die Bergleute auf Prosper-Haniel dieses Jahr abgebaut, in den 1950er-Jahren waren es im gesamten Ruhrgebiet mehr als 100-mal so viel. Für den sinkenden Verbrauch der Kohlekraftanlagen und Stahlwerke in Deutschland hat die heimische Steinkohle seit Längerem kaum noch Bedeutung. Im Vorjahr stammten 90 Prozent der verfeuerten Steinkohle aus dem Ausland.
Stieglans Gesicht ist von Kohlestaub verschmiert. Die Arbeitsjacke hat der 47-Jährige wegen der Hitze ausgezogen. Seine Knie stecken in orangefarbenen Kunststoffschalen. Aufrecht stehen kann er im Streb nicht, vieles muss im Knien gemacht werden – bei Lärm, Staub, Temperaturen an die 30 Grad und extrem hoher Luftfeuchtigkeit. „Das Hemd klebt eigentlich immer am Körper“, beschreibt Stieglan die Arbeitsbedingungen. „Der ständige Zug ist das Unangenehmste.“Groß beklagen will sich Stieglan aber nicht. Jammern gilt in der wortkargen Männergesellschaft unter Tage nicht.
Kohleabbau war bis zum Schluss auch Handarbeit – vor allem da, wo die großen Maschinen nicht hinkommen. „An schwierigen Stellen muss man den Bohrhammer nehmen – 20 Kilo schwer“, erzählt Stieglan, als er später in Jeans und T-Shirt im Kauengebäude sitzt. Kaue nennen die Bergleute
„Das Hemd klebt eigentlich immer am Körper. Der ständige Zug ist das Unangenehmste.“
Bergmann Andreas Stieglan ihre Umkleideräume – auch so ein Wort, das zusammen mit der Kohle verschwinden dürfte. Die Schaufel gehörte ebenfalls bis zum Schluss zum Alltag. Das geht auf die Knochen. Trotzdem war es für ihn der Wunscharbeitsplatz. „Bergmann war das, was ich werden wollte. Dabei ist es immer geblieben.“Jetzt trägt er die Kohle mit zu Grabe.
Angefangen hat er 1987 mit der Lehre auf der Zeche Monopol in Bergkamen. Da war das Zechensterben längst in vollem Gange. Dass aber einmal ganz Schluss mit der Kohleförderung sein könnte, hat von den damals noch fast 120 000 Bergleuten kaum jemand geglaubt.
Begonnen hatte der Niedergang schon 1958, als Millionen Tonnen Kohle und Koks unverkäuflich auf den Halden lagen. Das Öl lief der Kohle beim Heizen von Häusern und Wohnungen immer mehr den Rang ab. Später kam die billigere Importkohle hinzu, die in Australien oder Kanada unter einfacheren Bedingungen und zu niedrigeren Kosten abgebaut werden kann. In immer kürzeren Abständen wurden im Revier Zechen stillgelegt. Großdemonstrationen von Bergleuten mit schwarzen Fahnen schreckten die Republik auf.
Auf Druck der Politik und der Bergarbeitergewerkschaft schlossen sich die Bergwerksbesitzer am 27. November 1968 zur Ruhrkohle AG zusammen. Die Fusion der damals noch fördernden 52 Schachtanlagen gilt als erster wichtiger Schritt des geordneten Rückzugs des deutschen Steinkohlebergbaus. Ein Ausstieg, der schließlich 50 Jahre dauerte und viele Subventionsmilliarden kostete.
Wie viele, lässt sich nicht genau sagen – über Subventionen reden Politik und Unternehmen nicht gerne. Als das Essener Wirtschaftsforschungsinstitut RWI 2005 nachrechnete, standen unter dem Strich fast 130 Milliarden Euro. „Das waren vor allem Absatzhilfen, um die teure deutsche Steinkohle überhaupt verkaufen zu können“, sagt der an der Untersuchung beteiligte Energieökonom Manuel Frondel. Inzwischen, schätzt der Experte, „dürften wir uns auf rund 200 Milliarden Euro an Subventionen zubewegen, die geflossen sind und noch fließen“.
Dass der Bergbau über Jahre so massive Unterstützung erhielt, führt Frondel auf eine große Pro-KohleKoalition zurück. „Politik, Bergbauunternehmen und Gewerkschaft haben eine Interessengemeinschaft zulasten der Stromverbraucher und der Steuerzahler gebildet“, meint er. Hinzu komme, dass sich die Region mit dem Bergbau identifiziert habe. „Der Bergbau ist eben eine sehr emotionale Branche.“Deshalb habe es die Politik schwergehabt, die Bevölkerung von der Notwendigkeit zu überzeugen, „dass man sich von diesem Wirtschaftszweig verabschieden muss“. Ohne die Subventionen wäre „der Strukturwandel an der Ruhr schneller in Gang gekommen“.
Ganz anders sieht das Stefan Berger, der an der Ruhr-Universität das Institut für soziale Bewegungen leitet. „Nirgends auf der Welt ist der Strukturwandel schwerindustrieller Ballungsregionen vergleichsweise so gut gelungen wie im Ruhrgebiet“, ist Berger überzeugt. Er verweist auf die Montanregionen in Großbritannien und den USA. Dort habe man die Umstrukturierung den Märkten überlassen. „Das hat zum Zusammenbruch ganzer Industrien innerhalb kurzer Zeit und im schlimmsten Fall zu Geisterstadt-Phänomenen geführt, wie wir sie aus Detroit, aber auch aus den Montanregionen im Norden Englands und in Südwales kennen.“In Westdeutschland sei dagegen der „rheinische Kapitalismus“mit seiner starken Stellung der Gewerkschaften relativ gut in der Lage gewesen, den Umbruch zu steuern.
Wenn es hart auf hart kam, zogen Bergleute in Unterhosen und der Parole „Kanzler, hier mein letztes Hemd“zum Bonner Regierungsviertel, um Subventionskürzungen abzuwehren. Als die Gewerkschaft 2007 doch dem Ende des Bergbaus zustimmen musste, konnte sie heraushandeln, dass die Bergleute nach 25 Jahren unter Tage mit 50 in Rente gehen dürfen.
Und Hauer Stieglan? Der muss mit seinen Kollegen noch das tun, was in der Bergmannssprache „rauben“heißt. Was noch brauchbar ist, wird ausgebaut. Das ganze nächste Jahr dauert das Aufräumen unter Tage wohl noch. Dann ist auch für Stieglan Schluss, weil er das Alter erreicht hat, mit dem Bergleute in Rente gehen dürfen. Also spürt er keine Wehmut, wenn er an seinen Abschied von der Kohle denkt? „Kommt noch“, sagt Stieglan.