Entschädigung für Aalenerin wegen vergessener OP-Nadel
Bei einer Operation hatten Ärzte das Gerät in ihrem Körper gelassen – OLG Stuttgart spricht ihr 12 000 Euro zu
STUTTGART - Angst bei jedem Zwicken, ständige Fragen der Mitmenschen, Vorsicht bei jeder Anstrengung: Seit einer Operation im Bundeswehrkrankenhaus Ulm ist das Leben einer 30-Jährigen aus Aalen ein anderes. Am Donnerstag hat ihr das Oberlandesgericht Stuttgart 12 000 Euro zugesprochen. Die Bundesrepublik Deutschland muss zahlen – obwohl sie sich geweigert hatte.
Den hoffentlich letzten Akt in ihrem eigenen Drama wollte die junge Mutter nicht miterleben. „Ich habe in jeder Verhandlung gesessen, musste immer wieder alles erzählen. Das wollte ich mir heute ersparen“, sagte sie der „Schwäbischen Zeitung“am Telefon. „Ich bin einfach nur froh, dass es vorbei ist.“ Leiden seit 2014 Ihre Leidensgeschichte begann im März 2014. In Ulm operierten Ärzte sie am Unterleib. Danach habe sie immer wieder Schmerzen im Bauch gehabt, berichtet die heute 30-Jährige. Im April machten die Ärzte in Ulm erneut eine Computertomografie. Die Beschwerden blieben. Die Besitzerin eines Nagelstudios forderte vom Bundeswehrkrankenhaus ihre Akte an. Erst da, im Mai 2014, teilten die Mediziner ihr mit: man habe eine 1,9 Zentimeter lange Nadel in ihrem Bauch vergessen
Eine weitere Operation, um die Nadel zu bergen, halten Mediziner für möglich, aber riskant. „Man hat mich vor Schäden an der operierten Niere gewarnt, von möglichen ,Flurschäden’ gesprochen“, erzählt sie. Derzeit ist die Nadel eingebettet in einen Muskel im Lendenbereich und hat sich seit der Operation 2014 einmal bewegt.
Die junge Frau muss regelmäßig zum Arzt. Dieser kontrolliert, ob die Nadel noch an ihrem Platz ist oder sich bewegt. All das belastet die Mutter stark. Sie kann mit ihren beiden Kindern nicht toben. Joggen, InlineSkaten oder andere Aktivitäten, bei denen ein Sturz droht, soll ich nach Ansicht der Ärzte meiden. „Man wird ständig gefragt, warum“, sagt sie. Die Belastung sei immer da.
Das erkannte auch das Oberlandesgericht in Stuttgart an. Dort landete die Angelegenheit, nachdem bereits das Landgericht Ulm zugunsten der Patientin entschieden hatte. Dieses hatte ihr sogar 13 000 Euro Schmerzensgeld und 2000 Euro Schadensersatz zugesprochen. Doch dagegen hatte der Bund Berufung eingelegt. Eine unterbliebene Zählkontrolle der Gegenstände nach der Operation stelle keinen Behandlungsfehler dar, so das Argument der Anwälte. Deswegen wolle der Bund als Träger des Ulmer Krankenhauses gar nichts zahlen. Kontrolle ist Aufgabe der Ärzte Auch die Richter in Stuttgart gaben jedoch der Aalenerin recht. Es sei durchaus die Schuld der Klinik, wenn nach einer Operation Arbeitsgeräte im Bauchraum vergessen würden. Die Kontrolle, ob nach einem Eingriff etwas vom Material fehle, gehöre zu den Aufgaben der Ärzte. Der Bundesgerichtshofs habe das ebenfalls in seinen Urteilen so gesehen: Ärzte müssen demnach alles möglich und zumutbare tun, um ähnliche Pannen zu vermeiden.
Besonders ein Umstand stieß bei den Stuttgarter Zivilrichtern auf Unverständnis: Mediziner, Krankenschwestern und Juristen hatten vor einigen Jahren eine Handlungsempfehlung erarbeitet. Sie richtet sich an OP-Teams. Das Dokument enthält konkrete Hinweise, wie Ärzte und OP-Personal verhindern, dass Operationsgerät im Patienten bleibt. Das Papier trägt den Namen „Jeder Tupfer zählt!“. Das Geld für die Arbeit hat unter anderem die Bundesregierung gezahlt.
Der Senat hielt es deshalb laut einer Mitteilung für befremdlich, „dass die beklagte Bundesrepublik Deutschland meint, sie selbst sei nicht zu Zählkontrollen bei Operationen verpflichtet“. Allerdings reduzierten die Stuttgarter Richter das Schmerzensgeld für die 30-Jährige Patientin um 3000 Euro. „Dem Senat zufolge hat die Frau heute keine Schmerzen, die auf die Nadel zurückzuführen wären“, begründet eine Sprecherin des Oberlandesgerichts diese Entscheidung.
Der Betroffenen selbst ist das letztlich nicht wichtig. „Mir kam es vor allem darauf an, dass die Richter feststellen, dass der Bund mögliche künftige Schäden trägt“, sagte die 30Jährige. Sollten also Komplikationen wegen der Nadel entstehen, seien ihre Kinder dadurch abgesichert.
Die Aalenerin hatte auch den Operateur verklagt, doch das zuständige Gericht hatte die Klage abgewiesen. Im Verfahren in Stuttgart hatte der Mediziner ausgesagt, das Zählen der OP-Bestecke und -nadeln gehöre nicht zu seinen Aufgaben. Er habe mit zwei Fäden gearbeitet, an deren Enden je eine Nadel hing. Wie die Nadel letztlich verloren gegangen sei, könne er sich nicht erklären.