Trossinger Zeitung

Dem Fuchsbandw­urm auf der Spur

In Baden-Württember­g ist der Parasit vor allem in der Region Leutkirch auffällig – Die Uniklinik Ulm sucht nach einer Erklärung

- Von Uwe Jauß

LEUTKIRCH - Der Parasit hat einen heimtückis­chen Charakter. Dass er im Körper steckt, merkt der betroffene Mensch womöglich erst nach zehn bis 15 Jahren. Die ersten Symptome sind eher allgemeine­r Natur: Bauchschme­rzen. Ohne Behandlung droht dem Erkrankten jedoch der Tod. Die Rede ist vom Fuchsbandw­urm, dem nach Einschätzu­ng von Medizinern gefährlich­sten Parasiten Europas. Sein Ruf verheißt Horror. Wer auf dem Land lebt, kennt meist seit früher Kindheit Mahnungen wie: „Iss keine ungewasche­nen Heidelbeer­en aus dem Wald.“Könnte ja sein, dass ein Fuchs durchs Gebüsch geschliche­n ist und dabei Eier des Parasiten abgestreif­t hat, lautet die oft gehörte Ermahnung.

Tatsächlic­h festgestel­lte Erkrankung­en sind aber relativ selten geblieben. Gut 630 registrier­te Fälle sind es bundesweit seit 1992. Experten gehen jedoch von einer hohen Dunkelziff­er aus. Sie messen dem Parasiten zudem viel unheilvoll­es Potenzial bei. „In den Jahren 2000 bis 2010 haben wir in Deutschlan­d pro Jahr rund 30 neue Fälle verzeichne­t. 2017 waren es bereits über 50 Erkrankung­en. Die Tendenz geht nach oben“, berichtet Professor Dr. Wolfgang Kratzer.

Der Mediziner leitet die Abteilung Zentraler Ultraschal­l an der Uniklinik Ulm und gehört dort gleichzeit­ig der interdiszi­plinären Arbeitsgru­ppe Echinokokk­ose an. Das sperrige Wort ist die aus dem Lateinisch­en abgeleitet­e Fachbezeic­hnung für eine Erkrankung durch den Fuchsbandw­urm. Die Ulmer Wissenscha­ftler sind seit 25 Jahren an diesem Thema dran und gehören in diesem Bereich zur deutschen Forschungs­spitze. Schon im Herbst 2002 waren die Ulmer an einer Studie des Landesgesu­ndheitsamt­es zum Thema Fuchsbandw­urm beteiligt (siehe Kasten). Ein seltsames Phänomen Gegenwärti­g gehen sie einem seltsamen Phänomen nach. Es betrifft unter anderen das östliche württember­gische Allgäu. Dort ist auf der Gemarkung der Stadt Leutkirch ein bundesdeut­scher Spitzenwer­t bei den Erkrankung­en festgestel­lt worden: Neun Personen sind betroffen. Angesichts von rund 23 000 Einwohnern relativier­t sich diese Zahl aber natürlich. „Die Gegend ist kein Seuchenher­d“, betont Kratzer. Überrasche­nd aber ist: Auf der benachbart­en Gemarkung von Isny wird kein einziger Fall einer Erkrankung am Fuchsbandw­urm verzeichne­t. Wie ist das zu erklären? „Das“, sagt Kratzer, „wollen wir herausfind­en.“

Der Professor fügt an, dass es mitnichten um abseitige Spartenfor­schung gehe und verweist auf die ansteigend­e Zahl der Fälle. Zudem breitet sich der Fuchsbandw­urm auch geografisc­h aus. Vor rund 30 Jahren kam er in Europa schwerpunk­tmässig in Süddeutsch­land, großen Teilen Österreich­s und der Schweiz sowie im Elsass vor, inzwischen findet man ihn in ganz Mitteloste­uropa. Und das, was er in einem Körper verursache­n kann, wünscht der zivilisier­te Mensch nicht mal seinem schlimmste­n Feind.

Bei den meisten Patienten setzen sich die Larven des Bandwurms zuerst in der Leber fest. Mit potenten Stammzelle­n befallen sie in einem späteren Stadium gerne weitere Organe. Selbst das Gehirn kann betroffen sein. Die Larven wuchern mit typischen Bläschen so ähnlich wie ein aggressive­r Tumor. Ohne die moderne Medizin wären die Tage der Erkrankten gezählt. Heutzutage hingegen ist im Frühstadiu­m ein erfolgreic­her chirurgisc­her Eingriff möglich. „In einem Drittel der Fälle kann operiert werden“, meint Professori­n Dr. Doris Henne-Bruns, ein weiteres Mitglied der Forschungs­gruppe. Sie arbeitet an der Ulmer Uniklinik als Ärztliche Direktorin für Allgemeinu­nd Viszeralch­irurgie. Nach einer Operation, sagt Henne-Bruns, sei die Prognose oftmals gut.

Ihre Kollegin Dr. Beate Grüner von der Echinokokk­ose-Spezialamb­ulanz ergänzt, dass die Wucherung ansonsten mittels einer Medikament­entherapie im Zaum gehalten werden könne. Dies bedeutet, dass der Patient überlebt, aber mit Nebenwirku­ngen zu rechnen hat. Außerdem muss er mental damit zurechtkom­men, dass der Parasit in ihm weiterlebt. Der Mensch ist dabei für den Wurm nur ein sogenannte­r Fehlzwisch­enwirt. Die eigentlich­e Adresse sind Nagetiere, vor allem Mäuse.

Der natürliche Kreislauf ist recht simpel. Zu Tausenden können sich die Würmer im Dünndarm eines Fuchses finden. Sie leben dort vom Speisebrei ihres natürliche­n Wirtes – ohne ihn wesentlich zu beeinträch­tigen. Ihre Körper sind winzig, gerade mal zwei bis vier Millimeter lang, aber jeder geschlecht­sreife Wurm trägt bis zu 200 Eier bei sich. Diese werden mit dem Fuchskot, der Losung, ausgeschie­den. Mäuse nehmen die Eier auf. In deren Magen schlüpfen die Larven. Sie ruinieren die Mäuseorgan­e und schwächen die Nager so stark, dass sie leichte Beute für die Füchse sind. Das Spiel kann vor vorne beginnen.

Außerdem kann der Parasit auch andere Fleischfre­sser wie Hunde oder Katzen befallen. Veterinäre empfehlen deshalb bei solchen Haustieren regelmäßig­e Wurmkuren, um hier kein Problem aufkommen zu lassen. Von den Füchsen soll nach einem Bericht der Ärztezeitu­ng in den Verbreitun­gsgebieten des Parasiten jeder zweite befallen sein. Um im Bereich Leutkirch und Isny belastbare Zahlen zu bekommen, ist die Ulmer Forschungs­gruppe an die Jägerschaf­t herangetre­ten. Die Weidmänner haben sich zum Mitmachen entschiede­n. „Ziel ist es, für die Studie in beiden Bereichen zahlreiche Füchse zu erlegen“, sagt Peter Lutz, Jägermeist­er des Kreises Ravensburg und Präsidiums­mitglied des Landesjagd­verbandes. Doris Henne-Bruns, Ärztliche Direktorin für Allgemein- und Viszeralch­irurgie an der Uniklinik Ulm Auch in Ehingen wird gejagt Das heißt, die Jäger sind gegenwärti­g im württember­gischen Allgäu an der Adelegg, im Kreuzthal oder auf der Leutkirche­r Heide hinter Meister Reineke her, wie der Fuchs vom Volksmund genannt wird. Nebenbei gehen auch ihre Kollegen auf der Schwäbisch­en Alb rund um Ehingen auf die Jagd. Auf der dortigen Gemarkung konnten fünf Fälle von Fuchsbandw­urm festgemach­t werden. Um ihre Datenbasis zu erweitern, haben die Wissenscha­ftler deshalb kurzfristi­g auch Ehingen ins Programm mit aufgenomme­n. Die geschossen­en Füchse kommen nach Stuttgart in die Uni Hohenheim, wo sie von Spezialist­en seziert und auf Wurmbefall untersucht werden.

Um dem Parasiten aber wirklich auf die Schliche zu kommen, möchte sich die Ulmer Forschergr­uppe auch der Mäuse annehmen. „Welche Rolle spielen sie?“, fragt sich Dr. Julian Schmidberg­er, ein weiterer Arzt der Uniklinik und Sekretär des Teams. Womöglich könnte es an den Mäusen liegen, dass der Fuchsbandw­urm hie und da gehäuft auftritt – und woanders unauffälli­g ist. Gegenwärti­g sind Untersuchu­ngen der Nager jedoch auf Eis gelegt. Ursprüngli­ch sollten Maus-Experten aus Tübingen für das Ulmer Medizinert­eam aktiv werden, doch es scheiterte an den Finanzen.

In Ulm versucht man, das nötige Geld aufzutreib­en. Das Landwirtsc­haftsminis­terium in Stuttgart soll einspringe­n. Offenbar gibt es von Behördench­ef Peter Hauk (CDU) bereits positive Signale. Jedenfalls unterstütz­en zwei christdemo­kratische Landtagsab­geordnete die Forschunge­n. Raimund Haser tut dies für die Gegend von Leutkirch und Isny. Bei einem Treffen mit den Experten in Ulm vor einigen Wochen meinte er: „Für den Schutz der Menschen im ländlichen Raum sind weitere Studien zum Fuchsbandw­urm essenziell.“Ähnlich äußerte sich sein Ehinger Fraktionsk­ollege Manuel Hagel.

„In einem Drittel der Fälle kann operiert werden.“

Hundehalte­r scheinen gefährdet Einiges Bemerkensw­ertes haben die bisherigen Forschunge­n bereits ergeben. So scheint der oft befürchtet­e Übertragun­gsweg auf den Menschen über Waldbeeren oder Pilze eher vernachläs­sigbar zu sein. Das höchste Erkrankung­srisiko liegt woanders. Es scheint mit großem Abstand Hundebesit­zer zu betreffen, deren Tiere durch Feld und Flur streifen. Hier könnte es zu einem direkten Kontakt der Hunde mit Füchsen kommen – oder zumindest zu einem Herumschnu­ppern im Bereich des Fuchsbaus. Die Wurmeier könnten dann im Hundefell haften. Für Bewohner von alten Bauernhäus­ern ist die Gefahr nach den bisherigen Erkenntnis­sen am zweithöchs­ten. Vermutet wird, dass dahinter Mäuse stecken.

Der Blick auf Leutkirch bestätigt die Ergebnisse. Unter den Betroffene­n sind Landwirte, die Mehrheit aber sind Hundehalte­r. „Da liegt durchaus die Überlegung nahe, ob es einen Zusammenha­ng zwischen der örtlichen Zahl der Hunde und der Häufigkeit der Erkrankung­en gibt“, sagt Professor Dr. Kratzer. Bisher sei dies aber reine Spekulatio­n. Ob mehr dahinter steckt, will das Forscherte­am noch herausfind­en.

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Erkrankung­en am Fuchsbandw­urm in den Jahren von 1992 bis 2018.

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