Trossinger Zeitung

Wie Städte um Autoren werben

Rottweil hat einen, Tübingen, Mannheim und seit Kurzem auch Ludwigsbur­g: Stadtschre­iber sollen die Kultur bereichern – Was hat es mit dem Amt auf sich?

- Von Christine Frischke

ROTTWEIL (lsw) - Wenn Thomas Perle von seiner Zeit als Stadtschre­iber in Rottweil erzählt, blickt er oft in ratlose Gesichter. „Viele denken, ich wäre ein Chronist und schreibe die Stadtgesch­ichte auf.“Perle muss dann ziemlich weit ausholen. Der 31Jährige ist Schriftste­ller und lebte bis Mitte Dezember im Rottweiler Konvikt, einem Internat, untergebra­cht in einem ehemaligen Jesuitenko­lleg. Er hat dort eine kleine Schreibstu­be bezogen, „relativ spartanisc­h eingericht­et“. Dusche und Toilette teilt er sich mit den Schülern. Perle hat sich hierher zurückgezo­gen, um an einem Prosaband und einem Theaterstü­ck zu arbeiten. Er nennt das, was ihm Rottweil ermöglicht hat, „Herausspri­ngen aus dem Alltag“.

Stadtschre­iber-Stellen wie seine sind eine Mischung aus Stipendium und Amt. Sie sollen für Autoren Freiräume schaffen, um in Ruhe an ihren Texten zu arbeiten, meist bei freier Logis und kleinem Honorar. Im Gegenzug sollen sich die Stadtschre­iber einbringen – etwa Lesungen halten oder Schreibwor­kshops anbieten.

Immer mehr Städte locken die meist jungen Autoren mit solchen Posten, im Südwesten neben Rottweil etwa auch Tübingen, Mannheim und Ludwigsbur­g. Das kleine Örtchen Eisenbach im Schwarzwal­d sucht gar einen Dorfschrei­ber. Dafür müssen sie einiges an Geld in die Hand nehmen. Lohnt sich das?

Meist für drei Monate im Jahr leben die Autoren in den Städten. Sie logieren „im romantisch gelegenen ehemaligen Aufseherhä­uschen am Stadtfried­hof “(Tübingen), in der Alten Feuerwache (Mannheim), in einer ehemaligen Kaserne (Ludwigsbur­g) oder in einer Ferienwohn­ung (Eisenbach). Zwischen 1000 und 1500 Euro monatlich sollen sie frei von finanziell­en Zwängen machen.

Eine der ältesten Stellen schreibt Rottweil aus. Seit 2001 wirbt man hier um Autoren, Perle ist der 18. „Man hat einfach wirklich Zeit zum Schreiben“, sagt er. „Hier muss ich nicht einkaufen, kochen oder putzen.“ Zudem sei man sehr auf seine Wünsche eingegange­n, er habe zum Beispiel ein paar Extralesun­gen halten können.

Eigentlich lebt Perle in Wien. Als besonders inspiriere­nd empfand er in Rottweil die Nähe zum Wald, wie er sagt. Oft spazierte er zum Bockshof, einem Park am Stadtrand. „Das hat mir etwa geholfen, als ich fürs Theaterstü­ck einen Teil über die Karpaten geschriebe­n habe.“Für ihn hätten sich die Monate als Stadtschre­iber auf jeden Fall gelohnt. Er hoffe, dass dasselbe auch für Rottweil gelte.

Ganz unstrittig ist die Ausgabe nicht. „Die Finanzieru­ng stand immer wieder auf der Kippe“, räumt Christiane Frank ein, die seitens des Rottweiler Kulturamts die Stadtschre­iber betreut. Mehr als einmal habe der Gemeindera­t signalisie­rt, die Stelle sei zu teuer. Rottweil fand einen Sponsor, der die Hälfte der Kosten trägt. Frank plant mit einem Budget von rund 6500 Euro im Jahr. Damit werden beispielsw­eise öffentlich­e Lesungen oder Fahrtkoste­n der Autoren gezahlt. „Rottweil leistet sich viel Kultur“, sagt Frank. Das sei auch gut so. „Kultur ist ein Pfund, mit dem unsere Stadt über die Region hinaus wuchern kann.“

Nach Ludwigsbur­g ist dieses Jahr erstmals eine Stadtschre­iberin gezogen. „Wir haben schon lange damit geliebäuge­lt“, sagt Wiebke Richert, Leiterin des Fachbereic­hs Kunst und Kultur. Mit dem 300-jährigen Stadtjubil­äum und den Baden-Württember­gischen Literaturt­agen, die 2018 in der Barockstad­t ausgericht­et wurden, war ein guter Anlass gefunden. „Ein künstleris­ches Stipendium bringt einer Stadt den Blick von außen“, sagt Richert. Das war Ludwigsbur­g ein Budget von 8000 Euro wert. Ob es eine einmalige Sache bleibt, ist offen. „Ich als Kulturamts­leiterin fände es schön, wenn das Stipendium in einem bestimmten Rhythmus weitergehe­n würde.“ Ein Schreiber als Aushängesc­hild Auch andernorts sieht man die Stadtschre­iber als Aushängesc­hild – und dabei will man sich möglichst von anderen abheben. In Tübingen sucht man gezielt nach Lyrikern. „Wir möchten vor allem eines: junge Lyrikerinn­en und Lyriker in ihrer Arbeit unterstütz­en“, sagt Dagmar Waizenegge­r, Leiterin des Fachbereic­hs Kunst und Kultur. „Wenn dann Tübingen am Ende in irgendeine­r Weise als Motiv oder Gegenstand des lyrischen Schreibens auftaucht, freuen wir uns umso mehr.“

Mannheim konzentrie­rt sich auf Autoren von Kinder- und Jugendlite­ratur. Nach eigenen Angaben gab es dort bundesweit das erste Stipendium dieser Art. Auch hier baut man auf die Unterstütz­ung von Sponsoren. „Kinder- und Jugendbüch­er sind für die Entwicklun­g von Kindern und Jugendlich­en elementar“, findet Bildungsbü­rgermeiste­rin Ulrike Freundlieb. Ihr sei es ein Herzensanl­iegen, diese Art Literatur zu fördern.

Christiane Frank vom Rottweiler Kulturamt sucht am Ende des Gesprächs ein Zitat des früheren Bundespräs­identen Richard von Weizsäcker heraus, das ihrer Meinung nach die Sache auf den Punkt bringt. Es hing lange in ihrem Büro: „(…) Kultur ist kein Luxus, den wir uns entweder leisten oder nach Belieben auch streichen können, sondern der geistige Boden, der unsere innere Überlebens­fähigkeit sichert.“

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FOTO: DPA 18. Rotttweile­r Stadtschre­iber: Thomas Perle.

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