Trossinger Zeitung

AOK-Vorstand hält jedes vierte Krankenhau­s für überflüssi­g

Im Schnitt 8,1 Betten pro 1000 Einwohner – Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft hält an der flächendec­kenden Versorgung fest

- Von Hajo Zenker

BERLIN - Krankenkas­sen und Kliniken streiten um die Zahl der Krankenhäu­ser. Während AOK-Chef Martin Litsch jede vierte der derzeit noch 1942 Kliniken für überflüssi­g hält, sieht die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft (DKG) die flächendec­kende Versorgung in Gefahr und warnt vor einem Kahlschlag.

Eine Zentralisi­erung der Versorgung durch Schließung von 500 Krankenhäu­sern würde den Patienten eine familien- und wohnortnah­e Versorgung­ssicherhei­t nehmen, warnte DKG-Hauptgesch­äftsführer Georg Baum am Donnerstag. Und dürfte zugleich durch den Aufbau von Kapazitäte­n in den zentralen Kliniken Hunderte Milliarden an Investitio­nskosten verursache­n. Wenn „die Ortskranke­nkassen nun einen Kahlschlag bei der stationäre­n Versorgung fordern“, sei das keine verantwort­ungsbewuss­te Bewertung der Versorgung­slage ihrer Versichert­en. Schon die ambulante Notfallver­sorgung, die Situation der Geburtshil­fe und die Überlastun­gen in den Hauptzeite­n der Grippewell­e zeigten sehr deutlich, dass flächendec­kend Kliniken gebraucht würden, so die Krankenhau­sgesellsch­aft. „Mehr als eine Million Menschen in deutschen Krankenhäu­sern sichern die Daseinsvor­sorge für rund 80 Millionen Menschen. Wer dies in Frage stellen will, sollte seine eigenen Versichert­en fragen, ob sie das wünschen“, so Baum.

Zuvor hatte der Vorstandsc­hef des AOK-Bundesverb­ands, Martin Litsch, in der „Bild“-Zeitung beklagt: „Wir haben zu viele Krankenhäu­ser, zu viele Betten, zu wenig Spezialisi­erung.“Es fehle an Durchsetzu­ngskraft, das zu ändern. Jede vierte Klinik sei nicht notwendig, ohne sie werde daher „kein Versorgung­snotstand ausbrechen“, so Litsch. Die Situation führe zu gefährlich­er „Gelegenhei­tschirurgi­e“. So ist laut AOK die Sterblichk­eitsrate bei Frühgebore­nen in kleinen Krankenhäu­sern mit nur wenigen Frühchen-Fällen um 50 Prozent höher als in spezialisi­erten Kliniken. Zudem würden viel zu viele Frauen mit Brustkrebs an Einrichtun­gen ohne ausreichen­de Erfahrung operiert – ein Viertel der Klinken führe höchstens acht Brustkrebs­operatione­n pro Jahr durch.

Tatsächlic­h gibt es laut der aktuellen OECD-Studie „Gesundheit auf einen Blick 2018“in der EU nirgendwo so viele Krankenhau­sbetten wie in der Bundesrepu­blik – nämlich 8,1 Betten pro 1000 Einwohner, während der EU-Schnitt 5,1 beträgt. Dazu kommt das Problem fehlender Ausstattun­g. Laut Statistisc­hem Bundesamt hatte 2017 nur jede zweite deutsche Klinik einen Computerto­mographen (CT). Naturgemäß sieht das bei kleinen Krankenhäu­sern noch viel schlechter aus: Bei Kliniken mit bis zu 100 Betten sind es nur zwölf Prozent. Dabei gilt gerade bei Unfällen und Schlaganfä­llen heute die Computerto­mographie als unverzicht­bar. Bei großen Häusern ist CT fast überall selbstvers­tändlich. Aus ähnlichen Gründen hat Dänemark in mehrjährig­er Reformarbe­it und unter Einsatz von Milliarden­investitio­nen sein Kliniknetz umgebaut. Nimmt man dieses Modell, das deutsche Gesundheit­sökonomen auch für hierzuland­e befürworte­n und das 2,6 Betten pro 1000 Bürger bedeutet, als Grundlage, bräuchte Deutschlan­d nur 330 Krankenhäu­ser.

Nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamte­s gab es 2017 noch 1942 Krankenhäu­ser, neun weniger als im Jahr zuvor. Besonders viele Kliniken gibt es in Bayern (354), NordrheinW­estfalen (344) und Baden-Württember­g (265). Seit 2001 wurden nach Zählung der Baden-Württember­gischen Krankenhau­sgesellsch­aft im Land mehr als 40 Standorte geschlosse­n, unter anderem in Isny und Leutkirch, auf der Laichinger Alb, in Ulm und Bad Buchau.

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FOTO: ROLAND RASEMANN Auch das Leutkirche­r Krankenhau­s hat vor einigen Jahren dichtgemac­ht.

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