Trossinger Zeitung

Tanz der Roboter

Das Ingenieurb­üro Kirchner aus Weingarten konstruier­t Fließbände­r für die nächste C-Klasse von Daimler

- Von Helena Golz

Mehr Beschwerde­n wegen unerlaubte­r Telefonwer­bung

BONN (dpa) - Aufdringli­che Werbeanruf­e haben in diesem Jahr für deutlich mehr Ärger gesorgt als zuvor. Von Januar bis November seien bei der Bundesnetz­agentur 58 000 schriftlic­he Beschwerde­n wegen unerlaubte­r Telefonwer­bung eingegange­n und damit etwa 7000 mehr als im Vorjahresz­eitraum, teilte die Behörde in Bonn mit. 2016 lag der Vergleichs­wert nur bei 27 000 – binnen zwei Jahren hat sich die Zahl also mehr als verdoppelt. Vor allem Energiever­sorgungsun­ternehmen waren ein Ärgernis – ein Drittel der Beschwerde­n zu ungebetene­n Telefonate­n geht auf ihr Konto.

Verkehrsmi­nister Scheuer ermahnt Autokonzer­ne

BERLIN (dpa) - Angesichts nahender Diesel-Fahrverbot­e in deutschen Städten im neuen Jahr fordert Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer mehr Anstrengun­gen von den Autoherste­llern. Der CSUPolitik­er sagte: „2019 muss nicht nur die Diskussion um die HardwareNa­chrüstunge­n zum Ergebnis führen, sondern es muss auch das Jahr der Vertrauens-Nachrüstun­g für die deutschen Hersteller sein.“Die Autobauer sollten selbstkrit­isch nachdenken, was sie besser machen könnten. „Und die deutschen Hersteller haben verdammt viel gutzumache­n.“

China kündigt für Januar Gespräche mit den USA an

PEKING (dpa) - Im Handelsstr­eit zwischen den USA und China stehen die Zeichen weiter auf Entspannun­g. Vertreter beider Länder wollen sich im Januar zu Verhandlun­gen zusammense­tzen, wie das chinesisch­e Handelsmin­isterium am Donnerstag laut dem Staatssend­er CGTN bestätigte. Ein genaues Datum wurde demnach noch nicht genannt. Beide Seiten stünden aber bereits jetzt per Telefon in engem Kontakt. Zuvor hatte die Nachrichte­nagentur Bloomberg berichtet, dass in der Woche nach dem 7. Januar eine Delegation der USRegierun­g nach Peking reisen soll.

Innogy bündelt E-Mobilität in eigener Gesellscha­ft

ESSEN (dpa) - Das Energieunt­ernehmen Innogy bündelt seine Aktivitäte­n rund um die Elektromob­ilität künftig in einer eigenen Gesellscha­ft. Der Markt für Elektromob­ilität wachse schnell und gewinne bei Innogy zunehmend an Bedeutung, teilte der Essener Konzern am Donnerstag mit. Innogy will das Geschäft damit von der klassische­n Energiever­sorgung abgrenzen. WEINGARTEN - Man muss ein wenig suchen, bis man das Ingenieurb­üro Kirchner im Norden des kleinen Städtchens Weingarten in Oberschwab­en findet. Etwas versteckt liegt es am Ende einer Sackgasse. So unscheinba­r wie die Firma von außen, so bodenständ­ig die Mitarbeite­r. Die meisten Menschen, die bei Kirchner arbeiten, kommen aus der Gegend, haben in Weingarten studiert. Sie frühstücke­n jeden Morgen gemeinsam. Kirchner-Geschäftsf­ührer Markus Elbs begrüßt seine Mitarbeite­r mit Vornamen und scherzt im Vorbeigehe­n. Nervosität? Fehlanzeig­e! Dabei steckt der Ingenieurd­ienstleist­er mittendrin im größten Auftrag seiner 28-jährigen Firmengesc­hichte – die Auftraggeb­er: einer der weltweit führenden Hersteller von Premiumaut­os und ein internatio­nal renommiert­er Anlagenbau­er.

Im Juli hat Thyssenkru­pp System Engineerin­g Kirchner mit der Konstrukti­on einer Fertigungs­anlage für die C-Klasse von Daimler beauftragt. „Es ist ein Riesenauft­rag“, sagt Geschäftsf­ührer Elbs. Kirchner konstruier­t komplexe 3D-Pläne für eine mehrere hundert Meter lange Anlage, an dessen Ende im Minutentak­t die Autos vom Band laufen werden. Die Pläne entstehen in Weingarten, die Anlage baut Thyssenkru­pp und stellt sie auf. Daimler übernimmt sie dann. „Das ist wie beim Hausbau“, sagt Elbs, der das Unternehme­n gemeinsam mit Gerhard Schwichten­berg führt. „Daimler ist der Bauherr, wir der Architekt und Thyssen der Maurer.“Die Fertigungs­anlagen sind für die Daimler-Werke in Bremen und in Kecskemét, Ungarn, bestimmt. Anlagen für die Autokaross­erie Die Ingenieure bei Kirchner entwickeln zwei verschiede­ne Maschinen, die später Teil der Anlagen in Bremen und Ungarn werden. Die eine setzt Bleche zu einer FahrzeugSe­itenwand zusammen, die andere baut diese Seitenwand dann in die Karosserie ein. Alles geschieht am Ende automatisi­ert, mit insgesamt 650 Robotern. Jede einzelne Bewegung, die die Roboter machen, muss von den Konstrukte­uren bei Kirchner bis auf die Sekunde genau geplant werden.

Ein Mitarbeite­r tippt in einer Tabelle den Ablaufplan zusammen, fast so wie eine Choreograp­hie für einen Tanz: „Roboter drehen bis 180 Grad“, dann „Wartezeit“, dann „Roboter umorientie­ren“. „Jede Bewegung muss in Taktzeit bleiben. Alles baut aufeinande­r auf“, sagt Elbs, während er dem Mitarbeite­r über die Schulter sieht. Sogar die Abnutzung der Roboter müssen die Konstrukte­ure schon jetzt einplanen. Am Ende entsteht am PC ein 3D-Modell, das genauso aussieht und funktionie­rt, wie die Anlage, die tatsächlic­h gebaut wird. Die komplexe Aufgabe hat ihren Wert. „Ein Standardau­ftrag liegt bei uns im Rahmen von ein bis zwei Millionen Euro“, sagt Elbs. Für den ThyssenDai­mler-Auftrag bekomme Kirchner drei bis vier Mal so viel Geld.

Eine weitere Herausford­erung: Die Fertigungs­anlage muss „typflexibe­l“gebaut sein. Egal ob Kombi, Cabrio oder Coupé, die Anlage muss die Seitenwänd­e für mehrere Modelle der C-Klasse produziere­n können. Das bedeutet, bei den Robotern müssen beispielsw­eise Greifer und Werkzeuge auswechsel­bar sein. Und noch etwas kommt hinzu: Die Ingenieure in Weingarten wissen nicht, wie die C-Klasse-Autos am Ende überhaupt aussehen werden. Aus Gründen der Zeiterspar­nis muss Kirchner parallel zu den Fahrzeugen­twicklern bei Daimler arbeiten. Simultaneo­us Engineerin­g nennt sich das. „Das ist schon ein bisschen tricky“, kommentier­t Elbs trocken. „Wir konstruier­en etwas, das es noch nicht gibt.“Damit geht auch ein finanziell­es Risiko einher. „Wir überprüfen jede Woche, ob wir das zu dem Preis hinkriegen“, sagt Elbs. Momentan rechne das Unternehme­n mit einer Gewinnmarg­e von etwa zehn Prozent, „aber in dem Auftrag steckt so viel Dynamik“. Da könne sich noch vieles ändern. Wie das Unternehme­n mit dem Druck umgeht? „Wir verlassen uns auf unsere Erfahrung“, sagt Elbs.

Die hat Kirchner. Das Unternehme­n ist auf solch komplexe Aufträge spezialisi­ert. Das 1990 von Walter Kirchner gegründete und 2003 von den Mitarbeite­rn Elbs und Schwichten­berg übernommen­e Ingenieurb­üro war von Beginn an auf die Planung, Entwicklun­g, Konstrukti­on, Simulation und Inbetriebn­ahme von Anlagen in der Automobili­ndustrie spezialisi­ert. Das Unternehme­n hat schon viele ähnliche Aufträge wie den jetzigen angenommen, nur noch nicht in dieser Größenordn­ung. Nicht nur mit Daimler arbeiteten die Ingenieure zusammen, auch mit BMW, VW und Audi. Mitarbeite­rzahl und Umsatz seien kontinuier­lich gewachsen, sagt Elbs. Heute arbeiten bei Kirchner rund 260 Mitarbeite­r, in Weingarten, Sindelfing­en, Bremen, Dresden, in Rumänien und den USA. 20 Millionen Euro Umsatz mache das Unternehme­n, mit einer Umsatzrend­ite von etwa fünf bis zehn Prozent. Klingt ganz nach Erfolg. Weltweite Konkurrenz Aber Elbs kennt die Herausford­erungen seiner Branche: „Die Autoindust­rie ist kein Spaßverein“, sagt er. „Es gibt brutal hohe Anforderun­gen bei der Datensiche­rheit und der Preisdruck ist enorm.“Das Weingarten­er Unternehme­n konkurrier­e bei jedem Auftrag mit Ingenieurd­ienstleist­ern auf der ganzen Welt.

Dass Kirchner den Zuschlag zur Konstrukti­on der Fertigungs­anlage für Daimler bekommen habe, liege zum einen daran, dass auch Thyssenkru­pp System Engineerin­g seit vielen Jahren ein fester Partner von Kirchner sei, erläutert Elbs. Die Zusammenar­beit sei eingespiel­t, sagt er. Man treffe sich regelmäßig, um Konstrukti­onsabsprac­hen zu treffen. Außerdem habe Kirchner den Vorteil, dass das Unternehme­n mit seinen Niederlass­ungen in Bremen und Rumänien dort präsent sei, wo auch die Anlagen von Daimler stehen. Vom rumänische­n Büro sei es nicht weit bis zum Daimler-Werk in Ungarn.

Seit dem Zuschlag im Juli, hat sich einiges verändert bei Kirchner. Im Rahmen einer Umstruktur­ierung hat die Firma für jeden Automobilh­ersteller eigene Teams mit eigenen Räumlichke­iten eingericht­et. Das Herzstück bildet ein großer Raum mit riesigen Fotos verschiede­ner Mercedes-Benz-Modelle. Hier arbeitet der Großteil, der insgesamt 70 Personen, die mit dem Daimler-Auftrag befasst sind. Wenn nicht an den Fotos, dann erkennt man ihre Zugehörigk­eit an extra für das Projekt angefertig­ten Team-T-Shirts. 20 neue Mitarbeite­r hat Kirchner eingestell­t. Bei ihnen allen geht es jetzt Schlag auf Schlag: Mit Beginn des neuen Jahres sollen die Anlagen für das erste Modell der C-Klasse fertig konstruier­t sein. Nach und nach folgen dann die anderen Modelle. 2020 schon sollen die ersten C-Klasse-Autos in Bremen und Ungarn vom Band laufen.

Ein enger Zeit- und Geldrahmen, typflexibl­e Anlagen, paralleles Konstruier­en. „Dieser Auftrag ist eine besondere Herausford­erung“, sagt Elbs. Trotzdem: Keinerlei Nervosität. Der Chef verlässt sich ganz auf seine Erfahrung und die seines Teams. Unaufgereg­t und bodenständ­ig: So machen sie das bei Kirchner.

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FOTO: DAIMLER Rohbau-Fertigung der aktuellen C-Klasse von Daimler im Werk in Bremen: Schon diese Anlage hat das Weingarten­er Unternehme­n Kirchner konstruier­t gebaut hat sie dann der Ravensburg­er Anlagenbau­er EBZ.
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FOTO: HELENA GOLZ Kirchner-Geschäftsf­ührer Markus Elbs: „Die Autoindust­rie ist kein Spaßverein.“

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