Als die Weitenjäger in Spaichingen flogen
Vereinsveteranen erinnern sich an „100 Jahre Schneeschuhverein Spaichingen“
SPAICHINGEN - Fast auf den Tag genau vor 100 Jahren ist einer der traditionsreichsten Spaichinger Vereine gegründet worden – der Schneeschuhverein. Am 3. Januar 1919 hoben ihn 24 Frauen und Männer in der Gaststätte „Waldhorn“aus der Taufe, zum ersten Vorsitzenden wurde Oscar Hagen gewählt. Viel ist geschehen in diesen 100 Jahren – einige „Veteranen“blicken zurück auf Höhepunkte der Vereinsgeschichte.
Seit 1949 ist der 80-jährige Richard Wenzler im Schneeschuhverein, seit 60 Jahren Arno Winker (76) und seit immerhin knapp 40 Jahren Schriftführerin Marianne Remmele (69). Wenn die drei erzählen, wird eine Vergangenheit lebendig, in der Spaichingen eine Skisport-Metropole in der Region war. Da waren zum Beispiel die drei Skisprungschanzen: die erste, 1927 eröffnet, schnell zu klein geworden, die zweite Zundelberg-Schanze folgte bereits 1931, bis 1963 die dritte Schanze eingeweiht wurde. „Da kamen deutsche Spitzenspringer wie Sepp Schiffner und Axel Zehrlaut“, erinnert sich Wenzler. „Ich hab es auch versucht, aber nicht dazu getaugt.“Wenzlers Metier wurde der Langlauf: 1961 wurde er schwäbischer Meister mit der Staffel.
Auch Winker versuchte sich als Bub als Skispringer, sein Nachbar Kurt Hafen habe ihn dazu gebracht. „Als Jugendlicher musste man in den Schneeschuhverein, wenn man Skispringen wollte.“Mit 17 Jahren hörte er jedoch bereits auf mit dem Skispringen und wurde später zum „Mister Grasski“: 1974 organisierte der Verein das erste „Spaichinger Grasskirennen“, 1983 die Deutsche Meisterschaft. Federführend war Winker. „Ich hab alles gemacht – von der Organisation bis zum selber fahren.“Er wurde später Seniorenmeister in der Disziplin, die dieses Jahr eine Neuauflage erfuhr. „Wir hatten ein kleines Revival dieses nicht einfachen Sports“, berichtet Vereinsvorsitzender Steffen May, dass es zu „ein paar heftigen Stürzen“gekommen sei.
Für May ist der Bau der Schanzen Ausdruck des Engagements der Vereinsmitglieder. „Wir haben immer alles mit eigenen Leuten gebaut – nahezu unvorstellbar, wenn man sich die heutige Zeit anschaut.“Unfälle habe es nie gegeben bei der Errichtung der drei Schanzen, bei der letzten lag der Weitenrekord bei 46 Metern. „In Spaichingen war die Holzmöbelindustrie – wir hatten viele Leute, die gut mit Holz umgehen konnten.“Doch in den frühen 70er Jahren war Schluss mit der Weitenjagd: „Der Auslauf war mit viel Erde aufgefüllt, und die kam langsam ins Rutschen“, erläutert Wenzler. „Der Auslauf war nicht mehr befahrbar.“Ein echter Verlust für Spaichingen, denn die Massen kamen: „Es ist abartig, wie viele Menschen damals dabei waren beim Skispringen“, so May. Gemeinschaft zählt Eine Gemeinschaftsleistung war auch der Bau der Skihütte Anfang der 70er Jahre. Zunächst war eine Schutzhütte errichtet worden. „Aber die war zu klein“, blickt Wenzler zurück. „Wir haben sie nach Rietheim verkauft – sie steht immer noch.“Die Idee sei gewesen, am Zundelberg ein Skizentrum entstehen zu lassen. Maßgeblich Werner Posner, damals alpiner Sportwart, habe den Bau eines Skihangs betrieben. Drei Hektar Wald seien seinerzeit dazu abgeholzt worden – welcher Aufschrei wohl heute durch Spaichingen gellen würde. Wiederum in Eigenregie wurden zwei Lifte gebaut. „Was fehlte, war eine Begegnungsstätte“, sagt May. Die stand Ende 1971 mit der Skihütte. Der damalige „Bautrupp“kümmere sich noch heute um die „Hege und Pflege drumherum“, auch einen Stammtisch gebe es. Die Hütte wird weiterhin samstags und sonntags selbstständig verwaltet – „da sind wir stolz drauf“. Verein zählt heute 630 Mitglieder „Unser Konzept ist familiär“, sagt der Vereinsvorsitzende. „Alle zusammen unternehmen viel.“Etwa Ausflüge im Vereinsbus, „weil wir den Hang leider nur wenig nutzen können bei jährlich nur zehn bis zwölf Skitagen mit genügend Schnee.“Aktuell zählt der Schneeschuhverein 630 Mitglieder. „Lange Zeit lagen wir zwischen 400 und 500, dann kam um 2005 die Skigymnastik hinzu“, berichtet May, seit 14 Jahren Vorsitzender. Jeden Dienstagabend trainieren 70, 80 Leute in der Stadthalle. Mit den Jahrzehnten kamen weitere Angebote hinzu wie eine Radfahrgruppe in den 80er Jahren oder Wandern und Seniorengymnastik.
Einen legendären Status in der Vereinshistorie nehmen auch die Abfahrtsläufe am Dreifaltigkeitsberg ein. Am 10. Februar 1938 stieg das erste Bergrennen, bis 1966 jagten Abfahrer aus der Region den Hang hinunter. „Drei Kilometer war die Strecke lang“, erinnert sich Wenzler. „Wir sind teilweise 50 Zentimeter an den Bäumen vorbeigeschossen.“Nicht jeder kam den Berg heil hinunter. Wenzler selbst hielt für zwei Jahre den Streckenrekord. „Dann kam der Abfahrer Alber aus Tuttlingen und hat ihn mir abgenommen.“
All diese Geschichten und mehr birgt die Ausstellung zu „100 Jahre Schneeschuhverein Spaichingen – 100 Jahre Skisport“, die seit 11. November noch bis 3. März im Gewerbemuseum zu sehen ist. Federführend bei der Organisation war Marianne Remmele, seit acht Jahren Schriftführerin. „Wir haben uns zur Vorbereitung jeden Donnerstag auf der Skihütte getroffen.“Ihre Zwischenbilanz der Schau fällt positiv aus: „Es läuft gut, auch der Andrang bei Führungen ist gut – es kommen viele Jahrgänger.“
Vor neun Jahren hatte der Verein die deutschen Juniorenmeisterschaften Alpin im Slalom und Riesenslalom auf dem Feldberg ausgerichtet. Das Jubiläumsjahr ist nun Anlass für einen neuerlichen sportlichen Höhepunkt: Da organisiert der Spaichinger Verein die schwäbischen Meisterschaften Alpin in Riefensberg. Der Festakt zu „100 Jahre Schneeschuhverein“steigt am Freitag, 4. Januar, um 17 Uhr in der Aula der Realschule Spaichingen. Für den 30. April ist eine Sportgala in der Stadthalle mit den Red Jackets geplant.