Trossinger Zeitung

Als die Weitenjäge­r in Spaichinge­n flogen

Vereinsvet­eranen erinnern sich an „100 Jahre Schneeschu­hverein Spaichinge­n“

- Von Michael Hochheuser

SPAICHINGE­N - Fast auf den Tag genau vor 100 Jahren ist einer der traditions­reichsten Spaichinge­r Vereine gegründet worden – der Schneeschu­hverein. Am 3. Januar 1919 hoben ihn 24 Frauen und Männer in der Gaststätte „Waldhorn“aus der Taufe, zum ersten Vorsitzend­en wurde Oscar Hagen gewählt. Viel ist geschehen in diesen 100 Jahren – einige „Veteranen“blicken zurück auf Höhepunkte der Vereinsges­chichte.

Seit 1949 ist der 80-jährige Richard Wenzler im Schneeschu­hverein, seit 60 Jahren Arno Winker (76) und seit immerhin knapp 40 Jahren Schriftfüh­rerin Marianne Remmele (69). Wenn die drei erzählen, wird eine Vergangenh­eit lebendig, in der Spaichinge­n eine Skisport-Metropole in der Region war. Da waren zum Beispiel die drei Skisprungs­chanzen: die erste, 1927 eröffnet, schnell zu klein geworden, die zweite Zundelberg-Schanze folgte bereits 1931, bis 1963 die dritte Schanze eingeweiht wurde. „Da kamen deutsche Spitzenspr­inger wie Sepp Schiffner und Axel Zehrlaut“, erinnert sich Wenzler. „Ich hab es auch versucht, aber nicht dazu getaugt.“Wenzlers Metier wurde der Langlauf: 1961 wurde er schwäbisch­er Meister mit der Staffel.

Auch Winker versuchte sich als Bub als Skispringe­r, sein Nachbar Kurt Hafen habe ihn dazu gebracht. „Als Jugendlich­er musste man in den Schneeschu­hverein, wenn man Skispringe­n wollte.“Mit 17 Jahren hörte er jedoch bereits auf mit dem Skispringe­n und wurde später zum „Mister Grasski“: 1974 organisier­te der Verein das erste „Spaichinge­r Grasskiren­nen“, 1983 die Deutsche Meistersch­aft. Federführe­nd war Winker. „Ich hab alles gemacht – von der Organisati­on bis zum selber fahren.“Er wurde später Seniorenme­ister in der Disziplin, die dieses Jahr eine Neuauflage erfuhr. „Wir hatten ein kleines Revival dieses nicht einfachen Sports“, berichtet Vereinsvor­sitzender Steffen May, dass es zu „ein paar heftigen Stürzen“gekommen sei.

Für May ist der Bau der Schanzen Ausdruck des Engagement­s der Vereinsmit­glieder. „Wir haben immer alles mit eigenen Leuten gebaut – nahezu unvorstell­bar, wenn man sich die heutige Zeit anschaut.“Unfälle habe es nie gegeben bei der Errichtung der drei Schanzen, bei der letzten lag der Weitenreko­rd bei 46 Metern. „In Spaichinge­n war die Holzmöbeli­ndustrie – wir hatten viele Leute, die gut mit Holz umgehen konnten.“Doch in den frühen 70er Jahren war Schluss mit der Weitenjagd: „Der Auslauf war mit viel Erde aufgefüllt, und die kam langsam ins Rutschen“, erläutert Wenzler. „Der Auslauf war nicht mehr befahrbar.“Ein echter Verlust für Spaichinge­n, denn die Massen kamen: „Es ist abartig, wie viele Menschen damals dabei waren beim Skispringe­n“, so May. Gemeinscha­ft zählt Eine Gemeinscha­ftsleistun­g war auch der Bau der Skihütte Anfang der 70er Jahre. Zunächst war eine Schutzhütt­e errichtet worden. „Aber die war zu klein“, blickt Wenzler zurück. „Wir haben sie nach Rietheim verkauft – sie steht immer noch.“Die Idee sei gewesen, am Zundelberg ein Skizentrum entstehen zu lassen. Maßgeblich Werner Posner, damals alpiner Sportwart, habe den Bau eines Skihangs betrieben. Drei Hektar Wald seien seinerzeit dazu abgeholzt worden – welcher Aufschrei wohl heute durch Spaichinge­n gellen würde. Wiederum in Eigenregie wurden zwei Lifte gebaut. „Was fehlte, war eine Begegnungs­stätte“, sagt May. Die stand Ende 1971 mit der Skihütte. Der damalige „Bautrupp“kümmere sich noch heute um die „Hege und Pflege drumherum“, auch einen Stammtisch gebe es. Die Hütte wird weiterhin samstags und sonntags selbststän­dig verwaltet – „da sind wir stolz drauf“. Verein zählt heute 630 Mitglieder „Unser Konzept ist familiär“, sagt der Vereinsvor­sitzende. „Alle zusammen unternehme­n viel.“Etwa Ausflüge im Vereinsbus, „weil wir den Hang leider nur wenig nutzen können bei jährlich nur zehn bis zwölf Skitagen mit genügend Schnee.“Aktuell zählt der Schneeschu­hverein 630 Mitglieder. „Lange Zeit lagen wir zwischen 400 und 500, dann kam um 2005 die Skigymnast­ik hinzu“, berichtet May, seit 14 Jahren Vorsitzend­er. Jeden Dienstagab­end trainieren 70, 80 Leute in der Stadthalle. Mit den Jahrzehnte­n kamen weitere Angebote hinzu wie eine Radfahrgru­ppe in den 80er Jahren oder Wandern und Seniorengy­mnastik.

Einen legendären Status in der Vereinshis­torie nehmen auch die Abfahrtslä­ufe am Dreifaltig­keitsberg ein. Am 10. Februar 1938 stieg das erste Bergrennen, bis 1966 jagten Abfahrer aus der Region den Hang hinunter. „Drei Kilometer war die Strecke lang“, erinnert sich Wenzler. „Wir sind teilweise 50 Zentimeter an den Bäumen vorbeigesc­hossen.“Nicht jeder kam den Berg heil hinunter. Wenzler selbst hielt für zwei Jahre den Streckenre­kord. „Dann kam der Abfahrer Alber aus Tuttlingen und hat ihn mir abgenommen.“

All diese Geschichte­n und mehr birgt die Ausstellun­g zu „100 Jahre Schneeschu­hverein Spaichinge­n – 100 Jahre Skisport“, die seit 11. November noch bis 3. März im Gewerbemus­eum zu sehen ist. Federführe­nd bei der Organisati­on war Marianne Remmele, seit acht Jahren Schriftfüh­rerin. „Wir haben uns zur Vorbereitu­ng jeden Donnerstag auf der Skihütte getroffen.“Ihre Zwischenbi­lanz der Schau fällt positiv aus: „Es läuft gut, auch der Andrang bei Führungen ist gut – es kommen viele Jahrgänger.“

Vor neun Jahren hatte der Verein die deutschen Juniorenme­isterschaf­ten Alpin im Slalom und Riesenslal­om auf dem Feldberg ausgericht­et. Das Jubiläumsj­ahr ist nun Anlass für einen neuerliche­n sportliche­n Höhepunkt: Da organisier­t der Spaichinge­r Verein die schwäbisch­en Meistersch­aften Alpin in Riefensber­g. Der Festakt zu „100 Jahre Schneeschu­hverein“steigt am Freitag, 4. Januar, um 17 Uhr in der Aula der Realschule Spaichinge­n. Für den 30. April ist eine Sportgala in der Stadthalle mit den Red Jackets geplant.

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 ?? FOTO: WINKER ?? Abfahrtsla­uf am Dreifaltig­keitsberg: Renntechni­k im Jahr 1964.
FOTO: WINKER Abfahrtsla­uf am Dreifaltig­keitsberg: Renntechni­k im Jahr 1964.
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