Winterwandern mit dem Prädikat „Premium“
Im Chiemgau sind die Wege breit und die Aussichten auf die umliegenden Gipfel grandios
er wandern geht, will vorwärtskommen – doch manchmal bringt Stehenbleiben den schönsten Moment. „Seid’s mal ganz still. Schließt’s die Augen. Spürt mal, wie’s euch jetzt geht.“Wanderführerin Marlies Speicher will, dass wir alles einfangen – die beruhigende Ruhe der Bergwelt um uns herum; die Kälte, die von den Fußsohlen bis zur Nasenspitze steigt; die leichte Wärme auf den Wangen von der Sonne, die im Schnee reflektiert.
Seit einer Stunde geht es auf einem Hochplateau über Reit im Winkl im Chiemgau auf Deutschlands erstem zertifizierten Premium-Winterwanderweg entlang. Premium bedeutet: Breite Wege, die regelmäßig von der Pistenraupe planiert werden und daher trotz reichlich Schnee angenehm zu begehen sind. Dazu ist die Route gut ausgeschildert, in regelmäßigen Abständen informieren Tafeln über Besonderheiten am Weg und die bereits zurückgelegte Strecke. Premium ist auch der Ausblick. Eine interessante Wegführung sorgt dafür, dass man stets einen weiten Blick auf die Gipfel der Region hat vom Watzmann bis zum Chiemsee. Immer noch ein Geheimtipp Trotz der Auszeichnung scheint der Wanderweg aber noch ein Geheimtipp zu sein. Wer früh am Morgen startet, hat das Hochplateau nahezu für sich allein, nur ab und zu kreuzen Langläufer auf der Suche nach der nahen Loipe den Weg. Speicher ist im Chiemgau aufgewachsen und führt ihre Gäste gern nach oben, im Sommer wie im Winter. Das Erlebnis ist je nach Jahreszeit ein anderes. Im Winter zieht es die Wanderer wegen der verschneiten Bäume, den Eiskristallen und den Tierspuren im Schnee nach draußen. Unter den Füßen knarzt es auf dem platt gewalzten Schnee bei jedem Schritt. Die zurückgelegten Höhenmeter sind überschaubar, doch im Winter ist der größte Kampf nicht der gegen den nächsten Anstieg, sondern der gegen die Kälte. Zweistellige Minusgrade zeigt das Thermometer auch an diesem Morgen an – unten im Ort. Der Wanderweg liegt auf 1200 Meter. Die Füße freuen sich deshalb über wasserabweisende Wanderschuhe und dicke Wollsocken.
Doch der Weg zur wärmenden Hütte ist nicht weit, etwa zwei Stunden brauchen Wanderer im Winter für die 6,2 Kilometer lange Strecke auf der sogenannten Hemmersuppenalm. Der Name des Plateaus stammt von einer Pflanze, der „Weiße Germer“wird im Volksmund „Hemmer“genannt. Die moosigen, moorigen Stellen erinnerten die Bürger zudem an eine Suppe – die „Hemmersuppe“war geboren.
Vor dem letzten Abzweig erneutes Innehalten. Speicher führt in eine kleine Kapelle, zu der ihre Familie einen besonderen Bezug hat. Der Urgroßvater hat sie 1906 hier oben errichten lassen – „als Dank für einen guten und ertragreichen Sommer auf den Almen“, so steht es in der Annakapelle geschrieben. Die Winter auf dem Hochplateau sind vor allem schneereich, denn aufgrund seiner Lage im Inntal, das nur nach Westen hin offen ist, staut sich in und um Reit im Winkl die Kälte ganz besonders.
Start-und Endpunkt der Wanderung ist die Hindenburghütte, wer hier hinauf will, muss sich am Parkplatz einen Shuttlebus buchen. Die knallroten Allradwagen mit Schneeketten donnern dann in wenigen Minuten eine steile Strecke nach oben. Für den Rückweg verleiht der Hüttenwirt Schlitten, wer nach dem Wandern noch die nötige Kraft hat, kann dann dieselbe, steile Strecke wieder nach unten rodeln. Runde um den Inzeller Frillensee Weniger anstrengend aber nicht minder schön ist ein anderer Winterwanderweg im Chiemgau: die Runde um den Frillensee. Dass er so gut erschlossen ist, hat er dem Eisschnelllauf zu verdanken. 1959 suchten die deutschen Sportler nach einem See, der mindestens 400 Meter lang ist und im Winter durchfriert – in Inzell wurden sie fündig. Weil der See von den Bergen umgeben und deshalb die meiste Zeit im Schatten liegt, ist er besonders kalt, selbst im Sommer hat er unter zehn Grad. Deshalb ist sein Eis besonders schnell, erzählt Klaus Wagner. Der 70-Jährige ehemalige Biathlet führt heute als Ehrenamtlicher Touristen durch die Eissporthalle im Ort und um den See.
Damit 1960 die Deutschen Meisterschaften darauf stattfinden konnten, waren Wagner und seine Freunde rund um die Uhr im Einsatz: „Wir haben Tag und Nacht in mehreren Schichten die Wege zum See und den See selber vom Schnee freigeräumt.“Drei Jahre lang wurden Wettkämpfe auf dem See ausgetragen, dann entschied sich die Stadt dazu, ein Naturstadion zu bauen. 2009 wurde aus dem offenen Eisstadion Inzell die überdachte Max-Aicher-Arena, die heute Bundesstützpunkt für Eisschnelllauf und die etwas neuere Disziplin Short Track ist und in der einst auch die bekannte Chiemgauerin Anni Friesinger trainierte.
Heute ist der Frillensee ein idyllischer Ausflugsort, vom Forsthaus Adlgaß lässt er sich je nach gewählter Route in zwei oder drei Stunden umrunden. Die sechs Kilometer Winterwanderweg gehen mal als breite Pfade am Ufer entlang, mal verschlungener und schmaler durch den Wald. Dass der See kaum Sonne abbekommt, merkt man aber auch als Wanderer. Die Kälte und der eisige Wind kriechen in die Knochen.
Die Pausen auf dem „BergwaldErlebnispfad“hält Wagner deshalb eher kurz. An 18 Infoständen wird erklärt, wie alt welcher Baum wird, welche Tiere im Wald leben oder wie eine Holzorgel klingt. So gibt es hier Denksport zum echten Sport gratis dazu. Zurück am Parkplatz führt Wagner zielsicher in die Hütte. Die Bedienung ist vorbereitet, sie kennt die Winterwanderer. Die heiße Schokolade und der Kaiserschmarrn sind schon so gut wie auf dem Tisch. Die Schlitten stehen für die rasante Abfahrt bereit. ANZEIGE Weitere Informationen unter Tel.: 0861/9095900 und im Internet: www.chiemsee-chiemgau.info Die Recherche wurde unterstützt von Chiemgau Tourismus.