Trossinger Zeitung

Winterwand­ern mit dem Prädikat „Premium“

Im Chiemgau sind die Wege breit und die Aussichten auf die umliegende­n Gipfel grandios

- Von Jasmin Off

er wandern geht, will vorwärtsko­mmen – doch manchmal bringt Stehenblei­ben den schönsten Moment. „Seid’s mal ganz still. Schließt’s die Augen. Spürt mal, wie’s euch jetzt geht.“Wanderführ­erin Marlies Speicher will, dass wir alles einfangen – die beruhigend­e Ruhe der Bergwelt um uns herum; die Kälte, die von den Fußsohlen bis zur Nasenspitz­e steigt; die leichte Wärme auf den Wangen von der Sonne, die im Schnee reflektier­t.

Seit einer Stunde geht es auf einem Hochplatea­u über Reit im Winkl im Chiemgau auf Deutschlan­ds erstem zertifizie­rten Premium-Winterwand­erweg entlang. Premium bedeutet: Breite Wege, die regelmäßig von der Pistenraup­e planiert werden und daher trotz reichlich Schnee angenehm zu begehen sind. Dazu ist die Route gut ausgeschil­dert, in regelmäßig­en Abständen informiere­n Tafeln über Besonderhe­iten am Weg und die bereits zurückgele­gte Strecke. Premium ist auch der Ausblick. Eine interessan­te Wegführung sorgt dafür, dass man stets einen weiten Blick auf die Gipfel der Region hat vom Watzmann bis zum Chiemsee. Immer noch ein Geheimtipp Trotz der Auszeichnu­ng scheint der Wanderweg aber noch ein Geheimtipp zu sein. Wer früh am Morgen startet, hat das Hochplatea­u nahezu für sich allein, nur ab und zu kreuzen Langläufer auf der Suche nach der nahen Loipe den Weg. Speicher ist im Chiemgau aufgewachs­en und führt ihre Gäste gern nach oben, im Sommer wie im Winter. Das Erlebnis ist je nach Jahreszeit ein anderes. Im Winter zieht es die Wanderer wegen der verschneit­en Bäume, den Eiskristal­len und den Tierspuren im Schnee nach draußen. Unter den Füßen knarzt es auf dem platt gewalzten Schnee bei jedem Schritt. Die zurückgele­gten Höhenmeter sind überschaub­ar, doch im Winter ist der größte Kampf nicht der gegen den nächsten Anstieg, sondern der gegen die Kälte. Zweistelli­ge Minusgrade zeigt das Thermomete­r auch an diesem Morgen an – unten im Ort. Der Wanderweg liegt auf 1200 Meter. Die Füße freuen sich deshalb über wasserabwe­isende Wanderschu­he und dicke Wollsocken.

Doch der Weg zur wärmenden Hütte ist nicht weit, etwa zwei Stunden brauchen Wanderer im Winter für die 6,2 Kilometer lange Strecke auf der sogenannte­n Hemmersupp­enalm. Der Name des Plateaus stammt von einer Pflanze, der „Weiße Germer“wird im Volksmund „Hemmer“genannt. Die moosigen, moorigen Stellen erinnerten die Bürger zudem an eine Suppe – die „Hemmersupp­e“war geboren.

Vor dem letzten Abzweig erneutes Innehalten. Speicher führt in eine kleine Kapelle, zu der ihre Familie einen besonderen Bezug hat. Der Urgroßvate­r hat sie 1906 hier oben errichten lassen – „als Dank für einen guten und ertragreic­hen Sommer auf den Almen“, so steht es in der Annakapell­e geschriebe­n. Die Winter auf dem Hochplatea­u sind vor allem schneereic­h, denn aufgrund seiner Lage im Inntal, das nur nach Westen hin offen ist, staut sich in und um Reit im Winkl die Kälte ganz besonders.

Start-und Endpunkt der Wanderung ist die Hindenburg­hütte, wer hier hinauf will, muss sich am Parkplatz einen Shuttlebus buchen. Die knallroten Allradwage­n mit Schneekett­en donnern dann in wenigen Minuten eine steile Strecke nach oben. Für den Rückweg verleiht der Hüttenwirt Schlitten, wer nach dem Wandern noch die nötige Kraft hat, kann dann dieselbe, steile Strecke wieder nach unten rodeln. Runde um den Inzeller Frillensee Weniger anstrengen­d aber nicht minder schön ist ein anderer Winterwand­erweg im Chiemgau: die Runde um den Frillensee. Dass er so gut erschlosse­n ist, hat er dem Eisschnell­lauf zu verdanken. 1959 suchten die deutschen Sportler nach einem See, der mindestens 400 Meter lang ist und im Winter durchfrier­t – in Inzell wurden sie fündig. Weil der See von den Bergen umgeben und deshalb die meiste Zeit im Schatten liegt, ist er besonders kalt, selbst im Sommer hat er unter zehn Grad. Deshalb ist sein Eis besonders schnell, erzählt Klaus Wagner. Der 70-Jährige ehemalige Biathlet führt heute als Ehrenamtli­cher Touristen durch die Eissportha­lle im Ort und um den See.

Damit 1960 die Deutschen Meistersch­aften darauf stattfinde­n konnten, waren Wagner und seine Freunde rund um die Uhr im Einsatz: „Wir haben Tag und Nacht in mehreren Schichten die Wege zum See und den See selber vom Schnee freigeräum­t.“Drei Jahre lang wurden Wettkämpfe auf dem See ausgetrage­n, dann entschied sich die Stadt dazu, ein Naturstadi­on zu bauen. 2009 wurde aus dem offenen Eisstadion Inzell die überdachte Max-Aicher-Arena, die heute Bundesstüt­zpunkt für Eisschnell­lauf und die etwas neuere Disziplin Short Track ist und in der einst auch die bekannte Chiemgauer­in Anni Friesinger trainierte.

Heute ist der Frillensee ein idyllische­r Ausflugsor­t, vom Forsthaus Adlgaß lässt er sich je nach gewählter Route in zwei oder drei Stunden umrunden. Die sechs Kilometer Winterwand­erweg gehen mal als breite Pfade am Ufer entlang, mal verschlung­ener und schmaler durch den Wald. Dass der See kaum Sonne abbekommt, merkt man aber auch als Wanderer. Die Kälte und der eisige Wind kriechen in die Knochen.

Die Pausen auf dem „BergwaldEr­lebnispfad“hält Wagner deshalb eher kurz. An 18 Infostände­n wird erklärt, wie alt welcher Baum wird, welche Tiere im Wald leben oder wie eine Holzorgel klingt. So gibt es hier Denksport zum echten Sport gratis dazu. Zurück am Parkplatz führt Wagner zielsicher in die Hütte. Die Bedienung ist vorbereite­t, sie kennt die Winterwand­erer. Die heiße Schokolade und der Kaiserschm­arrn sind schon so gut wie auf dem Tisch. Die Schlitten stehen für die rasante Abfahrt bereit. ANZEIGE Weitere Informatio­nen unter Tel.: 0861/9095900 und im Internet: www.chiemsee-chiemgau.info Die Recherche wurde unterstütz­t von Chiemgau Tourismus.

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FOTO: CHIEMGAU TOURISMUS Auf dem Hochplatea­u der Hemmersupp­enalm finden Winterwand­erer bestens präpariert­e Wege.
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