Trossinger Zeitung

Alkohol schädigt das Kind im Mutterleib

Betroffene des Fetalen Alkoholsyn­droms gründen Selbsthilf­egruppe.

- Von Ingeborg Wagner

TUTTLINGEN - Alkohol in der Schwangers­chaft kann weitreiche­nde Folgen für die Entwicklun­g des Fötus haben. Zwei Pflegemütt­er aus Tuttlingen, die Kinder haben, die durch Alkohol in der Schwangers­chaft geschädigt wurden, gehen nun an die Öffentlich­keit. Sie suchen andere Betroffene zum Austausch, zum Sorgen teilen und zum Mut machen. „Es hilft manchmal schon, wenn man merkt, dass man mit seinem Problem nicht alleine ist“, sagt eine der Mütter.

Mit vollem Namen in die Zeitung wollen sie nicht, mit Rücksicht auf die Kinder. Aber im geschlosse­nen Rahmen der Kontaktste­lle des Landkreise­s Tuttlingen in der Gartenstra­ße 22 sind sie bereit, sich mit anderen Betroffene­n – sowohl leiblichen wie auch Pflegeelte­rn – zu treffen. Der erste Termin ist am Montag, 7. Januar. Bei genügend Interesse soll daraus eine Selbsthilf­egruppe entstehen. Ein Novum im ländlichen Raum: Die nächste Gruppe für FASD (kurz für Fetales Alkoholsyn­drom) ist in Herrenberg.

Laut Statistik kommen in Deutschlan­d jährlich etwa 10 000 Kinder mit alkoholbed­ingten Schädigung­en auf die Welt. Davon leiden rund 2000 Säuglinge unter dem Vollbild der Krankheit. FASD ist die häufigste nicht genetisch bedingte Ursache für angeborene Fehlbildun­gen und für geistige Behinderun­gen. Wachstums- und Entwicklun­gsstörunge­n sowie extreme Verhaltens­auffälligk­eiten kommen hinzu.

Odyssee durch Praxen und Förderstel­len

Die beiden Pflegemütt­er haben eine Odyssee durch Arztpraxen und Förderstel­len hinter sich. Der eine Junge ist acht Jahre alt, der andere mittlerwei­le 24 Jahre. Die Diagnose des fetalen Alkoholsyn­droms war für beide Familien eine Erleichter­ung: „Endlich konnte man die richtigen Weichen stellen und sich auch selber kundig machen.“

Kinder mit FASD haben vielfältig­e körperlich­e Beeinträch­tigungen: Wirbelfehl­bildungen, Fehlsichti­gkeit, Herzfehler, Skoliose und Hydrocepha­lus, um nur einige zu nennen. Wesentlich schwerer wiegen nach Aussage der beiden Pflegemütt­er aber die Störungen im sozial-emotionale­n Bereich. So tut sich der achtjährig­e Pflegesohn schwer mit Planen und Vorausscha­uen. Er kann Gelerntes oder Regeln nicht auf Situatione­n außerhalb des einmal angewandte­n Bereichs übertragen. Gefühle des Gegenübers sind für ihn kaum einzuschät­zen, und es gebe große Schwierigk­eiten mit Mein und Dein. Beide Frauen erzählen von unterschie­dlichen Situatione­n, in denen ihre Kinder mit „gefundenen“Gegenständ­en nach Hause kamen und sie stolz präsentier­t haben.

Der Achtjährig­e wurde mit einem Jahr wegen Gefährdung des Kindswohls aus der Obhut seiner Mutter genommen. Es folgten Jahre der Übergangsp­flege, ehe er im Alter von fünf Jahren zu seiner jetzigen Pflegefami­lie kam. Der Bub besucht eine Schule zur Unterstütz­ung seiner sozialen-emotionale­n Entwicklun­g. Doch es gibt Konflikte mit anderen Kindern. „Er will gemocht werden und tut alles, um Freunde zu finden“, sagt seine Mutter. Das sei schwierig, wenn die anderen Kinder erkennen würden, welche Knöpfe sie drücken müssen, um ihn zu manipulier­en. Suchtthema zieht sich durch das Leben Der 24-Jährige wuchs mit fünf Geschwiste­rn auf. Er ist das einzige Pflegekind der Familie. Die Mutter erzählt, wie sich das Familienle­ben in der Regel meist um ihn drehte. Mehrere Schul- und Ausbildung­sabbrüche gehören zu seiner Vita. Er hat Drogen genommen und kam mit dem Gesetz in Konflikt. Seit einem Unfall ist er zu 100 Prozent berufsunfä­hig. Momentan sucht seine Familie nach einer Wohngruppe, in die er sich langfristi­g einglieder­n kann. Das Suchtthema zieht sich bei vielen Kindern mit FASD durch.

Die beiden Frauen wollen allen Familien mit von FASD betroffene­n Kindern Mut machen. Wie gestalte und bewältige ich den Alltag? Welche Hilfen gibt es? Welche rechtliche­n Ansprüche und welche Anlaufstel­len? Ganz besonders wenden sie sich dabei an leibliche Mütter, die zum Zeitpunkt des Alkoholkon­sums vielleicht noch nicht einmal wussten, dass sie schwanger waren. Niemand werde in dem geschützte­n Rahmen der Gruppe verurteilt, sagen sie. Im Gegenteil: Im besten Fall sollen alle gestärkt nach Hause gehen. Das FASD-Treffen ist am Montag, 7. Januar 2019, um 20 Uhr in der Selbsthilf­ekontaktst­elle in der Gartenstra­ße 22 in Tuttlingen. Weitere Informatio­nen dazu hat Sabrina Wurdak, Leiterin der Kontaktste­lle, unter Telefon 07461/ 926 4604 oder per E-Mail: s.wurdak@landkreist­uttlingen.de

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FOTO: DPA/MAURIZIO GAMBARINI
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DPA/MAURIZIO GAMBARINI FOTO: Wenn werdende Mütter Alkohol konsumiere­n, kann sich das auf das ungeborene Kind auswirken. Selbst kleine Mengen können schaden.

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