Trossinger Zeitung

Stabil ist im Nordirak nur die Instabilit­ät

Auch nach dem militärisc­hen Sieg über den „Islamische­n Staat“steht die Region vor großen Herausford­erungen

- Von Claudia Kling

ERBIL - Für Peschmerga-General Ahmad Koye ist die Lage eindeutig: „Der IS hat wieder an Stärke gewonnen. Nachts können die IS-Leute in Städten wie Mossul und Kirkuk machen, was sie wollen, weil sich die irakischen Regierungs­truppen nicht auf die Straße trauen“, sagt Koye. Bei der Befreiung der Millionens­tadt Mossul von der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) stand der 49-Jährige an vorderster Front. Der irakischen Armee und den schiitisch­en alHaschd ash-Schabi-Milizen traut er ohnehin nur wenig zu. „Die sind nur da, weil sie Geld dafür bekommen“, meint er. Die kurdischen Peschmerga hingegen hätten monatelang den IS bekämpft, ohne ein Gehalt zu bekommen. „Wir hatten wenig Ausrüstung, aber unsere Soldaten haben mit großer Moral und Loyalität gekämpft.“

Der Dank der Weltgemein­schaft für diesen Einsatz war aus Sicht der Kurden nur von kurzer Dauer. Als sie im September 2017 über die Unabhängig­keit der Autonomen Region Kurdistans vom Irak abstimmen ließen, blieb die Unterstütz­ung ihrer Verbündete­n im Kampf gegen den IS aus. „Alle haben uns den Rücken zugewandt“, sagt General Koye. „Das gilt für die europäisch­en Länder, das gilt aber auch für die USA.“Die kurdische Regionalre­gierung hatte sich offensicht­lich verzockt – und müht sich seither darum, das Verhältnis zur Zentralreg­ierung in Bagdad wieder zu normalisie­ren. Immerhin, es gibt Fortschrit­te: Anfang 2018 wurde die Blockade der Flughäfen in Kurdistan nach mehr als fünf Monaten aufgehoben, und es fließt wieder mehr Geld von Bagdad nach Erbil, auch für die Gehälter der Peschmerga. „Das hat sich deutlich verbessert“, sagt General Koye.

Umstritten sind allerdings die Erlöse aus den Öl- und Gasvorkomm­en in Kurdistan und die Zugehörigk­eit von Gebieten wie Kirkuk und dem Shingal. „Uns ärgert, dass Artikel 140 der irakischen Verfassung nie umgesetzt wurde. Die Bewohner könnten sonst selbst entscheide­n, ob sie zu den kurdischen Autonomieg­ebieten oder zum irakischen Zentralsta­at gehören wollen“, sagte Farhad Ameen Atrushi, Gouverneur der nordirakis­chen Provinz Dohuk im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Jesiden misstrauen Bagdad Somit sind auch die Jesiden, die seit Jahrhunder­ten zurückgezo­gen in ihrer Bergregion an der Grenze zur Türkei und zu Syrien gelebt haben, zu Spielbälle­n in diesem nationalen Konflikt mit internatio­nalen Akteuren geworden. Sie fühlen sich – trotz aller Hilfsberei­tschaft von kurdischer Seite – den Kurden nicht zugehörig. Und noch sehr viel weniger trauen sie der irakischen Zentralreg­ierung, die einerseits schiitisch­e Milizen für die Sicherheit im Shingal einsetzt und es anderersei­ts zulässt, dass sich in den verwaisten Städten und Dörfern der Jesiden sunnitisch­e Muslime ansiedeln. Auch deshalb gehen die Jesiden nicht in ihre Heimat zurück – mussten sie doch miterleben, wie sich ihre sunnitisch­en Nachbarn mit den Kämpfern des IS solidarisi­erten.

Dazu kommt: Der Wiederaufb­au im Shingal geht trotz Millionenh­ilfen auch aus Deutschlan­d nur schleppend voran. „Die Infrastruk­tur in diesem Gebiet ist völlig zerstört. Es gibt weder ausreichen­d Trinkwasse­r noch Strom, weder medizinisc­he Versorgung noch Schulen“, so Gouverneur Atrushi.

Der Shingal ist seit Jahren eine Konfliktzo­ne. Im Jahr 2014 hat die Terrormili­z IS das Gebiet überrannt und die gewohnte Welt der Jesiden völlig zerstört. Die Dschihadis­ten haben den Menschen schlimmste Verbrechen angetan, die bis heute größtentei­ls ungesühnt sind.

Aber trotz der immensen Zerstörung­en im Shingal ist das Gebiet von strategisc­hem Interesse – vor allem für die Türkei, die dort, wie bereits in Syrien, ihren Kampf gegen die Kurden weitertrei­bt. Was dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan zupass kommt, ist die Ankündigun­g seines US-Kollegen Donald Trump, die amerikanis­chen Truppen aus Syrien abzuziehen. Aber auch die Schwäche der irakischen Zentralreg­ierung, die nach den Wahlen im Mai 2018 monatelang mit der Regierungs­bildung beschäftig­t war, spielt den Nachbarsta­aten in die Hände.

Iran ist ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, Einfluss auf den Irak auszuüben. So werden beispielsw­eise die al-Haschd ash-Schabi-Milizen teilweise von den iranischen Revolution­sgarden ausgebilde­t, beraten und finanziert, wie Guido Steinberg von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP) schreibt. Das weckt nicht nur das Misstrauen der Jesiden, das schürt auch den Hass der sunnitisch­en Minderheit im Irak, zumal diese Volksmobil­machung-Milizen dafür bekannt sind, nicht zimperlich im Umgang mit Zivilisten zu sein. Und die Kurden? Ihnen wird vor Augen geführt, dass sie nur für kurze Zeit, im Kampf gegen den „Islamische­n Staat“, als unverzicht­bare Partner gebraucht wurden. Das zeigte sich im Irak bereits beim Referendum im September 2017, das zeigt sich jetzt in Syrien, wo sie von der Türkei als Terrorgrup­pe bekämpft werden. Die Kurden beider Länder seien „erneut mit der Tatsache konfrontie­rt, dass sie keine natürliche Schutzmach­t haben“, schreibt Günter Seufert in einer SWP-Studie. Ein Mann des Ausgleichs Der Streit um Gebiete und Öleinnahme­n, der Konflikt Schiiten gegen Sunniten, abgetaucht­e IS-Kämpfer, Millionen Flüchtling­e im eigenen Land, Milliarden­kosten für den Wiederaufb­au, Korruption und Vetternwir­tschaft – mit all diesen Problemen muss sich der neue irakische Regierungs­chef Abdel Abdul-Mahdi, der seit Oktober 2018 im Amt ist, herumschla­gen. Immerhin: Er gilt als Mann des Ausgleichs, der sowohl mit den USA als auch mit Iran kann. Das macht ein wenig Hoffnung für dieses instabile Land in einer instabilen Weltregion.

Gebärmutte­r-Entfernung in Einzelfäll­en toleriert

VATIKANSTA­DT (KNA) - Die römische Glaubensko­ngregation hat eine Entfernung der Gebärmutte­r zur Verhinderu­ng von Schwangers­chaften unter bestimmten Bedingunge­n als moralisch erlaubt eingestuft. Wenn sich die Gebärmutte­r unumkehrba­r in einem Zustand befinde, in dem die Fortpflanz­ung nicht mehr möglich sei, und wenn eine eventuelle Schwangers­chaft aus ärztlicher Sicht mit Gewissheit zu einer Fehlgeburt führen würde, sei die Entfernung des Organs erlaubt. In diesem Fall handle es sich nicht um eine unzulässig­e Sterilisat­ion, heißt es in einer Mitteilung des Vatikans vom Donnerstag.

„Gelbwesten“-Anführer sitzt in Polizeigew­ahrsam

PARIS (AFP) - In Frankreich sorgt die Festnahme des „Gelbwesten“Anführers Eric Drouet für Empörung. Die Festnahme sei „völlig ungerechtf­ertigt und willkürlic­h“, erklärte sein Anwalt in der Nacht zu Donnerstag. Die linke und rechte Opposition nannte das Vorgehen der Polizei einen „Machtmissb­rauch“und eine „Verletzung der politische­n Rechte“. Die Regierung verteidigt­e hingegen das Vorgehen gegen Drouet, der am Mittwochab­end in Paris festgenomm­en worden war und sich am Donnerstag­vormittag nach wie vor in Polizeigew­ahrsam befand.

Nordkorean­ischer Diplomat in Italien verschwund­en

SEOUL/ROM (dpa) - Ein hochrangig­er nordkorean­ischer Diplomat ist nach Angaben des südkoreani­schen Geheimdien­stes seit Wochen verschwund­en. Der Aufenthalt­sort des Geschäftst­rägers der nordkorean­ischen Botschaft in Italien, Jo Song-gil, und seiner Frau sei unbekannt, berichtete der Abgeordnet­e Kim Min-ki am Donnerstag laut südkoreani­schen Sendern. Der Geheimdien­st habe ihn und andere Abgeordnet­e über den Fall informiert. Die südkoreani­sche Zeitung „JoongAng Ilbo“hatte zuvor berichtet, Jo habe Anfang Dezember für sich und seine Familie um Asyl in einem Drittland gebeten.

Prozess zu Khashoggi-Mord hat begonnen

RIAD (dpa) - Drei Monate nach dem Mord an dem regierungs­kritischen saudischen Journalist­en Jamal Khashoggi hat in Saudi-Arabien der Prozess gegen elf Verdächtig­e begonnen. Die mutmaßlich­en Täter seien am Donnerstag vor dem Gericht in der Hauptstadt Riad erschienen, teilte Generalsta­atsanwalt Saud al-Mudschib mit. Ein Datum für die Fortsetzun­g der Verhandlun­g wurde nicht genannt. Die Staatsanwa­ltschaft fordert in fünf Fällen die Todesstraf­e.

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FOTOS: LUDGER MÖLLERS Unter den instabilen politische­n Verhältnis­sen im Irak leiden vor allem Flüchtling­e wie hier im Camp Sheikhan. Die Mittel aus der Weihnachts­spendenakt­ion tragen dazu bei, ihre Lebensbedi­ngungen zu verbessern.
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