Hintertupfing in der Walachei
umänien hat an Neujahr den EU-Ratsvorsitz übernommen. Damit rückt uns eine Region näher, die wir ansonsten nicht im Blickfeld haben – und die wegen dieser Distanz sogar sprichwörtlich geworden ist. So gilt bei uns die Walachei im Süden Rumäniens als Inbegriff einer abgelegenen, unwirtlichen Gegend. Wenn von jemandem gesagt wird, er wohne „irgendwo weit hinten in der Walachei“, so schwingen Mitleid und Geringschätzung mit. Damit sind wir bei dem kulturhistorisch sehr interessanten Thema, inwieweit bestimmte Orte – Länder, Regionen, Städte etc. – für Redensarten in unserer Sprache gesorgt haben und welche Assoziationen sie auslösen. Um bei dem Zitat mit der Walachei zu bleiben: Dessen despektierliche Note spricht durchaus für eine westeuropäische Überheblichkeit, die auch bei Rolf Waldvogel anderen Beispielen anklingt. So reagieren Polen sehr empfindlich, wenn man heute noch von polnischer Wirtschaft spricht und damit die angebliche chaotisch-ineffiziente Rückständigkeit unserer Nachbarn im Osten anprangert. Jener Kampfbegriff aus dem 18. Jahrhundert zur Demonstration der Überlegenheit des preußischen Systems sollte eigentlich ausgedient haben. Und ein ähnliches Phänomen haben wir bei den böhmischen Dörfern. Sie wurden bei uns sprichwörtlich, weil die Deutschen die böhmischen, in diesem Fall slawischen Namen von Ortschaften schwer aussprechen, geschweige denn verstehen konnten. Diese Redensart kam sogar schon vor 1650 auf – und ärgert Tschechen bis heute. Eher negativ belegt sind auch viele Redensarten zu Orten in westlichen Ländern – wenn die schönen Tage von Aranjuez vorüber sind oder etwas faul ist im Staate Dänemark, wenn jemand den Gang nach Canossa antreten muss oder einer hinter schwedischen Gardinen sitzt. Aber es fehlt auch nicht an positiven Gegenbeispielen: in arkadischen Gefilden lustwandeln, wie Gott in Frankreich leben, sein Herz in Heidelberg verlieren, Neapel sehen und sterben… Wobei der Tod hier ausnahmsweise mal als Glücksfall dargestellt wird: Wer die schönste Stadt der Welt erlebt hat, der kann getrost von hinnen scheiden. Wer sich mit solchen Fragen näher beschäftigen möchte, ist mit einem netten Büchlein aus dem Duden Verlag gut bedient. In „Ich kenn doch meine Pappenheimer“(144 Seiten, 10 Euro) nimmt sich der anerkannte Experte Rolf-Bernhard Essig sprichwörtlich gewordene Orte rund um den Globus vor – ob Athen und seine Eulen oder Leipzig und sein Allerlei, ob Köln und seine Heinzelmännchen oder Jericho und seine Posaunen. Langeweile kommt bei diesem ebenso landeskundlichen wie geschichtsträchtigen Parcours nicht auf, und die Sondierungen führen schließlich bis zum A… der Welt. Ihn hat schon Martin Luther bemüht. Die Überheblichkeit kennt übrigens auch heimische Ziele: Sagt man von jemandem, er komme aus Hintertupfing, so ist das auch nicht weit weg von der Walachei. Wenn Sie Anregungen zu Sprachthemen haben, schreiben Sie! Schwäbische Zeitung, Kulturredaktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg
r.waldvogel@schwaebische.de