Überwältigt, wie Bürger mitgezogen haben
Lothar Ulsamer spricht über die Entwicklung des Daimler Prüf- und Technologiezentrums
IMMENDINGEN – Von Beginn an hat Lothar Ulsamer zuerst als Leiter für kommunale und föderale Projekte, dann als Senior Expert die Entwicklung des Daimler Prüf- und Technologiezentrums begleitet. Nun ist er im Ruhestand. Zeit also, um mit unserer Redakteurin Linda Seiss ein Fazit zu ziehen, und in die Zukunft zu blicken. Herr Ulsamer, ein Blick zurück auf das „Immendingen-Jahrzehnt“, wie Sie es nennen: Erinnern Sie sich noch an die Anfänge, als Daimler auf der Suche nach einer geeigneten Fläche für das Prüf- und Technologiezentrum war? Ja, natürlich. Intern begann das Projekt 2008/2009. Da haben wir beschlossen, eine Fläche in BadenWürttemberg, in der Nähe von Sindelfingen, zu suchen. Die klare Ansage war, der Standort des Prüf- und Im Gegensatz zu anderen Kommunen war es überwältigend, wie die Bürger in allen Projektphasen mitgezogen haben. Die positive Grundeinstellung war in allen Bürgerversammlungen und bei den Runden Tischen durchgängig erkennbar. Was waren die ausschlaggebenden Kriterien, dass Sie und Daimler sich für Immendingen als Standort entschieden haben? Wir haben uns von Anfang an wohlgefühlt, aber das Gelände musste auch zu den technischen Anforderungen passen. Ein solches Vorhaben kann nicht im Dauerkonflikt realisiert werden, denn dies wünscht sich weder das Unternehmen, noch kann es Aktionären und Kunden zugemutet werden. Kommunikation war der Schlüssel zum Erfolg. Die Nähe zur Autobahn war ein wichtiges Argument für Immendingen. Das einzige Manko derzeit ist es, dass wir eine Ortsdurchfahrt passieren müssen. Aber ich bin optimistisch, dass die Ortsumfahrung in den nächsten Jahren Realität werden kann. Dann würden alle Kriterien passen, die wir ursprünglich aufgestellt hatten. Wie haben Sie diese Entwicklung erlebt? Was waren prägende Erlebnisse, von denen Sie auch Ihren Enkeln oder Urenkeln noch erzählen werden? Mit unseren Kindern und Enkeln waren wir schon auf dem Gelände, als es noch Baustelle war. Die waren ganz begeistert. ‚Mein Lollo hat eine Baustelle‘, war die Antwort, wenn man meinen jüngsten Enkel gefragt hat, was ich beruflich mache. Besonders interessant für mich waren auch die komplexen Naturschutzthemen. Das Projekt hätte nicht umgesetzt werden können, wenn wir nicht früh eine Basis für die konstruktiv-kritische Zusammenarbeit mit den Naturund Umweltschutzverbänden gefunden hätten. Natürlich begrüßen Naturschützer keine technischen Anlagen, die letztendlich auch zur Versiegelung von Boden führen. Doch sind wir zahlreiche Kompromisse eingegangen, um Brücken zwischen Natur und Technik zu bauen. Die offene Aufnahme durch die Bürgerschaft, die Dialogbereitschaft und intensive Zusammenarbeit mit den Behörden war prägend für dieses Projekt. Der Elan und die Begeis- terung haben auf allen Seiten dazu geführt, dass unglaublich engagiert gearbeitet wurde. Dies ist ein Beweis dafür, dass man auch in BadenWürttemberg solche Großprojekte im Dialog durchziehen kann. Welche Erinnerungen an Immendingen werden Sie besonders im Gedächtnis behalten? Ich kannte Immendingen schon lange vor unserem Projekt vom Wandern, doch in den zurückliegenden Jahren durfte ich die Gemeinde und ihre Bürgerschaft, aber auch die Natur nochmal besser kennenlernen. Die Donauversinkung und den Höwenegg möchte ich hervorheben. Nie vergessen werde ich aber auf jeden Fall die sehr freundliche Aufnahme, die meine Kollegen und ich selbst erleben durften. Ich fühlte mich gleich ein bisschen integriert, als eine Art Mitbürger auf Zeit. Welches waren besondere Herausforderungen, die Sie zu meistern hatten? Die besondere Herausforderung war, Technik und Natur so zu verbinden, dass es auch für Natur- und Umweltschutzverbände einen tragbaren Kompromiss ergibt. Das Prüf- und Technologiezentrum ist ein großer Eingriff, wobei wir von 520 Hektar Fläche nur rund 90 Hektar intensiv nutzen. Wir haben aber Ausgleichslösungen gefunden, die für Mensch und Natur positiv sind. Der Schutz der Magerwiesen, eine Wildtierpassage und der Waldumbau zur Vorbereitung des Gemeindewalds auf den Klimawandel möchte ich stellvertretend nennen. Auch die Beweidung geeigneter Flächen halte ich für sehr wichtig, und dies war auch ein erklärter Wunsch der Naturschützer. Nun sind Sie im Ruhestand, bleiben Sie Daimler trotzdem noch erhalten? Ich bin quasi ein Jahr überfällig, als Senior Expert mit 66. Aber ich wollte das Projekt noch abschließen, das mir sehr ans Herz gewachsen ist. Ich komme ja eher von der schreibenden Zunft und habe beruflich immer Politik, Medien und Gesellschaft verbunden. Daher beschäftige ich mich seit vergangenem Jahr mit einem politischen Blog im Internet. Insofern bin ich ausgelastet, aber natürlich werde ich auch immer wieder in Immendingen vorbeischauen. Wie denken Sie, wird sich Daimler, aber auch der Standort Immendingen, in den kommenden Jahren weiterentwickeln? Wir hatten zugesagt, in Immendingen 300 Mitarbeiter zu beschäftigen. Ich gehe davon aus, dass dieses Ziel recht schnell erreicht werden kann: Die Module sind weitestgehend fertiggestellt, derzeit entstehen die notwendigen Gebäude im Technologiezentrum, denn die Entwickler brauchen auch optimale Arbeitsbedingungen. Im gegenüberliegenden kommunalen Gewerbegebiet siedeln sich bereits Dienstleister an, die für uns tätig sind. Ich bin mir sicher, dass sich der Standort Immendingen unter der Leitung meines geschätzten Kollegen Reiner Imdahl gut entwickeln wird. In Immendingen werden meine Kollegen einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung innovativer Verbrennungsoder Hybridantriebe leisten. Gleiches gilt für Elektrofahrzeuge mit besonders leistungsfähigen Batterien oder Brennstoffzellen. Ebenso stehen wichtige Module für die Entwicklung von Fahrerassistenzsystemen bis zum autonomen Fahren zur Verfügung, beispielsweise die Bertha-Fläche. Hier gilt mein Dank auch dem Gemeinderat, der die Benennung zweier Zufahrtsstraßen nach Bertha Benz und Gottlieb Daimler ermöglichte – somit sind unsere badischen und württembergischen Wurzeln in Immendingen vertreten.