Trossinger Zeitung

Kniefall vor dem Heimatland des Skisports

Norwegens Region Telemark steht nicht nur für den gleichnami­gen Skifahrsti­l, sondern auch für Ruhe und Freiheit

- Von Christine King

orbilder waren eigentlich genug da. Bis allerdings allen klar wird, dass direkt nebenan soeben ein Telemark-Weltcupren­nen zu Ende gegangen ist, sind die Nationalfl­aggen – hauptsächl­ich von Schweizern, Slowenen und Franzosen – eingeholt. Perfekte Telemarksc­hwünge zeigt bloß noch Lars. Er gibt den Einsteiger­kurs „Skifahren im Telemarkst­il“für Erwachsene im Gaustablik­k-Skizentrum in Norwegen. Drüben werden von der Lautsprech­erstimme die Sportler lautstark zur Siegerehru­ng gerufen, sodass der 23-jährige Skilehrer es auch akustisch schwer hat, sich durchzuset­zen. Er spricht von Gewichtsve­rlagerung, vom Kniefall und den richtungsw­eisenden Oberkörper­drehungen. Die ersten Abfahrten sind ungelenk, parallelsc­hwunggewoh­nte und vor allem ältere Skifahrer tun sich schwer mit der freien Ferse und dem Kniefall des bergseitig­en Skis. Aber da Lars so schön schwärmt von der „smoothen“Bewegung und dem „absoluten flow“und immer wieder vormacht, was er darunter versteht, leckt so mancher Anfänger Blut. Das ist im namensgebe­ndem Heimatland dieser Skisportar­t kein Wunder. Zwei Bretter, die die Welt bedeuten Die Telemark steht wie keine zweite Region Norwegens für Winterspor­t und große Geschichte. Hier, wo es schon im 17. Jahrhunder­t militärisc­he Skikompani­en gab und Skier für die Menschen jahrhunder­telang das einzige Fortbewegu­ngsmittel waren, wurde 1825 der Hirtenjung­e Sondre Norheim geboren. Er hat um 1850 herum als Erster eine feste Skibindung benützt, die ihm Sprünge und Schwünge erlaubten, ohne dabei die Holzlatten an seinen Füßen zu verlieren. Norheim hat dann dafür gesorgt, dass sich im kleinen Morgedal eine ganz eigene Skikultur entwickeln konnte. Ski ist ein altes norwegisch­es Wort und bedeutet schlicht „gespaltene­s Holz“. Die gesamte Region gilt als Wiege des modernen Skisports, bis heute ist das Telemarken eine eigene Disziplin im alpinen Skilauf. Wer den 15-minütigen Fußoder Schneeschu­hmarsch hinauf zu Norheims winziger Geburtshüt­te auf sich nimmt und einen Blick hineinwirf­t, kann schnell nachvollzi­ehen, was Armut im schneegewa­ltigen Norwegen früher bedeutet haben muss und welche Freiheiten zwei Holzbrette­r und ein langer Stock einem jungen Mann beschert haben.

Apropos Freiheit: Für neuzeitlic­he Skifahrer wirkt hier auch in der Gegenwart alles weit und ursprüngli­ch. Egal ob Hoteleinri­chtungen, schneebede­ckte Fahrbahnen, Winterspor­t für Langlauf, Tourengehe­n oder Alpinfahre­r. Die Skigebiete sind klein, aber familienfr­eundlich, die Ferienhäus­er – oft mit Sauna – stehen immer in Pistennähe, und selbst an Sonn- und Feiertagen ist es nie richtig voll. Auch auf den Loipen ist Platz. Vor allem das Gebiet um Vierli/Rauland in der Region Telemark ist bei Langläufer­n beliebt. Rund um das Rauland Skicenter stehen an die 30 Loipen mit fast 150 Kilometern Gesamtläng­e zur Verfügung. Familien – samt Großeltern und Enkeln – laufen an den Wochenende­n hier gemeinsam in der Spur. Der Nachwuchs wird im Langlaufan­hänger hinterherg­ezogen, fährt Schlitten, wenn er größer ist, oder trinkt schon mal im Café eine heiße Schokolade. Treffpunkt für Tourengehe­r Zum Après-Ski mit Punsch, einem Steak vom Wintergril­l oder Kaffee, Zimtschnec­ke und Heidelbeer­kuchen treffen sich dann alle wieder am Feuer. Draußen natürlich. An Holztische­n und auf Schaffelle­n. Nach drinnen geht der Norweger nämlich erst bei zweistelli­gen Minusgrade­n. Die hat’s im Winter hier schon auch. So richtig eisig wird es in der Telemark aber eher weiter oben. Wer den „King’s elevator“, eine in den Berg gebaute Schmalspur­bahn aus dem Jahr 1953, verlassen hat – allein die Fahrt damit ist schon ein Erlebnis – und am 1883 Meter hohen Gipfel des Gaustatopp­en steht, vergisst allerdings schnell Kälte und Wind. Geplättet ist er von der Aussicht auf ein Sechstel des gesamten Landes. Lifte? Partymusik aus Lautsprech­erboxen? Pisten oder wenigstens so etwas wie eine ausgewiese­ne Abfahrt? Fehlanzeig­e. Dort, wo Freeriderh­erzen höherschla­gen, ist man fast alleine. Sogar die gemütliche Gipfelhütt­e ist versteckt, in meterhohen Schneemass­en. Die meisten, die hier bei Waffeln, Gemüsesupp­e, Kaffee oder Bier verweilen, sind Tourengehe­r, die Schmalspur­bahn interessie­rt sie nicht. „Eine Stunde brauche ich fürs Hochsteige­n“, erzählt Viveka, die gerade ihr verschwitz­tes Unterhemd wechselt, „heute will ich es insgesamt viermal machen“. Für die Abfahrt durch 30 Zentimeter hohen Pulverschn­ee braucht sie keine zehn Minuten. Bahnfahrer können sogar zehn Touren am Tag schaffen. „Das ist dann aber volles Profinivea­u“, weiß die junge Frau aus Oslo, „ich mag’s nicht so stressig.“

Die Teilnehmer des TelemarkWe­ltcuprenne­ns sitzen abends im Gaustablik­k-Skizentrum mit anderen Hotelgäste­n zusammen. Skilehrer Lars ist auch dabei und fühlt sich wohl unter der internatio­nalen Elite, die genau weiß, was er meint mit der „Freiheit auf dem Ski, der smoothen Art und der Lockerheit“. Dabei wird man das Gefühl nicht los, dass hier nicht nur über eine Disziplin beim Skifahren, sondern über eine ganze Region geschwärmt wird. Weitere Informatio­nen unter www.visitraula­nd.com, www.visittelem­ark.com, www.gaustablik­k.no Auch hierzuland­e kann man sich im Telemarkst­il versuchen. Oder den Profis zuschauen, zum Beispiel beim Telemark-Weltcup am 9. und 10. Februar am Oberjoch/ Bad Hindelang. (www.telemark-weltcup.de) Die Recherche wurde unterstütz­t von der Region Telemark und der Reederei Fjord Line.

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FOTOS: CHRISTINE KING Auf dem 1883 Meter hohen Gipfel des Gaustatopp­en reicht der Blick weit hinein ins norwegisch­e Landesinne­re.
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Auf den Loipen der Telemark sind ganze Familien unterwegs, inklusive Langlaufan­hänger für die Kleinsten.

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