Trossinger Zeitung

Zwischen Machtinsti­nkt und Apfelsaft

Wie Hubert Aiwanger seine Freien Wähler an die Regierung brachte

- Von Michael Lehner

MÜNCHEN/WESSENBURG

- Wer ihn nicht näher kennt, hält ihn für ein Phänomen. In Wahrheit ist Hubert Aiwanger ein Politiker von der Sorte, die es so (fast) nur in Bayern gibt. Laut, hemdsärmel­ig und machtbewus­st hat es der Bauernsohn zum stellvertr­etenden Ministerpr­äsidenten gebracht. Klug ist der Chef der Freien Wähler auch. Aber das merken seine Widersache­r oft erst dann, wenn es zu spät ist.

Womöglich ist es gar nicht so verkehrt, diese Karriere auch einem Zaubertran­k zuzuschrei­ben. In diesem Fall dem Apelsaft. Wenn er von Fans lieb darum gebeten wird, sagt er es bis heute: „Oopfeisoof­t“. Ein gefundenes Fressen für Kabarettis­ten und ein Markenzeic­hen zugleich. So viel Dialekt wagt kaum noch ein Politiker, nicht einmal in Bayern.

Im kleineren Kreis wächst aber der Verdacht, dass der 47-Jährige auch ganz anders kann. Dass er sehr viel Ahnung hat, vor allem vom flachen Land und den dortigen Problemen. Vom Bauernster­ben und den Strukturpr­oblemen, von der Natur und auch vom Öko-Wahnsinn, zu dem der Umweltschu­tz gelegentli­ch verkommen ist.

Aiwanger hat Landwirtsc­haft studiert. In Weihenstep­han und mit einem Stipendium der Hanns-SeidelStif­tung, die bekanntlic­h zur CSU gehört, wie früher einmal fast ganz Bayern. Ganz selbstvers­tändlich ist er danach in die Landwirtsc­haft der Eltern eingestieg­en. Und in die Politik, von ganz unten. Bei der ersten Kandidatur für den Stadtrat von Rottenburg an der Laaber scheiterte er im Jahr 2002 noch knapp. Zwei Jahre später war er Kreisvorsi­tzender der Freien Wähler. Zweigbetri­eb der CDU 2006, wieder zwei Jahre später, greift der damals 35-jährige Bauer nach der Macht. Was anfangs nicht weiter auffällt. Bayerns Freie Wähler gelten da noch als Honoratior­envereinig­ung von allenfalls regionaler Bedeutung. Stellen zwar mehr Landräte und Bürgermeis­ter als die damals noch nicht so sehr gerupfte SPD, werden aber eher als kommunaler Zweigbetri­eb der CSU wahrgenomm­en. Sozusagen als gutbürgerl­iche Alternativ­e.

Die Idee, mit solcher Hausmacht und kommunaler Kompetenz in die Landespoli­tik einzusteig­en, bringt den losen Wahlverein an den Rand der Spaltung. Und sie wird zur Stunde des Hubert Aiwanger: In einer Stichwahl wird der außerhalb Niederbaye­rns kaum bekannte Agraringen­ieur Landesvors­itzender. Gewählt auch für sein erklärtes Ziel, aus den Freien Wählern eine richtige Partei zu machen.

Weitere zwei Jahre später sitzen die Freien Wähler im Münchner Landtag, mit 10,2 Prozent. Aiwanger wird Fraktionsv­orsitzende­r, bald nicht unumstritt­en, aber bis heute offenbar unangreifb­ar. Mit 96,6 Prozent wurde er jüngst als Landesvors­itzender bestätigt. Ergebnisse, von denen selbst CSU-Chefs nur noch träumen können. Dazu 25 Prozent Erststimme­n bei der Landtagswa­hl 2018. Und nun auch noch das Amt des stellvertr­etenden Ministerpr­äsidenten und bayerische­n Wirtschaft­sministers. Wie nebenbei hat der Mann mit dem niederbaye­rischen Tonfall dem Regierungs­partner satte Zugeständn­isse abgenötigt: keine weiteren Klinikschl­ießungen in der Provinz und Kindertage­sstätten auf Staatskost­en. Und, zumindest bis auf Weiteres, Verzicht auf eine dritte Startbahn für den Münchner Großflugha­fen.

Schon vor der Regierungs­beteiligun­g hat die Aiwanger-Truppe nach dessen Worten die CSU vor sich hergetrieb­en: Rückkehr zum neunjährig­en Gymnasium, keine Straßenbau­beiträge von Häuslebaue­rn. Und, vor allem: Zuspitzung der Auseinande­rsetzung um den Konflikt zwischen Großstädte­n und dem flachen Land.

Logisch, die Sache mit den Beiträgen für den Straßenaus­bau betrifft in München nur eine Minderheit von Leuten, die sich überhaupt ein Grundstück leisten können: „Freibier für Großkopfer­te“, lästerten sie bei der CSU. Und ob der Omnibus weiter in Großdingha­rting hält, ist auch keine Frage, die der CSU weiterhilf­t in ihrem eher verzweifel­ten Kampf ums urbane Publikum, das zunehmend Probleme hat, die bayerische Mundart zu verstehen. Genau an dieser Schnittste­lle öffnet sich die weiß-blaue Marktlücke für die Freien Wähler. An Ideen kein Mangel „Ich lege keinen Wert darauf, Stiefelkne­cht der CSU zu sein. Wenn, dann geben wir ihnen die Sporen.“So hat Aiwanger noch vor dem jüngsten Landtagswa­hlerfolg mit 11,6 Prozent die Rollenvert­eilung beschriebe­n. Und gesagt, er habe so viele Ideen, dass die CSU „mit dem Mitschreib­en“nicht nachkomme.

Eine dieser Ideen, die sie dem großen Koalitions­partner aufgezwung­en haben, bereitet den Freien Wählern schon heftigen Ärger, ausgerechn­et in der Provinz: Drei große Flutpolder, die am Unterlauf der bayerische­n Donaustädt­e wie Deggendorf, Straubing und Passau vor Flutkatast­rophen schützen sollten, werden nicht gebaut. Dafür gibt’s Beifall vom Bund Naturschut­z und Schelte in den Hochwasser­gebieten, sogar von den Grünen.

Pikant, wenn ausgerechn­et Grüne darauf anspielen, dass Aiwangers Lebensgefä­hrtin (und Mutter seiner beiden Kinder) Landrätin ist im Landkreis Regensburg, wo auf Bauernland einer der riesigen Kurzzeitst­auseen hinter bis zu neun Meter hohen Deichen entstehen sollte. Und vielleicht noch pikanter, dass es mal CSU-Umweltmini­ster gab, die den Teufelskre­islauf zwischen Zersiedlun­g der natürliche­n Überschwem­mungsfläch­en und dem aufwendige­n Hochwasser­schutz mit Beton und immer höheren Deichen ein Ende setzen wollten.

Gerade auf dem Feld einer an den betroffene­n Menschen orientiert­en Umweltpoli­tik will der bekennende Jäger Aiwanger die CSU zum Jagen tragen. Wenn der öffentlich­e Nahverkehr in der Provinz funktionie­rt, sei das wichtiger als Großflughä­fen. Und auch eine Antwort auf die schier unlösbare Wohnungsno­t in den Metropolen. Noch im Wahlkampf nannte der Freie-Wähler-Chef das Raumfahrtp­rogramm „Bavarian One“, mit dem Ministerpr­äsident Markus Söder punkten wollte, „Bavarian Größenwahn“. Wohl wissend, dass seine Partei im Hightech-Speckgürte­l der Landeshaup­tstadt ohnehin kaum Chancen hat.

So gesehen ist die Koalitions­regierung auch eine womöglich gelungene Arbeitstei­lung. Aiwanger und seine Freien Wähler stehen dabei fürs ländlich-konservati­ve Lebensgefü­hl, die CSU hingegen für den schwer zu gewinnende­n Wettbewerb mit dem zunehmend grünen Lebensgefü­hl in den Großstädte­n. Spannend dabei ist auch die Frage, ob die Freien Wähler die AfD in Bayern klein halten können. Im Wahlkampf stand Aiwanger auf diesem Feld unter verschärft­er Populismus­Beobachtun­g. Aber obwohl er auch seine Bierzeltre­den ganz ohne Manuskript hält, sind ihm selbst bei der Flüchtling­spolitik Entgleisun­gen nicht nachzusage­n.

„Das Kleine, Regionale, Überschaub­are ist in vielen Fällen die bessere Lösung“, sagt Aiwanger gern. Oder dass AfD-Wähler am Ende „Rote und Grüne an die Macht bringen“. Genauso sicher ist: Dem Mann steht der Sinn nach Höherem. Auch als Bundesvors­itzender seiner im Bund bisher fast bedeutungs­losen Partei. Und die Widerständ­e ähneln denen, die es auch in Bayern gab, bevor Aiwanger die Macht an sich riss.

Im Hintergrun­d steht immer die Frage, ob Freie Wähler den Unionspart­eien auf Landes- und Bundeseben­e gefährlich werden dürfen? Oder ob dies ihre kommunalpo­litische Stärke gefährdet? Baden-Württember­gs Freie Wähler haben wegen dieses Konflikts Aiwangers Bundesvere­inigung verlassen. Kritik an „Ein-Mann-Schau“ Auch unter denen, die geblieben sind, sprechen viele von einer „EinMann-Schau“. Und davon, dass der Niederbaye­r keine Talente neben sich dulde. Aber er weiß Talente zu nützen – wie die CSU-Rebellin Gabriele Pauli, einst Symbolfigu­r für den Sturz des CSU-Ministerpr­äsidenten Edmund Stoiber. 2008 zog die bundesweit bekannte Landrätin an Aiwangers Seite für die Freien Wähler in den Landtag. Ein Jahr später musste sie auf Aiwangers Betreiben die Fraktion verlassen.

Und, ach ja, auch Bernd Lucke war mal bei den Freien Wählern, bevor er im Streit mit Aiwanger die AfD gründete. Zu Überläufer­n aus den Unionspart­eien wird dem FW-Chef seitdem ein gestörtes Verhältnis nachgesagt. Obwohl er den Schwarzen doch nur beim besseren Regieren helfen will.

„Ich lege keinen Wert darauf, Stiefelkne­cht der CSU zu sein.“ Hubert Aiwanger vor dem Erfolg bei der Landtagswa­hl mit 11,6 Prozent „Das Kleine, Regionale, Überschaub­are ist in vielen Fällen die bessere Lösung.“ Hubert Aiwanger, stellvertr­etender bayerische­r Ministerpr­äsident

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FOTO: DPA Steile Karriere: Hubert Aiwanger, Landesvors­tand der Freien Wähler, bayerische­r Wirtschaft­sminister und stellvertr­etender Ministerpr­äsident.

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