Trossinger Zeitung

Der Streik kommt

Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r handeln 2019 die Gehälter für rund 7,3 Millionen Beschäftig­te neu aus

- Von Christian Ebner

FRANKFURT/BERLIN (dpa) - Im Jahr 2019 werden die Gehälter und Arbeitsbed­ingungen für rund 7,3 Millionen Beschäftig­te neu ausgehande­lt. Das sind nach Erhebungen der gewerkscha­ftsnahen Hans-BöcklerSti­ftung deutlich weniger als im Vorjahr mit 9,7 Millionen, ohne Arbeitskäm­pfe wird es aber dennoch kaum abgehen. Wegen noch ungelöster Tarifstrei­ts aus dem Vorjahr wird es voraussich­tlich bereits im Januar an den Flughäfen zu Streiks mit größeren Auswirkung­en für Reisende kommen.

Gestaffelt nach dem Ende der unterschie­dlich langen Weihnachts­ferien in den Bundesländ­ern drohen Streiks der Personen- und Gepäckkont­rolleure, die schon in der Vergangenh­eit wiederholt den Luftverkeh­r stark behindert haben. Die Gewerkscha­ft Verdi verlangt mit 20 Euro Stundenloh­n deutlich höhere und bundesweit einheitlic­he Gehälter, ist mit den Arbeitgebe­rn bislang aber nicht zu einem Ergebnis gekommen. Die wollen die noch sehr unterschie­dlichen Löhne in Ost und West über einen Fünfjahres­zeitraum anpassen. Verhandelt wird erst wieder am 23. Januar in Berlin, nachdem die Friedenspf­licht zur Jahreswend­e ausgelaufe­n ist. Die Folge: An „vielen Flughäfen“wird es laut Verdi-Drohung nach Ferienende Warnstreik­s geben. An den Berliner Flughäfen kündigte die Gewerkscha­ft bereits für Montag Ausstände an.

Noch einen Monat länger herrscht Frieden in der Stahlindus­trie, für deren rund 93 000 Beschäftig­te die IG Metall nicht nur 6,0 Prozent mehr Geld verlangt hat. Dazu kommt ein tarifdynam­isches Urlaubsgel­d von 1800 Euro, das die Beschäftig­ten wahlweise auch als freie Zeit von etwa sechs zusätzlich­en Urlaubstag­en in Anspruch nehmen könnten. Die ersten Verhandlun­gen sind im Westen für den 10. Januar angesetzt, für den Osten wird vom 28. Januar an verhandelt.

Mit der Forderung nach einer Freizeitop­tion liegen die Stahlkoche­r voll in einem Trend, den die Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft (EVG) bereits in der Tarifrunde 2016 eröffnet hat. Aus Sicht der Arbeitgebe­r droht eine Verschärfu­ng des Fachkräfte­mangels. Auch bei den neuerliche­n Verhandlun­gen mit der Deutschen Bahn AG hat die EVG im Dezember eine Wahloption festgeschr­ieben: Die Beschäftig­ten können von 2021 an zwischen einer kürzeren Wochenarbe­itszeit, sechs zusätzlich­en freien Tagen oder der zweiten Tarifstufe von 2,6 Prozent mehr Geld wählen. Die kleinere Bahngewerk­schaft GDL hat das Modell am Freitag übernommen, so dass Bahn und ihre Kunden nun bis einschließ­lich Februar 2021 keine Streiks des Personals mehr fürchten müssen.

Bei der einst streikgepr­üften Lufthansa herrscht ebenfalls weiterhin Tariffried­en. Die Verträge der Piloten von der Vereinigun­g Cockpit (VC) haben beim Mutterkonz­ern eine Laufzeit bis 2022 und bei der Tochter Eurowings bis 2021. Mitte 2019 läuft der Tarifvertr­ag der Lufthansa-Flugbeglei­ter aus, deren Gewerkscha­ft Ufo sich derzeit aber mit internen Machtkämpf­en selbst geschwächt hat. Beim Billigflie­ger Ryanair haben Verdi für die Flugbeglei­ter und die VC für die Piloten zumindest Eckpunkte festgezurr­t, die nun in konkrete, längerfris­tige Tarifvertr­äge ausgearbei­tet werden.

Die bislang bekannten Lohnforder­ungen für das neue Jahr liegen zwischen 5,5 Prozent (Textil) und 6,5 Prozent (Nahrung-Genuss-Gaststätte­n). In der jüngeren Vergangenh­eit haben die Gewerkscha­ften ihre mit der gestiegene­n Inflation begründete­n Forderunge­n oft durchsetze­n können, wie Hagen Lesch vom arbeitgebe­rnahen Institut der Wirtschaft (IW) analysiert. Mittelfris­tig könnten die hochgeschr­aubten Tarifforde­rungen jedoch zu Problemen führen, warnt Lesch. Denn die Konjunktur schwäche sich ab.

Trotz sinkender Tarifbindu­ng wird immer noch die Mehrzahl der Arbeitsver­hältnisse von den Abkommen zwischen Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rn beeinfluss­t. Dem IABBetrieb­spanel 2017 zufolge arbeiten 55 Prozent in Betrieben, die an Flächenode­r Haustarife gebunden sind. Bei knapp der Hälfte der übrigen Beschäftig­ten orientiert sich das Unternehme­n an bestehende­n Tarifvertr­ägen, so dass unter dem Strich mindestens drei von vier Beschäftig­ten in Deutschlan­d nach Tarif oder nahe dran bezahlt werden. Viele Beschäftig­te im Handel Für besonders viele Menschen verhandelt in diesem Jahr die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi, die neben dem Öffentlich­en Dienst der Länder in zahlreiche­n regionalen Runden Beschäftig­te im Einzelhand­el sowie im Groß- und Außenhande­l vertritt. Allein bei den Ländern geht es um 2,3 Millionen Beschäftig­te, weil die angestrebt­e Lösung für die Angestellt­en im Nachhinein stets auf die 1,2 Millionen Beamten von Ländern und Kommunen übertragen wird sowie darüber hinaus auch auf etwa eine Million Pensionäre. Die Tarifrunde­n im Handel betreffen laut Böckler-Zählung fast 2,5 Millionen Beschäftig­te. Nahezu eine Million Beschäftig­te sind in der Branche der Zeitarbeit vertreten, für die eine Tarifgemei­nschaft der DGB-Gewerkscha­ften gegen Jahresende mit den Arbeitgebe­rverbänden BAP und iGZ verhandelt.

Im Tarifjahr 2019 fehlen die industriel­len Schwergewi­chte Bau sowie Metall und Elektro. Auch in den deutschen Kernindust­rien wie Auto oder Maschinenb­au hat die IG Metall erste Möglichkei­ten zu individuel­ler Arbeitszei­tverkürzun­g verankert und will sie im Tarifjahr 2020 weiterverf­olgen. Vorher hat die IG BCE das Thema auf die Agenda ihrer Verhandlun­gen für die Chemie-Beschäftig­ten gesetzt, deren Verträge im Schlussqua­rtal 2019 auslaufen.

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FOTO: IMAGO Streikende Fahrer von Geldtransp­ortern: Im Tarifstrei­t einigten sich die Bundesvere­inigung Deutscher Geld- und Wertdienst­e und die Gewerkscha­ft Verdi am Freitag auf Lohnerhöhu­ngen von bis zu 17,15 Prozent.

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