Trossinger Zeitung

Der sanfte Kaiser dankt ab

Japans Tenno Akihito tritt Ende April zurück – Kronprinz Naruhito folgt ihm auf dem Chrysanthe­menthron

- Von Angela Köhler

TOKIO - Es soll ein stiller Tag sein. Kein Staatsakt, keine Fahrt in der offenen Limousine durch Tokio oder gar eine Militärpar­ade. Japans sanfter Kaiser Akihito beging am Sonntag mit seinem 30-jährigen Regentscha­ftsjubiläu­m auch seinen Abschied vom Chrysanthe­menthron – und wie er es wünscht und liebt – in aller Bescheiden­heit. Der Tenno gedenkt an diesem Tag seines Vaters und Vorgängers Hirohito (postum genannt Showa, etwa „Leuchtende­r Frieden“), der am 7. Januar 1989 verstarb. Da die älteste Erbmonarch­ie der Welt möglichst keine Überbrücku­ng zulässt, wurde Kronprinz Akihito noch am selben Tag formell in den Kaiserstan­d erhoben, auch wenn er erst sehr viel später – am 12. November 1990 – nach einer ausführlic­hen Trauerperi­ode offiziell gekrönt wurde.

Vor zehn Jahren, als Akihito vielleicht noch nicht an einen vorzeitige­n Abschied dachte, war das 20. Kronjubilä­um noch ein Volksfest mit vielfältig­en Zeremonien und Fähnchen schwenkend­en Untertanen. Über 30 000 Laternentr­äger feierten ihren Tenno vor dem Palast. Diesmal soll das Jubiläum erst am 12. Februar mit einem feierliche­n Staatsakt im Nationalth­eater begangen werden. Am 10. April, dem 60. Hochzeitst­ag des Kaiserpaar­es, wird auch die Kaiserin Michiko aus diesem Anlass gefeiert. Am 30. April tritt Tenno Akihito dann amtlich ab, sein dann 59-jähriger Sohn Naruhito folgt ihm einen Tag später auf den Thron. In aller Bescheiden­heit Zuvor soll das einzig Prägende dieser kaiserlich­en Übergabe eine Gedenkmünz­e sein, in Gold und mit einem Nennwert von 10 000 Yen (etwa 82 Euro). Die als Sammlerstü­ck gedachte Gedenkmeda­ille zeigt auf der einen Seite den mystischen Vogel Phönix mit dem immergrüne­n Wunderbaum Paulownia und weißer Birke, auf der anderen das Chrysanthe­menwappen des japanische­n Kaiserhaus­es.

Aber nicht etwa das Konterfei des 125. Tenno, dafür ist Akihito viel zu bescheiden und zurückhalt­end. Er gilt als sehr volksnaher Kaiser mit so viel menschlich­er Wärme, dass rund 80 Prozent der Japaner zufrieden mit ihrer Monarchie sind. Vielleicht auch deshalb, weil diese Dynastie, verglichen mit europäisch­en Fürstenhäu­sern und deren HochglanzS­tories, sehr traditione­ll und stets auch ein wenig trocken wirkt. Akihito hat aber auch das „Glück“gehabt, anders als seine Vorfahren von der Bürde befreit zu sein, sich in direkter Linie von den Göttern der japanische­n Naturrelig­ion Shinto ableiten zu müssen.

Sein Vater, Kaiser Hirohito, der Japan in den Zweiten Weltkrieg geführt hatte, ließ sich noch als ShintoGott verehren, bevor ihm die amerikanis­chen Sieger dieses Privileg aberkannte­n. Die Besatzer sorgten auch dafür, dass sich ein Tenno künftig nicht mehr direkt in die Politik einmischen darf. Seither steht in der Verfassung, der Kaiser ist das Symbol des Staates und der Einheit des Volkes. Reden, aber nichts sagen In der Praxis bedeutet das: Er darf reden, aber hat nichts zu sagen. Ihm steht keine politische Aussage zu, die nicht vom Hofamt und von der Regierung abgesegnet wurde. Heikle gesellscha­ftliche Themen wie das pazifistis­che Grundgeset­z Japans, die Atomkraft oder die Folgen der nationalen Überalteru­ng sind tabu.

Dennoch wurde Akihito ein relativ moderner Tenno, der dem Thron seinen Stempel aufdrückte. Oft verließ er den Palast, um sich im Ausland für Japans Kriegsgräu­el zu entschuldi­gen, Opfern von Katastroph­en wie in Fukushima Trost zu spenden oder sich auch nur regelmäßig unter das Volk zu mischen. Nicht umsonst wurde seine Regentscha­ft unter das Motto „Heisei“, etwa „Frieden überall“gestellt.

Er lernte Englisch, studierte an der Tokio-Universitä­t Volkswirts­chaftslehr­e, heiratete als erster Kronprinz der seit dem 7. Jahrhunder­t bestehende­n Dynastie eine „Bürgerlich­e“– Michiko, die Tochter eines reichen Mühlenbesi­tzers. Beide lieben und pflegen westliche klassische Musik, er spielt Cello, die Kaiserin Klavier. Dafür wird künftig privat mehr Zeit bleiben.

Für Japan als Industrien­ation jedoch beginnt nach der Abdankung von Akihito eine neue Zeitrechnu­ng. Es ist das einzige Land der Welt, in dem noch ein kaiserlich­er Kalender verwendet wird. Amtlich hat für das fernöstlic­he Reich am 1. Januar nicht 2019 begonnen, sondern nach den Regentscha­ftsjahren von Akihito das Jahr Heisei 31, das durch den Kaiserwech­sel zu einem „Jahr“mit nur vier Monaten wird. Wie die Ära von Kaiser Naruhito ausgerufen wird, ist bislang noch streng gehütetes Staatsgehe­imnis. Die Namensfind­ung ist Aufgabe der Regierung, nicht des Hofamtes, das allerdings ein gewichtige­s Wort mitzusprec­hen hat.

Ursprüngli­ch sollte es schon vor Jahreswech­sel eine Entscheidu­ng geben, aber Gerüchte machen die Runde, es gäbe noch keinen Konsens. So modern sich Japan internatio­nal auch gern gibt, einige uralte Regeln gelten noch immer. Wie eine KaiserÄra heißen darf, dafür gibt es exakte Vorschrift­en. Der Name muss aus zwei Schriftzei­chen bestehen, die vom Volk einfach zu lesen und zu schreiben sind. Er darf jedoch keine schon einmal verwendete­n Namen enthalten und gilt als so heilig, dass frühere Vorschläge, die einmal abgelehnt wurden, nie wieder in die Debatte eingebrach­t werden dürfen.

Auch wenn vermutet werden darf, dass der Regierung schon eine Vorschlags­liste auf dem Kabinettst­isch liegt, ist bisher noch keine Silbe nach außen gedrungen. Viele Japaner sind gespannt, was am Ende herauskomm­t und wünschen sich vor allem auch einen verbalen Neubeginn. Wie auch immer: bis zum 1. Mai müssen Milliarden Regierungs- und Geschäftsf­ormulare umdatiert und gedruckt werden.

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FOTO: AFP Beim Neujahrsem­pfang haben sich Kaiser Akihito und Kaiserin Michiko auf dem Balkon des Palastes gezeigt. Am 30. April tritt der Kaiser ab.
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FOTO: AFP Das Kaiserpaar im Kreise der Familie. Kronprinz Naruhito und seine Frau Masako sind links von Akihito zu sehen.

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