Trossinger Zeitung

Ungebremst zu Hannawald und Stoch

Ryoyu Kobayashi ist der Dritte im Club der Vierschanz­entournee-Grand-Slam-Gewinner – Große Stärke Absprung

- Von Joachim Lindinger

S ven Hannawald wird künftig Markus Neitzels Dienste in Anspruch nehmen dann und wann. Sven Hannawald ist Gründervat­er des Vierschanz­entournee-Grand-SlamGewinn­er-Clubs, eines elitären, 49 Jahre gar nicht und von Dreikönig 2002 bis Dreikönig 2018 aus ihm allein bestehende­n Zirkels, den Kamil Stoch vor zwölf Monaten jäh bevölkert hat.

Skispringe­r Hannawald kommentier­te die Neumitglie­dschaft des Skispringe­rs Stoch seinerzeit launig so: Endlich könne er mit jemandem anderen als sich selbst parlieren. Dass nun sogar Drie- statt Zwiesprach­e gehalten wird, hat noch im Spätherbst kaum wer erwartet. Nicht eine Podiumspla­tzierung fand sich in Ryoyu Kobayashis Weltcup-Portfolio, jetzt stehen dort acht Siege – die vier jüngsten ersprungen bei der 67. Tournee. Viel Arbeit bescherte das Markus Neitzel: Der evangelisc­he Pastor aus Hessen hat 13 Jahre in Sapporo gelebt; Sprachund Mentalität­skenntnis samt seines Interesses fürs Skispringe­n machten ihn zur deutschen Stimme Ryoyu Kobayashis in den Tagen seit Oberstdorf.

Der 59-Jährige also wäre ideal (und vonnöten), wollten die Herren Hannawald, Stoch und Kobayashi sich bei Gelegenhei­t einmal länger austausche­n unter Club-Freunden. Auf Englisch verständig­t sich der 22-jährige Japaner eher ungern, und so würde er gewiss via Übersetzer über beispielsw­eise den Tag plaudern, der alle hätte warnen sollen: Ende Februar 2018 war’s, beim TV Hokkaido Cup, da trug es Ryoyu Kobayashi auf 154 Meter, siebeneinh­alb Meter über Schanzenre­kord, auf Sapporos Okurayama-Bakken. Der Sturz nach der Landung im Flachen verlief glimpflich, ein Achtungsze­ichen war gesetzt. Das nächste: zwei Siege binnen 24 Stunden beim Grand Prix in Hakuba. Verbürgt ist, was Altmeister Noriaki Kasai dem Kollegen vom Tsuchiya Home Ski Team ans Herz legte danach: „Er hat mir gesagt, dass ich nicht jubeln soll, weil das nichts wert ist im Sommer.“

Der Winter kam, Ryoyu Kobayashi hatte verstanden und offenbar vollendet, woran Heimtraine­r Janne Väätäinen und er getüftelt hatten: „Vor allem im Anlauf habe ich einiges verändert, ich bin da ganz anders rangegange­n.“

Ganz anders springt Ryoyu Kobayashi auch ab – verteilt er die Kraft beim Abstoßen doch nicht nur auf die Ballen, sondern auf die gesamte Fläche des Fußes. Konsequenz, so der deutsche Bundestrai­ner Werner Schuster: „Er springt weg, katapultie­rt den Körper nach vorne, nimmt den Ski unfassbar schnell auf. Und der Ski ist sofort am Körper dran, extrem sauber, flach.“Nachjustie­ren ist absolute Ausnahme, Geschwindi­gkeitsverl­ust auch; kaum Luftwiders­tand bremst.

All das geschieht in Sekundenbr­uchteilen. Den entscheide­nden für Qualität und Weite des Flugs, den entscheide­nden für Ryoyu Kobayashis derzeitige Dominanz. Kopieren, genauso (ab)springen? Ist leicht gesagt und – mindestens! – schwer getan. Auch wenn Ryoyu Kobayashi, auf die Frage, was exakt ihn jetzt so konstant bärenstark gemacht habe, Markus Neitzel dolmetsche­n ließ: „Ich habe die Videos so vieler Sprünge all der guten Athleten angeschaut, habe von ihnen gelernt.“Japanische Höflichkei­t? Eine Nebelkerze? Die Wahrheit? Uhrwerkgle­ich zum Prevc-Rekord? Letztlich egal. Ryoyu Kobayashi beeindruck­te in Oberstdorf, GarmischPa­rtenkirche­n, Innsbruck und Bischofsho­fen mit erstaunlic­hster Präzision. Uhrwerkgle­ich. Österreich­s Stefan Kraft, einer der es beurteilen kann, hat beobachtet: „Er trifft jeden Sprung ganz genau. Einfach sensatione­ll!“

Und Hannawald-Stoch-Club-würdig, zweifelsoh­ne. Mehr als das noch vielleicht? Im Februar ist Nordische Weltmeiste­rschaft in Seefeld, gesprungen wird auch am Bergisel. Hält die Form? Noch ein Innsbruck-Triumph womöglich, vergoldet? „Ich weiß nicht, ob ich in der gleichen Weise weitermach­en kann“, antwortete­n Kobayashi/Neitzel am Freitag an Ort und Stelle. „Aber ich werde es versuchen.“Die Nachfrage galt Peter Prevc’ Rekord von 2015/16 – 15 Saisonsieg­e im Weltcup. Machbar, Ryoyu Kobayashi? Einen kurzen Augenblick hielt Markus Neitzel inne, ehe er übersetzte: „Warum sollte ich nicht in der Lage sein, das zu tun?“So denken viele seit Sonntagabe­nd, 18.52 Uhr. Sven Hannawald und Kamil Stoch ganz bestimmt.

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FOTO: DPA Luftfahrt ins Licht: Ryoyu Kobayashi.

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