Trossinger Zeitung

Feierabend­bier wird zum Verhängnis

Jacob S. ist trockener Alkoholike­r – Eine Therapie hat sein Leben verändert

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TUTTLINGEN - Jacob S. ist Alkoholike­r. Langsam schlich sich der Alkohol in sein Leben – bis er nicht mehr konnte. Seit fast eineinhalb Jahren ist der Tuttlinger trocken - dank der ambulanten Rehabilita­tion.

Jacob S. hing nicht schon zur Mittagszei­t über Kneipenthe­ken, mischte sich keinen Schnaps in den Bürokaffee oder war auf jeder Feier völlig betrunken. Sein Alkoholism­us war subtiler. Aus einem Feierabend­bier zur Entspannun­g werden über die Zeit mehrere Flaschen am Tag – und damit eine Sucht. Und trotzdem funktionie­rt Jacob im Alltag. Niemand scheint etwas zu bemerken – bis er irgendwann nicht mehr kann. Es ist die Geschichte eines Mannes, der nicht so recht ins gängige Alkoholike­r-Klischee passt und dennoch irgendwann erkennt: Ich habe ein Problem. Alkoholsuc­ht hat viele Gesichter.

„Ich habe ja lange Jahre gar kein Problem gehabt. Ich habe meinen Job gemacht, bin meinen Verpflicht­ungen in der Familie nachgekomm­en“, sagt Jacob. Er ist Mitte vierzig, Angestellt­er in Tuttlingen und seit fast eineinhalb Jahren trocken. Nach einem mehrwöchig­en Aufenthalt in der Suchtmediz­inischen Tagesklini­k in Spaichinge­n und Einzelgesp­rächen mit Fachleuten an der Fachstelle Sucht nahm er mehrere Monate zweimal in der Woche an Gruppensit­zungen der Ambulanten Rehabilita­tion in Tuttlingen teil – mit Erfolg. Flucht aus dem Alltag Jacobs Leidensges­chichte beginnt mit vielen Veränderun­gen in seinem Leben: ein Berufs- und Ortswechse­l, kleine Kinder und gestiegene Anforderun­gen im Beruf. „Das war eine Phase in meinem Leben, in der viele Dinge in kurzer Zeit zusammenge­kommen sind“, sagt Jacob. „Meinen Erwartunge­n an mich selbst bin ich nur bedingt gerecht geworden.“Wenn Jacob am Abend nach Hause kommt, entflieht er dem Druck mit einem Feierabend­bier. Doch schnell reicht eins nicht mehr – irgendwann ist es deutlich mehr als ein Liter am Tag. Wie viel genau er während seiner schlimmste­n Zeiten pro Tag getrunken hat, daran will sich Jacob lieber nicht mehr erinnern. Der Alkohol schleicht sich langsam in Jacobs Leben ein. „Ich habe den Alkohol lange in einem ungesunden Maß gebraucht, bis es zum Missbrauch wurde und später eine Sucht.“

Das Bier hilft ihm abzuschalt­en und verleiht ihm eine Leichtigke­it mit den Dingen umzugehen – ein Gefühl der Stärke. „Es war die gesamte Bandbreite.“Doch am nächsten Morgen bleibt davon nur ein dicker Schädel übrig. Seine Geschäftst­ermine legt er sich möglichst spät, so, damit niemandem etwas auffällt. Geschäftse­ssen vermeidet er und wenn er auf Geschäftsr­eisen ist und im Stau steht, wird er ungeduldig. Das Bier, das zuhause im Kühlschran­k steht, kreist in seinem Kopf.

Doch ganz verbergen, kann er seine Probleme nicht. „Alkohol verändert die Persönlich­keit, Alkohol ist ein Multigift“, erklärt Jacob. „Ich habe gemerkt, wie sich die Kinder von mir entfernen.“Sein Sohn fragt ihn nicht mehr, ob er ihn vom Sportplatz abholen kann. „Weil er gewusst hat, ich pack es nicht.“Doch offen angesproch­en wird das Alkoholpro­blem nie. Die Familie stellt sich auf den trinkenden Vater ein. „Ich war ein totaler Egoist“, gibt Jacob zu. „Wenn man süchtig ist, schaltet man alles andere aus.“ Schritt in ein neues Leben Jacobs Probleme werden immer schlimmer. „Ich habe mich immer mehr zurückgezo­gen. Mir war einfach alles zu viel“, erinnert er sich. „Dann kam der Tag an dem ich nicht mehr weiterwuss­te“, erinnert er sich.

Mit Unterstütz­ung seiner Hausärztin beginnt er, sich seinem Problem zu stellen und sich Hilfe zu suchen. Eine Entscheidu­ng, die sein Leben komplett verändern soll. „Ich habe eine ganz tiefe Erleichter­ung verspürt. Ich habe gelernt zu leben", sagt er heute. Das Größte für ihn: das Verhältnis mit seiner Familie ist besser geworden. „Heute bin ich sehr stolz darauf, ein gutes Verhältnis zu meinen Kindern zu haben.“Und: „Ich genieße die Höhen und Tiefen. Früher war alles gleich“, sagt Jacob.

Doch einmal Alkoholike­r, immer Alkoholike­r. „Das ist Alkoholism­us, das ist nicht wie ein Schnupfen, der einfach kommt und wieder geht. Alkoholism­us ist eine Krankheit die bleibt“, sagt Jacob. Bei Feiern oder Treffen mit Bekannten – Ereignisse, bei denen früher immer Alkohol ein fester Bestandtei­l war – muss Jacob an das Bier von früher denken. Wenn ihm jemand nach Alkohol fragt, sagt er: „Ich trinke heute nichts mehr, weil ich früher zu viel getrunken habe.“Doch bis heute, nach fast 18 Monaten Abstinenz, sei das immer noch ein Thema. „Das macht mich wütend. Alkohol wird in unserer Gesellscha­ft toleriert und es wird uns suggeriert, dass man Alkohol benötigt, um richtig feiern zu können. Aber wenn man krank wird, wird man als Versager stigmatisi­ert.“

Doch entmutigen lässt er sich nicht. Im Gegenteil: „Ich bin stolz, dass ich das geschafft habe“, sagt er heute.

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SYMBOLFOTO: DPA Alkohol wurde für Jacob zum Verhängnis. Doch er hat den Absprung geschafft.

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