Tim und Struppi
Tim und Struppi begeistern seit 90 Jahren Kinder wie Erwachsene – Stilbildende Comics – Rassismus-Vorwurf
Seit 90 Jahren begeistern sie weltweit Comicfans
BRÜSSEL (KNA) - Sie gehören in jeden guten Comic-Laden: Reporter Tim, Terrier Struppi, Käpt’n Haddock und ihre rotweiß karierte Mondrakete. Mit dem abenteuerlustigen Tim (original „Tintin“) schuf der Zeichner Hergé (bürgerlich Georges Rémi, 1907-1983) vor 90 Jahren einen Charakter, der der US-Übermacht von Disney und Co. echte Konkurrenz machte.
Weil Hergé, wie er selbst glaubte, nicht gerade virtuos mit dem Zeichenstift umgehen konnte, beschränkte er sich auf ein kindliches Prinzip: Punkt, Punkt, Komma, Strich. Tintins Mondgesicht mit dem einsamen Haarbüschel ist buchstäblich ein Allerweltsgesicht. Und in aller Welt ist der Reporter denn auch zu Hause, immer im Dienst der guten Sache.
Am 10. Januar 1929 erblicken Tim und sein schneeweißer Terrier Struppi (orig. „Milou“) im „Petit Vingtieme“, der Kinderbeilage der katholischen Zeitung „Le Vingtième Siècle“, sozusagen das Licht der Welt. In den ersten Episoden bereisen sie das „Land der Sowjets“.
Kritiker bemängeln, die ersten Erfahrungen des jungen Reporterhelden spiegelten allzu deutlich die politischen Mentalitäten des frühen 20. Jahrhunderts wider. Die Zeitströmungen des Antikommunismus, des Kolonialismus (bei „Tim im Kongo“, 1930/31) und Anti-Amerikanismus („Tim in Amerika“, 1931/32) habe Hergé ungeprüft übernommen. Später seien auch antisemitische Züge hinzugetreten. Koloniale Stereotypen Für „Tim im Kongo“fand Hergé, der selbst nie in Afrika war, Inspiration im Afrikamuseum von Tervuren bei Brüssel – und verewigte sie in dem Album. Etwa die „Anioto“-Skulptur von Paul Wissaert: Dargestellt ist ein in ein Leopardenfell gehüllter Mann, der sein am Boden liegendes Opfer mit krallenbewehrten Händen töten will. Um die Geheimbünde der „Leopardenmenschen“rankten sich in der Kolonialzeit viele Mythen. Belgien dagegen, so die Botschaft des Kunstwerks, brachte dem Kongo die Zivilisation. Ein anderes Beispiel kolonialer Stereotype: Tim, der im Tropenhelm als Lehrer eine naive „Neger“-Klasse unterrichtet.
Nach und nach kommen Tim und Struppi um die ganze Welt. 1953/54 lautete sogar das „Reiseziel Mond“. Der detailverliebte Hergé sammelte Berge von Material, um daraus die Kulissen für die Abenteuer seiner Helden zu machen. Brüsseler Museen verweisen noch heute stolz darauf, dass dieses oder jenes Exponat Hergé als Vorlage gedient habe. Die „ligne claire“, die klare Linie, die seinen Stil prägt, wurde Vorbild für ganze Generationen von Comic-Zeichnern.
Georges Rémi, dessen Künstlername „Hergé“sich aus der französischen Aussprache seiner umgedrehten Initialen RG herleitet, hatte eine Kindheit und Jugend verbracht, die typisch für das Belgien des frühen 20. Jahrhunderts ist: katholische Schule, Pfadfinder und später Mitarbeiter beim konservativen Wochenblatt „Le Vingtième Siècle“. Als er dort Chef der Jugendbeilage wurde, begann er mit dem Comic-Zeichnen.
Unmittelbar nach dem Krieg erhielt Rémi als angeblicher Kollaborateur ein kurzes Publikationsverbot, weil er an der Zeitung der deutschen Besatzer mitgearbeitet habe. Historiker wollen wissen, dass Rémi auch selbst der faschistischen Bewegung in Belgien, den Rexisten, nahestand. 1973 gab er zu, auch ihm sei die versprochene „Neue Ordnung“als ein Hoffnungszeichen erschienen. Er sprach von einer „Dummheit“und „Idiotie“. Altersloser Held mit Haartolle Die ab 1946 in der neu gegründeten Zeitschrift „Tintin“veröffentlichten Fortsetzungsepisoden wurden oft von Hergé inhaltlich und künstlerisch überarbeitet, bevor sie in Buchform erschienen. Die 22 Bände um den alterslosen Helden mit der blonden Haartolle und seine Gefährten Kapitän Haddock und Professor Bienlein wurden in 58 Sprachen übersetzt. Die Gesamtauflage erreichte weit mehr als 200 Millionen Exemplare. Ein weltweiter Erfolg.
Vor seinem Tod durch Leukämie am 3. März 1983 hatte Herge verfügt, dass niemand Tim und Struppi weiterführen dürfe. „Tim und die Picaros“von 1975 blieb das letzte vollendete Werk. Belgien, das den Zeichner schon zuvor mit Orden und Ehrungen gewürdigt hatte, erfüllte ihm auch seinen letzten Wunsch: die Beisetzung auf dem Friedhof am Dieweg im Brüsseler Stadtteil Uccle, der eigentlich schon seit 1950 für Neubestattungen geschlossen war.
Zum 90. Geburtstag von Tim und Struppi veröffentlichte die Vatikanzeitung „Osservatore Romano“kürzlich eine regelrechte Eloge. Kurz vor Weihnachten brachte das Blatt auf einer kompletten Doppelseite gleich vier Beiträge zum Thema, die nach Vereinnahmung klingen. Tim, so heißt es dort, sei ein „natürlicher Christ“. Zwar sehe man ihn nie beim Gebet oder ein Kreuzzeichen machend. Doch seine ganze aufrechte, ehrliche und auf Verstehen angelegte Art entspreche der eines „guten Katholiken“. Dann wäre also auch das geklärt.