Blumenkohl und Beschaulichkeit in Schwedens noblem Skiort
In Åre treffen sich nicht nur zur alpinen Ski-WM Rennfahrer und Großstädter
ÅRE
(dpa) - In Åre wird im Februar die alpine Ski-WM ausgetragen. Dann präsentiert sich Schwedens mondäner Wintersportort als nordische Alternative zu den Alpen – mit Weitsicht, Genusspisten und skandinavischer Gelassenheit.
Wenn Jesper Johnsson frühmorgens die Tourenski schultert und durch den Schnee zur „Kabinbanan“stapft, schläft die Stockholmer High Society noch. Die Hauptstädter haben Åre zwar zu ihrem Lieblingsdomizil für ihre Winterferien erkoren, den Lebensrhythmus der Einheimischen aber noch nicht übernommen. Während Johnsson schon von der Bergstation zum 1420 Meter hohen Gipfel des Åreskutan aufsteigt, gehen in Hotelzimmern und Chalets erst nach und nach die Lichter an.
Åre erwacht und wirkt doch irgendwie immer ein bisschen verschlafen. Verglichen mit dem Rummel österreichischer Skihochburgen ist Schwedens bekanntestes Skigebiet ein Kurort. Aus den Kaminen bunter Bauernhäuser steigt Rauch in die klirrend kalte Luft empor. In der Åre Kafferosteri faucht die EspressoMaschine. Besitzerin Eva Gefvert Nordell und ihr Mann brühen damit ihre Eigenröstung, mit der die schwedischen Barista-Meister den „World Roast Cup“gewannen. Auf dem zugefrorenen Åresjön See ziehen Skilangläufer im Morgengrauen ihre Bahnen vor der Kulisse schneeverkrusteter Bergkuppen. Im Winter wirkt die Provinz Jämtland wie die Kulisse einer Schweden-Schmonzette von Inga Lindström. Zur Ruhe kommen in Jämtland Anders als in den Filmen der ZDFReihe aber ist die Idylle an der Grenze zu Norwegen echt. Der baumlange Skibergführer Johnsson, genauso wie die Fackeln vor dem historischen Hotel Åregarden und die Talstation der Zahnradbahn im Zuckerbäckerstil. Åre lockt mit seiner Bilderbuchlandschaft und den schier unendlichen Freizeitmöglichkeiten Schwedens Großstädter nicht nur in den Ferien. „Immer mehr Stockholmer ziehen nach Jämtland, weil sie keine Lust mehr auf die Enge und Hektik der Stadt haben“, sagt Johanna Schalander. Sie kämen wegen des „ÅreLifestyles“und weil der alles andere als billige Ferienort immer noch günstiger ist als Stockholm.
Schalander ist eine von denen, die ihren gut bezahlten Job in der Hauptstadt aufgegeben haben, um in Åre ein anderes Leben zu führen. Aktiver, naturverbundener, gelassener. „Rund um Åre sprießen Start-ups aus dem Boden, junge Leute eröffnen Geschäfte und Lokale“, erzählt Schalander vom Boom in Jämtland.
Auch Johnsson gehört zu den Jungunternehmern. Zusammen mit dem Bruder des schwedischen Freestyle-Champions Henrik Harlaut hat er die Firma Åreguiderna eröffnet. Johnsson und Philip Harlaut bieten Motorschlitten-Touren, CurlingEvents, Langlauf und Skitouren an. Solche wie die am Åreskutan. Dort legt Johnsson noch einen Zwischenstopp in der winzigen, fast komplett von einem Schneepanzer überzogenen Toppstugan-Hütte ein, bevor er die Abfahrt in Angriff nimmt. Das Baksidan genannte Areal gilt als das beste Freeride-Terrain Schwedens, die steile Östra Ravin als ultimative Mutprobe für Adrenalin-Junkies. Ins Off-Piste-Areal trauen sich nur die wenigsten Urlauber. Nicht, weil es besonders steil wäre, sondern wegen des herausfordernden Schnees. „Wir nennen ihn Blumenkohl-Schnee“, erzählt Johnsson. Feuchtwarme Luft vom Golf-Strom mische sich im Nordwesten Schwedens mit kalter Polarluft und überziehe die Berge gern mit einem Mix aus Schnee und Eis, der wie Blumenkohl aussehe. Der häufig wehende Wind schafft mystische Schneeskulpturen. Pulverschnee gibt es nur selten.
Die überwiegend leichten und mittelschweren Pisten aber sind perfekt präpariert und griffig. So wie die hinunter zur urigen Buustamons Fjällgård, der einzigen Skihütte mit Lizenz zum Schnapsbrennen. Ob es am Hochprozentigen oder am deftigen Essen liegt – die Hütte ist fast immer gut gefüllt mit Skiurlaubern, die aber offenbar ihre Grenzen kennen. Betrunkene sieht man äußerst selten. Dafür aber Rückenprotektoren an jeder Wirbelsäule.
Bestens geschützt tummeln sich die überwiegend schwedischen Gäste auf 89 Abfahrten in dem Skigebietsverbund von Åre und Björnen sowie in dem in wenigen Minuten per Skibus erreichbaren Duved. Der höchste der 42 Lifte endet auf der für alpine Verhältnisse bescheidenen Gipfelhöhe von 1274 Metern am Åre Topp Platå. Weniger fitten Skiurlaubern kommt die niedrige Höhe entgegen. Außer Puste kommt hier keiner. Allenfalls das Panorama mit weiten, von Seen durchzogenen Hochtälern ist atemberaubend. Vom Åre Topp Platå kann man wunderbar über den 890 Meter tiefer liegenden Ort am See schauen. Manchmal ziehen Rentiere über den Gipfelgrat des 1300 Meter hohen Västerskutan. Tunnels unter den Pisten Gleich unter dem Lieblingsplatz der Rentiere beginnen die WM-Pisten, die alle im Stadion oberhalb des Åresjön Sees enden. Damit Touristen auch während der Ski-WM von einem Teil des Skigebiets in den anderen pendeln können, wurden die WM-Pisten untertunnelt. „Entlang der Pisten können auch Touristen die Rennen aus nächster Nähe beobachten“, erzählt WM-Sportdirektor Anders Sundqvist. Die WM ist für das Herz des schwedischen AlpinRennsports eine Bühne, um sich dem Rest der Ski-Welt zu präsentieren.
Während der WM wird Åre mit Live-Konzerten rund um die WMArena für die anvisierten 120 000 Zuschauer aufdrehen. Ansonsten geht es in Lokalen wie der Brasserie Werséns, dem Weinkeller Vinbaren oder der Cocktail-Bar Uvisan gesittet zu – bis auf den in Schweden „After Ski“genannten Après-Ski. Das Hotel Fjällgården mitten im Skigebiet gilt als Schwedens „After-Ski“Hotspot. Hunderte feiern dort nachmittags bei Bier, Schnaps und LiveMusik. Die wilde Party dauert aber nur ein, zwei Stunden. Dann fahren die sicherheitsbewussten Schweden hinunter in den Ort. Die meisten brav mit der alten Zahnradbahn. Die Alpine Ski-WM findet vom 5. bis 17. Februar 2019 in Åre statt. Weitere Informationen: www.are-sweden.com